Venezuela / Politik

Venezuela: "Wir haben gewonnen! Und was nun?"

Die Revolutionäre Strömung Bolívar und Zamora (CRBZ) aus Venezuela analysiert das Szenario nach dem 20. Mai und schlägt einen Plan vor, um aus der aktuellen Krise herauszukommen

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"Wir haben den notwendigen Sieg bereits erreicht, alles Weitere kann nicht mehr warten", so die größte Basisorganisation Venezuelas, CRBZ
"Wir haben den notwendigen Sieg bereits erreicht, alles Weitere kann nicht mehr warten", so die größte Basisorganisation Venezuelas, CRBZ

Die Revolutionäre Strömung Bolívar und Zamora (Corriente Revolucionaria Bolívar y Zamora, CRBZ) ist die größte und radikalste landesweite Basisorganisation in Venezuela. Zu ihr gehören unter anderen die Bauernorganisation Frente Campesino, die nationale kommunale Front Simón Bolívar, die Bewegung Arbeitermacht, das Zentrum für Bildung und soziale Studien Simón Rodriguez sowie mehrere kommunale Städte und kommunale Räte.

Wir haben gesiegt. Das ist das erste, was wir sagen müssen. Wir haben unter Bedingungen einer erheblichen Herausforderung gesiegt, mit der wir konfrontiert waren. Wir haben gegen Oppositionskandidaten gekämpft und ihnen eine harte Niederlage zugefügt. Und ebenso gegen die Kampagne derjenigen, die mit Unterstützung der USA und ihrer verbündeten Regierungen zum Wahlboykott aufgerufen haben. Die Umstände der Auseinandersetzung, der vierten in weniger als einem Jahr, waren nicht nur im Politischen, sondern auch und vor allem im Materiellen schwierig. Unser Volk vollbrachte einen Akt historischer Größe und wir haben erneut gewonnen.

Die Stimmendifferenz zwischen unserem Kandidaten Nicolás Maduro und dem Zweiten, Henry Falcón ‒ über vier Millionen Stimmen ‒ und dem Dritten, Javier Bertucci, zeigt unsere Stärke, unsere soziale Verankerung, unsere unbedingt nötige Einheit. Die Oppositionellen wurden an den Urnen besiegt und Falcón hat bereits verkündet, dass er die Ergebnisse nicht anerkennen wird. Er erweitert so den Diskurs des Wahlbetruges und verstärkt die Vorstellung von Kreisen der Opposition, dass sich alles nur mit Gewalt lösen lässt. Damit wird die Botschaft weiter gefüttert, die bereits vor den Wahlen festgeschrieben war: Wahlbetrug und in der Folge noch mehr ökonomische und diplomatische Sanktionen.

Auch die Wahlbeteiligung muss analysiert werden. International gesehen entsprechen die Zahlen dem Standard des Kontinentes oder Europas. Nach venezolanischem Maßstab können wir von einer weit geringeren Zahl als bei den letzten Präsidentschaftswahlen und einer relativ stabilen Beteiligung gemessen an den vergangenen Gouverneurs- und Bürgermeisterwahlen sprechen.

Das lässt sich mit zwei Gründen erklären: An erster Stelle die Auswirkungen der Wahlenthaltungskampagne der nationalen und der internationalen Rechten. An zweiter Stelle die Auswirkungen der wirtschaftlichen Erschöpfung, die Lebensbedingungen unseres Volkes und eine Unzufriedenheit mit der Art des politischen Handels eines großen Teils der Staatsführung. Es gab Leute aus den Barrios, der Bauernschaft und dem Chavismus, die nicht gewählt haben, nicht weil sie sich distanziert oder den Hoffnung aufgegeben hätten, sondern weil sie damit beschäftigt sind, die täglichen Widrigkeiten zu bewältigen.

Das sagt uns, dass es eine zentrale Herausforderung gibt, die auf nationaler Ebene angegangen werden muss: verloren gegangene Stimmen zurückgewinnen, die viel mehr als Stimmen, nämlich Unterstützung, Rückhalt, Mehrheit, Hegemonie bedeuten. Wir müssen zu den Politikformen von Chávez zurückkehren und eine sofortige Antwort auf die schweren ökonomischen Probleme geben. Dafür sehen wir es als notwendig an, einen Nationalen Notfallplan in Gang zu setzen, der entschiedene, unkonventionelle und revolutionäre Aktionen beinhaltet.

Wir glauben, dass sich alle Macht und alle Kapazitäten des Landes mit kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen auf vier vorrangige Bereiche konzentrieren sollten. Dies muss mit größter Transparenz behandelt werden: die Prozesse und Mechanismen, die zur Durchführung von Debatten, Diagnosen, Studien, Analysen und zur Anwendung von Maßnahmen und zum Einsatz von Mitteln führen sollen, müssen offen gegenüber dem Land erfolgen. Die ethische Neuausrichtung der öffentlichen Funktionen muss eines der wichtigsten Banner dieser Kampfplattform werden, genau wie die protagonistische Teilhabe des organisierten Volkes am gesamten Prozess, von der Diagnose und Planung bis hin zur Umsetzung und Rechnungsprüfung.

Die nationalen Prioritäten, die wir für unser Land definieren und vorschlagen, sind folgende:

1. Die Produktion von Nahrungsmitteln, vorrangig Grundnahrungsmittel entsprechend den Ernährungsbedürfnissen des Landes. Wir schlagen vor, den Prozess der Neuverteilung des Bodens als Teil der notwendigen Voraussetzungen für die Ankurbelung der nationalen Landwirtschaftsproduktion wieder aufzunehmen. Das revolutionäre Prinzip, in dem das Erbe von Commandante Chávez für die Landwirtschaft weitgehend zusammenfasst ist, muss umgesetzt werden: Das Land dem, der es bearbeitet. Zugleich muss ein Finanzplan für alle produktiven Bereiche aufgestellt werden, insbesondere für Primärgüter. Dazu ist es erforderlich, die Privatbanken in die Schranken zu verweisen, die ohne weitere Kontrolle die nationalen Kredite steuern, welche ein Ergebnis der Ersparnisse aller Venezolanerinnen und Venezolaner sind und die vorzugsweise an die Agroindustrie und andere Sektoren vergeben werden. Ein zentraler Aspekt ist es, eine tiefgehende und transparente Diagnose der staatlichen Agrarbetriebe zu stellen und zu fordern, dass die Leiter unproduktiver Unternehmen ersetzt werden.

2. Das Gleiche muss im nationalen Elektrizitätssystem sowie im Bereich der Telefon- und Internet-Kommunikationseinrichtungen gemacht werden. Die für diese Aufgaben verantwortlichen Leitungsteams müssen unter Beteiligung der Arbeiterinnen und Arbeiter einer strengen und transparenten Überprüfung unterzogen werden. Anhand der Kriterien Sparsamkeit, Einsparungen und maximaler Ressourceneffizienz unter Einbeziehung der Mitverwaltung und Mitverantwortung des organisierten Volkes muss ein Investitionsplan für die Schaffung, die Produktion, die Verteilung, die technologische Aktualisierung und die Wartung der Systeme und Einrichtungen erarbeitet werden; zudem müssen die Arbeits- und Lohnbedingungen für die Arbeitskräfte dieser Bereiche verbessert werden.

3. Ein Plan zur Wiederherstellung und Verbesserung des nationalen öffentlichen Gesundheitssystems mit einem Programm, das sich auf die zentralen und kommunalen Krankenhäuser konzentriert. Dies muss die Wiederherstellung der Infrastruktur vor allem in Schlüsselbereichen wie Notversorgung, Chirurgie und Krankenhausunterbringung sowie die Bereitstellung von Medikamenten, Ambulanzfahrzeugen, chirurgischen Materialien und eine kräftige Gehaltsverbesserung des medizinischen, krankenpflegerischen und sonstigen Personals beinhalten.

4. Die Wiederherstellung und Stärkung des nationalen Bildungssystems mittels eines Plans zur Verbesserung der Infrastruktur und einer Politik der Fürsorge für das Lehrpersonal, die seinen Weggang und die Auswanderung verhindert. Dies sollte auch die Wiederherstellung und Erweiterung der Ernährungsprogramme im Bildungsbereich wie unter anderem die Schulspeisung beinhalten.

Dieser Nationale Notfallplan muss das Ergebnis einer breiten landesweiten Debatte sein, an der alle Sektoren teilnehmen, die jenseits politischer und ideologischer Differenzen der nationalen Entwicklung verpflichtet sind. Es muss ein Kreuzzug des Volkes und der Regierung für das Land sein. Wir brauchen eine realistische Sichtweise, um der schweren Wirtschaftskrise, die die popularen Sektoren und die untere Mittelschicht trifft, wirksam zu begegnen.

Wir wissen, in welchen finanziellen Schwierigkeiten der Staat ist, aber wir wissen auch welche enormen Ressourcen aufgrund von Ineffizienz, mangelhafter Planung, fehlender Kriterien von Sparsamkeit und Priorisierung von Ausgaben verschwendet und fehlgeleitet werden ‒ ohne hier das große Ausmaß an Korruption innerhalb der öffentlichen Verwaltung zu erwähnen. Ein Plan mit diesen Eigenschaften muss die Privilegien eines Gutteils der Bürokraten- und Führungsklasse der Regierung und der PSUV1 beseitigen, die zu einer Elite geworden ist, welche sich von den ernsten Problemen und Nöten der Mehrheit des venezolanischen Volkes abgewendet hat.

Wir bringen diese Gedanken aus einer Position von revolutionärem Realismus im Augenblick eines Wahlsieges und im Kontext einer verschärften Wirtschaftssituation vor, die dringend einer Antwort bedarf. Wir haben den notwendigen Sieg bereits erreicht, alles Weitere kann nicht mehr warten: wir müssen berichtigen und vertiefen. Wir sind mit dem Imperialismus und seinen Verbündeten konfrontiert, mit den Oligopolen, der Oligarchie, und wir Chavisten müssen ihnen entgegentreten, und denen eine Antwort geben, die sie brauchen. So sprechen das Barrio, Leute vom Land und von der Küste, das ist die Stimme von Millionen einfacher Frauen und Männern, die wir dieses Volk sind.

21. Mai 2018

Nationale Koordination der Revolutionären Strömung Bolívar und Zamora

  • 1. Vereinigte Sozialistische Partei Venezuelas