Le Monde diplomatique frei von Chávez

In den deutschen Ausgabe von Le Monde diplomatique vom August 2007, die als Beilage zur Berliner Tageszeitung (taz) erscheint, ist der Leitartikel des französischen Mutterblattes über Hugo Chávez nicht enthalten.

Autor ist Ignacio Ramonet, der Chefredakteur in Frankreich. Wir wollen das Editorial der deutschen Öffentlichkeit nicht vorenthalten und veröffentlichen die deutsche Übersetzung:

Hugo Chávez

Von Ignacio Ramonet

"Kaum ein Regierender ist einer so hasserfüllten Vernichtungskampagne ausgesetzt wie Hugo Chávez, der Präsident von Venezuela. Seine Feinde sind vor nichts zurückgeschreckt: Staatsstreich, Ölboykott, Kapitalabzug, Attentatsversuche... Seit den Angriffen Washingtons auf Fidel Castro gab es in Lateinamerika keine solche Versessenheit mehr. Übelste Verleumdungen werden über Chávez verbreitet. Sie stammen aus modernen Giftküchen wie dem National Endowment for Democracy (NED) oder von Freedom House. Die Regierung des Präsidenten der Vereinigten Staaten, George W. Bush, bezahlt sie. Mit unbegrenzten finanziellen Mitteln ausgestattet, manipuliert diese Diffamierungsmaschine mediale Schaltstellen, darunter Referenzblätter, und Menschenrechtsorganisationen, die in finsterer Absicht eingespannt werden. Der Sozialismus liegt in Trümmern: Selbst ein Teil der sozialdemokratischen Linken stimmt in den Chor der Verleumder ein.

Warum soviel Hass? Während die Sozialdemokratie in Europa eine Identitätskrise durchlebt, scheinen die historischen Umstände dem Präsidenten Chávez die Verantwortung dafür anvertraut zu haben, sich international an die Spitze der Neuerfindung der Linken zu stellen.

Während auf dem Alten Kontinent die europäischen Institutionen jede Alternative zum Neoliberalismus praktisch unmöglich gemacht haben (siehe in dieser Ausgabe die Artikel von Jean Bricmont und Denis Duclos) reiht sich in Brasilien, Argentinien, Bolivien und Ecuador nach venezolanischem Vorbild Erfahrung an Erfahrung, die die Hoffnung auf Emanzipation der ganz kleinen Leute lebendig hält.

In dieser Hinsicht ist die Bilanz von Chávez spektakulär. Verständlich, dass er in Dutzenden armer Länder zu einem unabdingbaren Bezugspunkt geworden ist. Hat er doch unter sorgfältiger Achtung der Demokratie und aller bürgerlichen Freiheiten (1) die venezolanische Nation auf eine neue Grundlage gestellt, sie durch eine neue Verfassung legitimiert; die Verfassung stellt den Einbezug des Volkes in den gesellschaftlichen Wandel sicher. Hat er doch etwa fünf Millionen Marginalisierten, darunter die indigene Bevölkerung, die Staatsbürgerwürde verliehen, die zuvor keinen Ausweis besaßen. Hat er doch die Petróleos de Venezuela SA (PdVSA) wieder in öffentliche Hand gebracht. Hat er doch das größte Telekommunikationsunternehmen entprivatisiert und wieder in den öffentlichen Dienst eingegliedert, ebenso wie die Elektrizitätsgesellschaft von Caracas. Hat er doch die Ölfelder des Orinoco verstaatlicht. Und hat er doch einen Teil der Ölgewinne für die Unabhängigkeit von den internationalen Finanzinstitutionen verwendet, und einen andern für Sozialprogramme.

Drei Millionen Hektar Land sind an die Bauern verteilt worden. Millionen Erwachsene und Kinder sind alphabetisiert worden. Tausende Krankenstationen sind in den Wohnbezirken errichtet worden. – zig Tausende mittellose Personen mit Augenkrankheiten sind gratis operiert worden.

Die Grundnahrungsmittel werden subventioniert und den Ärmsten um 42% billiger angeboten als auf dem Markt. Die Wochenarbeitszeit ist von 44 auf 36 Stunden gesenkt worden, während der Mindestlohn auf 204 Euro im Monat angehoben worden ist - der höchste Lateinamerikas nach Costa Rica.

Ergebnis all der Maßnahmen: Zwischen 1999 und 2005 ist die Armutsrate von 42,8% auf 37,9% (2) gesunken, und der Anteil der Bevölkerung, der vom informellen Sektor lebt, von 53% auf 40%. Der Rückgang der Armut hat das Wachstum kräftig gestützt, das im Durchschnitt der letzten drei Jahre bei 12% lag, einem der stärksten der Welt. Der Verbrauch wuchs um 18%. (3)

Angesichts solcher Erfolge, gar nicht zu reden von den außenpolitischen: Muss da noch erstaunen, dass Präsident Chávez für die Herrscher der Welt und ihre Spießgesellen einer ist, den es zu erledigen gilt?"

Für die Übersetzung bedanken wir uns bei Thomas Immanuel Steinberg.

Anmerkungen:

(1) Die Lügen über Radio Caracas Televisión sind dementiert, hat doch der Sender am 16. Juli 2007 über Kabel und Satellit die Sendungen wieder aufgenommen.

(2) Mark Weisbrot, Luis Sandoval et David Rosnick: Poverty Rates in Venezuela : Getting the Numbers Right. Center for Economic and Policy Research, Washington, DC, Mai 2006

(3) Siehe das Dossier Chávez, not so bad for business. Business Week, New York, 21. Juni 2007.

Der Orginal-Artikel in französischer Sprache befindet sich hier