Das wertvolle Erbe des Hugo Chávez

Der Chavismus verkörpert reale Veränderungsprozesse für die Mehrheiten der Bevölkerung, zur Verbesserung des Lebensniveaus

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Venezuelas Präsident Hugo Chávez (Bildmitte) beim Unasur-Gipfel im Jahr 2009 mit seinen Amtskollegen Evo Morales (Bolivien) und Lula da Silva (Brasilien)
Venezuelas Präsident Hugo Chávez (Bildmitte) beim Unasur-Gipfel im Jahr 2009 mit seinen Amtskollegen Evo Morales (Bolivien) und Lula da Silva (Brasilien)

Der nationale Wahlrat hat den 20. Mai 2018 zum Tag der Präsidentenwahl in Venezuela bestimmt. Nach den langen und heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Opposition und dem jetzigen Präsidenten Nicolás Maduro, die bis zum Waffengebrauch mit Todesopfern auf beiden Seiten führten, muß mit einer Schicksalwahl gerechnet werden.

Vorhersagen zum Wahlausgang sind schwierig. Beide Seiten setzen ungewöhnliche Mittel ein, um Wählerstimmen zu gewinnen.

Die Opposition ist offensichtlich gespalten. Ein Teil tritt für einen Wahlboykott ein, mit der erklärten Absicht, die ganze Wahl mit juristischen Mitteln für ungültig erklären zu lassen. Ein anderer, angeführt von einen ehemaligen Unterstützer des verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez, will sich der Wahl stellen.

Die Opposition erhält politische, finanzielle und mediale Unterstützung durch die USA und die Europäische Union. Die Härte der Auseinandersetzung ist unter anderem auch daraus abzuleiten, dass die Opposition im Vorfeld der Wahl auf einen Militärputsch hingearbeitet hatte. (Entführung eines Militärhubschraubers und Beschießung des Präsidentenpalastes, Militärmanöver an den Grenzen, Übungen der 5. Flotte der USA vor Venezuela).

Warum die Furcht der Opposition und ihrer Unterstützungskräfte? Warum die Angst der Opposition vor einem Wahlausgang zu Gunsten der Chavisten?

Chávez gewann 1998 die Präsidentenwahl, mit dem erklärten Ziel, das Gemeinwohl der venezolanischen Bevölkerung anzuheben und eine wirtschaftliche Selbstbestimmung des Landes gegenüber den transnationalen Wirtschafts- und Finanzgruppen zu erreichen. Er stellte der alten Logik des Geldwachstums für wenige Eliten, seine Logik des Wachstums der Lebensqualität der Bevölkerung gegenüber. Damit stellte er das alte System in Frage. Seine Vorstellungen hat er in den Gesprächen mit Ignacio Ramonet erläutert. (Hugo Chávez, Mein erstes Leben, Verlag Neues Leben).

Einige Ergebnisse

Unter seiner Amtsführung konnte Venezuela alle acht Millenniumsziele der Vereinten Nationen in der Zeit von 2001 bis 2015 erfüllen. Dazu gehören die Abschaffung extremer Armut und Hunger, Primarschulbildung für alle, Senkung der Kindersterblichkeit, Verbesserung der Gesundheitsversorgung der Mütter, ökologische Nachhaltigkeit. Die Größe seiner Ideen sind in den Vorschlägen zur Entwicklung des Landes von 2013 bis 2019 nachlesbar (Propuesta del Candidato para la gestion Bolivariana socialista). Mit der verfassunggebenden Versammlung und den Consejos Communales1 erweiterten die Chavisten die Grundlagen der Demokratie. Die Förderung der Genossenschaften entsprach weltweiten Erfahrungen, auch wenn die konkreten Bedingungen in Venezuela noch nicht ausreichend herangereift waren.

Die Alternativen von Chávez stimmten mit den Zielstellungen vieler Politiker lateinamerikanischer Länder überein, die seit langem einen sozialen und wirtschaftlichen Wandel anstrebten. Kuba seit 1959 unter Anstrengungen und mit Erfolg. Die Welt kennt ähnliche Veränderungsversuche in Nikaragua, Chile, Peru, Guatemala, El Salvador, Kolumbien, Bolivien, Ecuador u.v.m. In der kurzen Zeitspanne von 20 Jahren der alternativen Entwicklung in Venezuela wurde die lateinamerikanische Zusammenarbeit bedeutend vertieft. Die zur gegenseitigen wirtschaftlichen und politischen Unterstützung geschaffene Bolivarische Allianz (Alba), Petrocaribe und die Initiative für das Verrechnungssystem Sucre brachten Vorteile für die Teilnehmerländer. Die Bildung der großen Länderbündnisse Union südamerikanischer Nationen (Unasur) und der Gemeinschaft lateinamerikanischer und karibischer Staaten (Celac) ohne die USA und Kanada, stärkte die Solidarität untereinander. Im Hintergrund standen die Gedanken Simón Bolìvars eines Patria Grande.

Die Bedeutung der Wahl am 20. Mai 2018

Bei der Präsidentenwahl 2018 geht es also um die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung strategischer Konzepte für Venezuela und Lateinamerikas. Der finanzmarktgetriebene Kapitalismus und die Opposition dagegen wollen ihr internationales Geschäftsmodell in Lateinamerika durchsetzen und sehen sich gefährdet. Die venezolanische Opposition und ihre Unterstützer aus der westlichen "Wertegemeinschaft" nutzen die schwierige Lage, die sie selbst mit herbeigeführt haben. Eines ihrer Wahlkonzepte: Den Chavismus als Schreckgespenst zu diskreditieren. Doch er ist kein Mythos oder Utopie, er verkörpert reale Veränderungsprozesse für die Mehrheiten der Bevölkerung, zur Verbesserung des Lebensniveaus. Verlieren die Chavisten, werden auch der Alba-Verbund und die Celac um Jahre zurück geworfen.

Wenige Wochen vor der Wahl bleibt die Hoffnung auf die Vernunft und die Kraft der Wahrheit. Vieleicht könnten im katholischen Lateinamerika Worte von Franzikus I. zum Nachdenken anregen. In seinem jüngsten Lehrschreiben von 48 Seiten (Gaudete et exsultate) mahnt er unter anderem die Christen "den gesellschaftlichen Wandel anzustreben" und "für das Gemeinwohl zu kämpfen".

Tiefe Eindrücke hinterlassen die Bücher des Venezolaners Miguel Otero Silva "Der Tod des Honorio" oder "Ich weine nicht", in denen er die Zustände vergangener Zeiten des Elends und des Raubes des Landesreichtum in Venezuela beschreibt.

Nicht vergessen werden sollte, dass gesellschaftliche Veränderungen eines Landes nie linear verlaufen. Große Transformationen und komplexe Reformen im Landesmaßstab benötigen Zeiten, oft über Generationen hinweg. Es sind immer Prozesse, die je nach Grad der Widersprüche mal schneller, mal langsamer voran kommen; sie bewegen sich durch Aktion und Gegenaktion. Auch mal rückwärts, je nach Druck der Opposition oder eigener Fehler. Der Gesamtprozess kann kaum vom Ziel abgebracht werden, wenn er in seiner Gesamtheit den historischen Fortschritt verkörpert, wie der Chavismus einzuordnen ist.

Mexiko kennt viele schöne Sprichworte. Darunter "Alles ist möglich, wenn es im Frieden geschieht" (Todo es possible en la paz). Das ist den Venezolanern für die noch bleibende Zeit vor und während der Wahl zu wünschen.

Günter Buhlke war von Ende der 1960er Jahre bis 1983 als Handelsattaché an den Botschaften der DDR in Mexiko und Venezuela tätig

  • 1. Die Consejos Comunales, Kommunale Räte, bestehen aus gewählten Nachbarschaftsvertretern und sind zur Planung und Haushaltsgestaltung in lokalpolitischen Angelegenheiten berechtigt. Die Zusammenschlüsse der Räte auf lokaler Ebene bilden die Kommunen. Diese Selbstverwaltung soll die Grundlage für den Kommunalen Staat bilden. Ziel der chavistischen Bewegung ist dabei die Selbstregierung des Volkes und die Überwindung des bürgerlichen Staates. Chávez bezeichnete sie als die "Zellen" eines neuen sozialistischen Staates und ihren Aufbau als wesentliches Element des bolivarischen Prozesses.