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Privatstädte für Investoren in Honduras

Von Human Rights as rights for business und Menschenrechten als Verträgen zulasten Dritter

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Der Widerstand gegen das Projekt der "Freien Privatstadt" ist ungebrochen
Der Widerstand gegen das Projekt der "Freien Privatstadt" ist ungebrochen

Vor einigen Wochen tauchte in den sozialen Netzwerken ein Video auf, das einen Mann mittleren Alters in westlichen Kleidern zeigt, wie er auf einem dörflichen Gemeindeplatz zu den dortigen Anwohnern spricht. Der Mann ist Investor und hat heute einen anstrengenden Termin. Obwohl es schon spät ist, muss er der Gemeinde, in die er gereist ist, noch ihre neuen Rechte verlesen.

Mit einem Papierbündel voller Gesetzestexte tritt der Handlungsreisende auf dem Balkon des Gemeindehauses vor die versammelten Frauen, Männer und Kinder, blickt in ihre gespannten, aber assoziationsfreien Gesichter und geht zum entscheidenden Punkt der Tagesordnung über. Man kann sich nur vorstellen, wie ihn dort, ganz alleine stehend, ein leicht mulmiges Gefühl im Bauch überkommen haben muss. Aber jetzt war er schon extra angereist und wollte die Gemeindekonsultation als bedeutsamen Punkt der Projektentwicklung hinter sich bringen.

"So, ich werde jetzt das Wort ergreifen", eröffnet er konzentriert, um sein Publikum mit Artikel 28 des neuen Investorengesetzes vertraut zu machen. Nach diesem Gesetz, so fährt er fort, könne Grund und Boden innerhalb der Gemeinde von nun an jederzeit enteignet werden. Denn die Gemeinde befinde sich innerhalb eines neuen Investitionsentwicklungsgebietes namens Próspera.

Unter Protest der Gemeindemitglieder versucht der Ortsfremde zunächst seine Ansprache fortzusetzen. Als daraufhin Tumult ausbricht und ihn die Anwesenden bedrängen, wird der Geschäftsmann zunehmend ungehalten. "Hey Leute aus Próspera, beruhigt euch (...), please protect my human rights (...), I’m socially distanced, I’m not hurting anybody, you might have Covid, there might be a law here protecting humans!", ruft er energisch in breitem Englisch in das Mikrophon. Kurz darauf beendet die örtliche Polizei die Veranstaltung, um ein Ausufern der Proteste zu verhindern.

Was für den Betrachter des Videos wie Realsatire anmutet, ist leider kein Scherz. Das Video zeigt auch nicht die Proben zu einem Theaterstück über die frühen Ankünfte der Ostindien-Kompanie in Bengalen oder den Aufbau der Verwaltungsstruktur in Deutsch-Südwestafrika unter Lothar von Trotha. Als konzentrierter Leser haben Sie an dieser Stelle vielleicht auch schon bemerkt, dass Covid ein Phänomen der jüngsten Gegenwart ist und deshalb eine ungute Vermutung.

Genau, Sie haben Recht: Das Video zeigt eine Szene aus dem hier und jetzt, es spiegelt die Realität der Inselgemeinde Roatán auf den Islas de la Bahía in Honduras wieder. Und der findige Geschäftsmann, der seine Rechte auf eine menschenwürdige Behandlung zu kennen meint, ist Erick Brimen, US-Investor, CEO der Investmentgesellschaft NeWay Capital und Präsident der Honduras Próspera LLC. Er hat den versammelten Anwohnern und Anwohnerinnen gerade eröffnet, dass ihre Gemeinde in eine Freie Privatstadt umgewandelt wird. Eine autonome Investorenstadt mit dem Namen Próspera, in der Brimen Mitgesetzgeber, Verwalter von Grundbesitz und Investor in Personalunion ist. Und dass ihm ein Gesetz erlaubt, die Anwohnenden in dieser Funktion zu enteignen.

In Honduras können internationale Investoren im Jahr 2021 Teil eines einzigartigen Projektes unter der Ägide Brimens werden. Sie sind dazu eingeladen, die weltweit allererste Freie Privatstadt zu gründen und dabei nicht nur satte Profite zu ernten, sondern auch mit einem Wirtschaftskonzept zu experimentieren, das sich klassischer Elemente des Kolonialismus bedient. Wer das nötige Budget und etwas Risikofreude mitbringt, darf sich zur Avantgarde einer libertären Bewegung zählen, die in Honduras gerade den Startschuss für die Praxis eines neuen, Investoren freundlichen Kapitalismus bisher ungekannter Qualität gibt. Die Inselgemeinde Roatán ist das Versuchskaninchen in diesem Experiment der Stunde, dessen Konzept sich der deutsche Jurist und ehemalige Vorstandsvorsitzende der Deutsche Rohstoff AG, Titus Gebel, ausgedacht hat.

Wie Gebel sich die optimalen Rahmenbedingungen für das Zusammenleben von Menschen vorstellt, wird nicht nur anhand des Próspera-Projektes deutlich, sondern zeigt sich auch detailliert in seinem Buch namens "Freie Privatstädte: Mehr Wettbewerb im wichtigsten Markt der Welt", welches das dogmatische Fundament für die Investorenstädte in Honduras liefert. Darin beschreibt er – selbst in Monaco lebend – wie weltweiter Wohlstand selbst in den letzten Winkel der Erde gebracht werden soll, indem Entwicklungsländer privaten Betreibergesellschaften Teile ihres Staatsgebietes übertragen, damit diese die betreffenden Territorien als gewinnorientierte Unternehmen anstelle des eigentlich dafür zuständigen Staates verwalten können. Gebel kleidet also altbewährte Modelle aus der Kolonialzeit, in deren Zentrum Konzessionsverträge über Landnutzung stehen, in ein vermeintlich modernes Gewand von Wirtschaftstheorien. Im Ergebnis erlangen internationale Investoren aufgrund weitreichender Deregulierung und massiver Beschränkung von staatlicher Wirkungsmacht im Namen sogenannter "Entwicklungsprojekte" nahezu unbeschränkten Zugriff auf die Ressourcen von Entwicklungsländern.

Auf der Insel Roatán sieht das Resultat einer solchen Zusammenarbeit nun so aus, dass die Próspera-Gemeinde formaljuristisch zur sogenannten ZEDE de North Bay wird. Die Einwohner werden unter Billigung der Zentralregierung in die ZEDE de North Bay umgemeindet und bekommen eine aus ausländischen Investoren zusammengewürfelte und gesetzgebungsbefugte "Regierung" vorgesetzt. Diese Regierung dürfen sie zwar de facto nicht selber wählen, was aber keine Auswirkungen darauf hat, dass die zuständige Betreibergesellschaft sämtliche Befugnisse ausüben darf, um Grund und Boden in der ZEDE de North Bay an Investoren zu veräußern, selbst wenn die Anwohner formal die offiziellen Eigentümer sind – das eingangs erwähnte Gesetz der Zentralregierung, dessen Verlesung zu den Tumulten bei der Gemeindekonsultation geführt hat, macht es möglich. Die Gemeinde wird auch zur Steueroase, damit Investoren Gewinne vor staatlichem Zugriff schützen und verlustfrei ins Ausland transferieren können. Das Vertrauen in den Markt kennt keine Grenzen.

Ihr Vertrauen verloren haben hingegen die Einwohner der Gemeinde Roatán. Sie fühlen sich von den Investoren bedroht und von der Zentralregierung verraten, da sie nicht nur weitgehend entrechtet werden, sondern auch den Verlust ihres seit jeher besessenen Grund und Bodens fürchten. Während sie als honduranische Staatsbürger um ihr Land bangen müssen, kassiert die Zentralregierung einen Anteil in Höhe von 15 Prozent der durch die Betreibergesellschaft erzielten Einnahmen.

Wer nun denkt, die Missachtung von fundamentalen Rechten der Gemeindemitglieder sei das Ergebnis eines projektbedingten Betriebsunfalls, wird leider enttäuscht. Es handelt sich vielmehr um ein systemisches Versagen, das trotz blumig-luftiger Bekundungen der Projektverantwortlichen dem Konzept der Freien Privatstädte und der Weltanschauung seiner mit der Umsetzung betrauten Akteure immanent sein dürfte. Als "Human rights are rights for business", fasst Brimens Betreibergesellschaft den Wertekanon des Projekts auf ihrer Homepage zusammen. Auch Gebel – seines Zeichens promovierter Jurist – hat zu verschiedenen Anlässen bereits zu erkennen gegeben, wie sehr ihm die Rechte der Einwohner von freien Privatstädten am Herzen liegen dürften: Er hält Menschenrechte für Verträge zulasten Dritter.

Das Tragische an den Entwicklungen rund um die Inselgemeinde Roatán ist, dass die Beherrschung von Teilen des eigenen Staatsgebiets durch internationale Konzerne und die damit verbundene Ausbeutung von Rohstoffen für die Republik Honduras kein unbekanntes Phänomen darstellen.

Historisch blickt Honduras auf eine lange Tradition zurück, deren Gegenstand die Vergabe von Konzessionen zur Landnutzung durch ausländische Kapitalgeber war. Allseits bekannt und noch immer in schlechter Erinnerung geblieben sind die Aktivitäten von nordamerikanischen Bananenunternehmen, die auf dem Höhepunkt ihrer Macht beinahe zu kleinen Staaten innerhalb von Honduras mit enormer wirtschaftlicher Potenz und eigenen Söldnerarmeen degenerierten. Die Ausbeutung durch die Gebietskonzessionen hat nicht nur Spuren in Form von unfruchtbaren Böden hinterlassen, sondern auch dazu geführt, dass sich die Konzessionäre im Laufe der Zeit gigantische Flächen des Landes dauerhaft aneignen konnten. Auch wenn der honduranische Staat die damaligen Konzessionen in der Hoffnung erteilte, wenigstens ein kleines Stück vom Kuchen der Wertschöpfung durch die begünstigten Konzerne abzubekommen, hat sich diese Hoffnung bis heute nicht bewahrheitet.

Kein Transfer von Wissen, keine dauerhaften wirtschaftlichen Effekte und nicht im Ansatz so etwas wie Wohlstand für alle. Honduras ist heute – trotz enormer natürlicher Ressourcen – eines der ärmsten, korruptesten und kriminellsten Länder der Welt. José Herrera, Forscher an der Nationalen Autonomen Universität von Honduras, hat zahlreiche Daten zu der damaligen honduranischen Konzessionspolitik ausgewertet. Er kommt zu dem Schluss, dass nahezu sämtliche Gewinne aus jener Zeit einseitig in Richtung der Herkunftswirtschaften des ausländischen Kapitals geflossen sind.

Während also die nordamerikanische Wirtschaft massiv profitierte, stellten sich für die honduranische Wirtschaft so gut wie keine kurz- oder langfristig positiven Effekte ein, mit Ausnahme von temporären und im Übrigen schlecht bezahlten Arbeitsplätzen. Selbst der honduranische Staatshaushalt verzeichnete nur eingeschränkt zusätzliche Einnahmen, da die Konzessionsunternehmen weitgehende Steuerprivilegien genossen und Gewinne abgabenfrei ins Ausland transferieren konnten. Obwohl Honduras wegen dieser Konzessionspolitik bis heute der wenig schmeichelhafte Ruf einer "Bananenrepublik" anhaftet, scheinen die dortigen Entscheidungsträger nichts aus den Erfahrungen der Vergangenheit gelernt zu haben.

Trotz der offensichtlichen Parallelen zwischen der verheerenden Konzessionspolitik zu Beginn des 20. Jahrhunderts und den heutigen Privatstädten, konnte niemand verhindern, dass sich die Geschichte wiederholt. Grund dafür ist der ungebremste Eifer der Regierung. Denn eigentlich war das bereits seit dem Jahr 2009 betriebene Investorenprojekt schon gescheitert. Ein erstes Privatstadtgesetz kassierte das oberste honduranische Gericht, der Corte Suprema de Justicia, bereits im Jahr 2012. Die Richter erteilten dem Vorhaben eine eindeutige Absage, indem sie in ihrem Votum weitsichtig konstatierten, dass das Privatstadt-Projekt die Republik Honduras und sein Staatsgebiet, so nannten sie es, zu reiner "Handelsware" degradieren würde. Abgeordnete, die dem Gesetz zugestimmt hatten, wurden zum Teil wegen Landesverrates angezeigt, nachdem sich landesweiter Widerstand in der Zivilgesellschaft gebildet hatte. Doch in Honduras lässt eine korrupte Eilte es zu, dass Menschenrechtsaktivsten ermordet und unabhängige Richter bedroht werden. Präsidenten können – nach Fälschung von Wahlergebnissen – eine zweite Amtszeit antreten, obwohl die Verfassung eine Wiederwahl nach abgelaufener erster Amtszeit verbietet.

Mit dieser Staatsräson vor Augen erklärt es sich auch, dass das Privatstadtgesetz eine zweite Chance bekam. Im Jahr 2013 bestätigte der Nationalkongress eine nur unwesentlich veränderte Version des zuvor für verfassungswidrig erklärten Gesetzes. Und dieses Mal hielt das Gesetz seiner gerichtlichen Überprüfung stand – denn Präsident Porfirio Lobo Sosa hatte zuvor mit Unterstützung seiner Fraktion im Parlament sämtliche Richter des Corte Suprema de Justicia, die gegen das Gesetz gestimmt hatten, per Dekret ihres Amtes enthoben. Somit war die letzte Instanz der unabhängigen Justiz beseitigt und der Weg für die Privatstädte endgültig geebnet.

Das Privatstadt-Experiment fußt auf einem Justizskandal, der seinesgleichen sucht. Die honduranische Bevölkerung steht infolge von Staatsversagen vor einem riesigen Scherbenhaufen, den sie nur durch die Abschaffung des Privatstadtgesetzes beseitigen kann. Während die Kräfte eines Teils der Bevölkerung im täglichen Aufwand der Subsistenzwirtschaft gebunden sind, kämpft eine breite Koalition aus Intellektuellen, Nichtregierungsorganisationen, indigenen Interessenverbänden, Stiftungen und Gewerkschaften weiterhin gegen das Projekt an. Ende des Jahres 2020 hat die honduranische Anwaltskammer den Nationalkongress in einem Entschließungsantrag dazu aufgefordert, das Privatstadtgesetz für unwirksam zu erklären. Auch wenn die Erfolgsaussichten mehr als ungewiss sind, ist der Widerstand gegen das Projekt bislang ungebrochen.

Bis aber eine Entscheidung ergeht, kann man für Honduras’ Einwohner nur hoffen, dass sich zumindest ein Teil von interessierten Investoren von der derzeitigen Berichterstattung über die Schattenseiten des Privatstadt-Experiments abschrecken lässt oder sich zumindest die Frage nach der Vereinbarkeit mit den eigenen ethischen Standards stellt. Dies gilt selbstverständlich auch für alle anderen beteiligten Akteure, zu denen unter anderem die Technische Universität München zählt.

Besser nicht verlassen sollte man sich derweil auf die Onlineankündigungen aus dem Lager Brimens nach der abgebrochenen Gemeindekonsultation auf Roatán. Brimen habe lediglich auf den entsprechenden Enteignungsartikel hinweisen, aber im Anschluss auch erörtern wollen, dass im Rahmen des Próspera-Projektes davon kein Gebrauch gemacht werden solle – bloß sei er wegen der Tumulte nicht mehr dazu gekommen. Die Frage danach, ob das hier eingeforderte Vertrauen letztlich in den richtigen Händen läge, darf jeder für sich selbst beantworten. Aber, selbst wenn das Próspera-Projekt gerade noch einmal gutginge: Insgesamt sind in Honduras mehr als 15 weitere Privatstädte in Planung.

Armin Rothemann ist wissenschaftlicher Experte für Charter Cities. Seine Dissertation befasst sich mit den menschenrechtlichen Grenzen von Charter-City-Projekten. Er berät hierzu regelmäßig und nimmt an Veranstaltungen teil. Zuletzt war er dabei u.a. für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung tätig.

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