Der haitianische Premierminister Garry Conille hat Ende September in aller Stille ein Abkommen mit der Studebaker Defense Group geschlossen, einem multinationalen Sicherheitsunternehmen, zu dessen Mitarbeitern viele ehemalige Pentagon- und CIA-Beamte gehören. Das Unternehmen hatte sich seit mehr als einem Jahr um Aufträge in Haiti bemüht.
Im März 2023 wandte sich der pensionierte US-General Wesley Clark, der im Vorstand von Studebaker sitzt, an den damaligen Premierminister Ariel Henry und flog sogar nach Port-au-Prince, um sich mit Regierungsbeamten zu treffen, wie Haiti: Relief and Reconstruction Watch (HRRW)1berichtete. Zwar wurde damals keine Einigung erzielt, jedoch bestätigte ein Sprecher von Studebaker die derzeitige Präsenz des Unternehmens in Haiti.
"In einem entschlossenen Einsatz zur Verbesserung der Sicherheit und öffentlichen Ordnung in Haiti hat die Studebaker Group eine strategische Schulungs- und Mentoring-Initiative zur Unterstützung der haitianischen Nationalpolizei PNH ins Leben gerufen", teilte das Unternehmen in einer Erklärung gegenüber HRRW mit und fügte hinzu, dass es 'ausschließlich in beratender Funktion' tätig und 'direkt dem Generaldirektor der PNH' unterstellt sei.
Die Rolle von Studebaker bleibt jedoch alles andere als klar. Laut drei Quellen, die angaben, konkret über die Situation informiert zu sein, wurde der Vertrag direkt mit Premierminister Conille unterzeichnet, unter Umgehung des Übergangspräsidialrats (TPC), der sich in den letzten Wochen zunehmend im Widerspruch zu Conille befand.
"Der Rat wurde nicht informiert und hat ihn sogar mit der Angelegenheit konfrontiert", sagte eine Quelle aus dem Umfeld des TPC gegenüber HRRW. "Bis jetzt haben wir den Vertrag noch nicht gesehen. Wir wissen also nicht, welche Ziele die Mission hat, wie viele Mitarbeiter sie hat und ob sie bewaffnet sind oder nicht. Wir haben keinerlei Informationen."
In einem Schreiben vom 29. Oktober an den Generalsekretär des Premierministers bat der TPC um ein dringendes Treffen, um die "Anwesenheit eines privaten Unternehmens" zu besprechen, das sich mit öffentlicher Sicherheit befasst, ohne Studebaker namentlich zu erwähnen.
Die genaue Anzahl der nach Haiti entsandten Studebaker-Söldner ist weiterhin unklar. Sie schließen sich indes Dutzenden ausländischer Ausbilder an, die bereits mit der haitianischen Polizei zusammenarbeiten, sowie etwa 430 Einsatzkräften, die im Rahmen der von Kenia geführten und von den USA finanzierten Multinationalen Sicherheitsmission (MSS) entsandt wurden. In der Erklärung gab Studebaker nicht an, ob und wie seine Mitarbeiter mit der MSS und anderen ausländischen Regierungen, die im Sicherheitssektor tätig sind, zusammenarbeiten.
HRRW wandte sich an einen Sprecher der MSS, erhielt jedoch bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung keine Antwort.
Obwohl das Unternehmen sagt, ausschließlich in beratender Funktion tätig zu sein, widersprechen Quellen, die mit der Situation vertraut sind, dieser Behauptung und berichten, dass die Söldner direkt an Polizeieinsätzen beteiligt waren, was Fragen zu den Einsatzregeln und der Rechenschaftspflicht bei Missbräuchen aufwirft.
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Am 15. Oktober gab die haitianische Polizei bekannt, dass bei einer gemeinsamen Operation ein bekannter Bandenführer verletzt worden sei. Dies wurde als "erster größerer Vorstoß in von Banden kontrolliertes Gebiet seit dem Beginn des Einsatzes der MSS" im vergangenen Juni beschrieben.
Laut denselben Quellen war die Operation jedoch tatsächlich mit Studebaker geplant und unter direkter Beteiligung seiner Söldner durchgeführt worden. Die Quellen berichteten, dass die Operation auf Vitel'homme Innocent, den Anführer der bewaffneten Gruppe Kraze Barye (Durchbrich die Mauern), abzielen sollte. Das FBI hat eine Belohnung von zwei Millionen US-Dollar für Informationen ausgesetzt, die zu seiner Festnahme führen. Es ist unklar, ob die Mitarbeiter von Studebaker für eine solche Zahlung in Frage kommen würden.
Letztendlich verletzte die Polizei nach eigenen Angaben einen der Stellvertreter von Innocent, die Operation war insgesamt erfolglos. Ein gepanzertes Fahrzeug der MSS wurde in dem Viertel aufgegeben und schließlich zerstört. Innocent veröffentlichte später in den sozialen Medien ein Video, in dem er neben dem ausgebrannten Fahrzeug zu sehen ist.
Ein Sprecher der MSS antwortete nicht auf die Frage, ob die Mission an der Planung der Polizeioperation beteiligt war.
Als HRRW sich an Studebaker wandte, um einen Kommentar zu erhalten, antwortete ein Offizieller, dass sie "eine bedeutende Operation durchgeführt haben, an der Geheimdienstmitarbeiter und Einsatzkräfte vor Ort beteiligt waren". Man könne aber keine weiteren Informationen geben, da "wir diese kritischen Ressourcen nicht gefährden wollen“.
Zur Verwirrung trägt auch die Unklarheit darüber bei, welche Rolle die US-Regierung gegebenenfalls bei dem Vertrag gespielt hat. Normalerweise holt ein in den USA ansässiges Sicherheitsunternehmen, das Verteidigungsdienstleistungen in einem anderen Land erbringen möchte, die Genehmigung des Außenministeriums ein – oder informiert zumindest die US-Regierung über die geplante Aktivität. Doch laut Quellen, die mit der Situation vertraut sind, war die US-Botschaft in Haiti anfangs nicht einmal über den Vertrag informiert.
Das Außenministerium reagierte nicht auf eine Bitte um Stellungnahme.
30. Oktober
- 1. Haiti: Relief and Reconstruction Watch ist ein Blog des Center for Economic and Policy Research "der die multinationalen Hilfsmaßnahmen in Haiti verfolgt, um sicherzustellen, dass sie auf die Bedürfnisse der haitianischen Bevölkerung ausgerichtet sind und dass die Hilfe nicht dazu verwendet wird, das Recht der Haitianer auf Selbstbestimmung zu untergraben."