Die neuen offenen Adern Lateinamerikas: Gold, Öl und Avocado

Der englische Journalist Andy Robinson hält die Thesen Galeanos im Wesentlichen für aktuell

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In seinem Buch beschreibt Robinson die Ausbeutung Lateinamerikas
In seinem Buch beschreibt Robinson die Ausbeutung Lateinamerikas

Knapp fünfzig Jahre nach dem Erscheinen des berühmtesten Buches von Eduardo Galeano besuchte der englische Journalist Andy Robinson viele der gleichen Orte. In einem im März veröffentlichten Buch beschreibt er die Ausbeutung Lateinamerikas, Unterschiede und mögliche Gegenstrategien.

"Die offenen Adern Lateinamerikas" das 1971 von Eduardo Galeano erschienene Buch war ein Rundumschlag von der Eroberung des amerikanischen Kontinents bis zur neokolonialen Ausbeutung durch mulitnationale Konzerne. In eindringlichen Worten beschreibt Galeano auf 470 Seiten die Folgen der Eroberung, die Ausplünderung von Mensch und Natur in Lateinamerika als Basis für den Reichtum Europas und einer kleinen nationalen Oberschicht. Kernaussage des Werkes: Wir Lateinamerikaner sind arm, weil der Boden, auf dem wir leben, reich ist.

Der Generation lateinamerikanischer Linker, die um die Jahrtausendwende Regierungsverantwortung erlangen konnten (Lula da Silva, Evo Morales, Rafael Correa, Hugo Chávez) galt es als Standardwerk. Hugo Chávez schenkte es 2009 vor laufenden Kameras dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama, ein Beispiel für die Popularität und Bedeutung des Buches.

In seinem Buch zählt Robinson Koltan, Öl, Lithium, Soja, Niobium und Avocados zu den zentralen Rohstoffen. Ausbeutung und Export dieser Rohstoffe sind eng mit den aktuellen Konflikten in Lateinamerika verbunden, den Putschen in Bolivien und Brasilien, Bürgerrebellionen in verschiedenen Ländern und Umweltkatastrophen.

In einem Interview mit BBC sagte Robinson, er halte die Thesen Galeanos im wesentlichen für aktuell. "Ich glaube nicht, das es Zufall ist, dass die Entwicklungsländer, die ihre wirtschaftliche Entwicklung am ehesten an die reichen Länder angepasst haben, die asiatischen Länder mit wenig natürlichen Ressourcen sind. [...] Ich glaube die Linksregierungen in Lateinamerika haben verstanden, dass es nötig ist, die Ressourcen zu vergesellschaftlichen, um Sozialprogramme zu finanzieren, und konnten so Millionen Menschen aus der Armut holen. Sie haben aber nicht erreicht, sich von der prinzipiellen Abhängigkeit vom Export der Rohstoffe zu befreien".

Den Putsch gegen Evo Morales im November letzten Jahres sieht er deshalb auch im Zusammenhang mit dessen Bestrebungen, eine eigene Lithium verarbeitende Industrie im Lande aufzubauen. In dem südamerikanischen Land liegen die weltweit größten Vorkommen des unter anderem für den Betrieb von Elektroautos notwendigen Rohstoffes.

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Dem Anbau der Avocados ist in dem Buch ein eigenes Kapitel gewidmet. Der Bedarf in den Ländern des Nordens nimmt zu, unter anderem in den USA ist der pro Kopf Verbrauch seit dem Jahr 2000 von einem auf 2,5 kg pro Jahr gestiegen. Dies habe auch tatsächlich zu höheren Gewinnen in den Hauptproduktionsländern Mexiko, Chile und Kolumbien geführt, allerdings sei es ein ungleicher Gewinn. Im mexikanischen Bundesstaat Michoacan beispielsweise sei die Produktion von kriminellen Gruppen kontrolliert. Die Umweltschäden durch den extrem hohen Wasserverbrauch ist ein weiteres gravierendes Problem.

In Galeanos Buch nahmen die Ausbeutung der Bodenschätze und die sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen beispielsweise im Bergbau einen großen Platz ein. Berühmtestes Beispiel: Die jahrhundertelange Ausbeutung mit Millionen Toten des "Silberberges" Cerro del Potosi in Bolivien.

Robinson beschreibt neben den Aktivitäten von Minenunternehmen auch den nichtindustriellen Goldabbau der barqueros in Kolumbien und der garimpeiros in Brasilien. Neben den harten Arbeitsbedingungen kritisiert er vor allem die mit dem Goldabbau verbundene Abholzung der Urwälder, Umweltvergiftung und die Morde an Kleinbauern und Indigenen.

Im Unterschied zur von Galeano beschriebenen Situation beim Anbau von Zucker, Kaffee und Bananen im 17. und 18. Jahrhundert arbeitet die moderne Agrarindustrie bei der Produktion von Soja oder Fleisch nur mit wenig Arbeitskräften.

Um die "offenen Adern" Lateinamerikas zu schließen, sieht Robinson "die Niederlage der neoliberalen Rechten, die in Brasilien, Bolivien und Ecuador wieder an die Macht gelangten" als notwendig an. Bei einer Rückkehr der Linken an die Regierungen hält er es für nötig "ein neues Projekt der Umverteilung und Entwicklung zu beginnen, mit weniger Abbau der Rohstoffe und mehr Kleinunternehmen und alternativen Energien".