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"Die Hegemonie der großen Medien zur Diskussion stellen"

Pedro Brieger von der argentinischen Nachrichtenseite Nodal über alternative Berichterstattung zu Lateinamerika und die Kooperation mit amerika21

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Der argentinische Journalist Pedro Brieger, Gründer der Nachrichtenseite nodal.am
Der argentinische Journalist Pedro Brieger, Gründer der Nachrichtenseite nodal.am

Die Pressefreiheit ist ein Menschenrecht. Warum ist sie so wichtig?

Weil Pressefreiheit Grenzen hat. In einigen Ländern darf nicht alles uneingeschränkt gesagt werden. Wenn es zum Beispiel um das Thema Genozid geht. Die Pressefreiheit soll garantieren, dass Meinungen frei geäußert werden. Sie sorgt auch dafür, dass Medien das Handeln von Regierungen und Politiken hinterfragen dürfen.

Trotzdem steht Pressefreiheit in einem Spannungsfeld. Einerseits haben wir das Menschenrecht und die Freiheitsrechte auf unserer Seite. Andererseits muss der Anspruch, etwa über Rassismus oder Genozid zu berichten, oftmals verteidigt werden. Ein anderer Aspekt ist, um Ihnen ein Beispiel zu geben, ob irgendwann einmal sexistische Äußerungen verboten werden, die die Hälfte der Bevölkerung angreifen aber wegen des Gebots der Pressefreiheit erlaubt sind.

Laut der internationalen Nichtregierungsorganisation Artikel19 gab es im Jahr 2016 allein in Mexiko 69 Angriffe auf Journalisten. Darunter sind drei Fälle, in denen Journalisten getötet wurden. In den ersten Monaten dieses Jahres wurden in Mexiko bereits fünf Journalisten wegen der Ausübung ihres Berufs getötet. Beeinträchtigt das auch die Arbeit von Nodal?

Die Redakteure von Nodal sind niemals bedroht worden. Unsere Arbeit ist bisher unberührt von den Angriffen auf Journalisten. Das rührt wohl auch daher, dass wir eine dezentrale Redaktion sind. Das heißt, es gibt kein Redaktionsgebäude, sondern wir arbeiten von überall in Lateinamerika und der Karibik aus. Da sind wir flexibler und daher schwerer angreifbar.

Welches sind die Schwerpunkte in der Berichterstattung von Nodal?

Nodal berichtet über Lateinamerika und die Karibik. Es ist das erste Mal, dass ein Portal ausschließlich Nachrichten aus der Region bringt. Bis heute entstehen die meisten Nachrichten über Lateinamerika und die Karibik in den Redaktionen der großen europäischen und US-amerikanischen Nachrichtenagenturen. Nodal ist gegründet worden, um dazu beizutragen, dies zu verändern.

Es ist erstaunlich, dass dies heute noch so ist. Trotz des technologischen Fortschritts und der Entwicklung des Journalismus. Darüber, was in Paraguay oder Peru passiert, wird paradoxerweise von einer Agentur berichtet, die ihren Sitz etwa in Madrid hat. Andere Beispiele sind die dpa in Deutschland, AFP in Frankreich, UP in den USA oder Reuters.

Das besondere an Nodal ist, dass 95 Prozent der Nachrichten, die wir über Lateinamerika und die Karibik bringen, von Medien aus der Region kommen. Die meisten Massenmedien sind heute von den großen Agenturen abhängig, weil sie Medienkooperationen haben. Daher ist es fast ausgeschlossen, dass etwa eine uruguayische Zeitung eine Nachricht eines chilenischen Radiosenders oder Blogs übernimmt. Das gilt nicht für Nodal, weil wir diese Begrenzung nicht haben. Unsere Arbeit ist im Grunde das Wiedergeben, wir sind frei in der Wahl unserer Quellen.

Um bei dem Beispiel zu bleiben. Wir können die Nachrichten einer Lokalzeitung, eines Blogs, eines Radiosenders oder von einer Webseite in unsere – dadurch sehr breite – Berichterstattung aufnehmen. Wir greifen etwa einen Konflikt im südlichen Chile auf, über den ein Bericht bei einem Radiosender oder einer Zeitung herausgegeben von Mapuche-Indigenen erscheint. Da sind wir frei und unabhängig von den großen Medienanstalten in den Hauptstädten.

Welche Rolle haben unabhängige und alternative Medien im Verhältnis zur Berichterstattung großer Medienkonzernen in Lateinamerika?

Ich glaube, der größte Fehler, den unabhängige und alternative Medien machen, ist, dass sie sich hinten anstellen in der Schlage der großen internationalen Nachrichtenagenturen, die nach wie vor bestimmen, was auf die Agenda der Massenmedien gelangt. Außerdem sollten sie die Hegemonie innerhalb der Kommunikationsmedien anfechten und zur Diskussion stellen.

Im Allgemeinen definieren sie sich als alternativ zu großen Medien und unabhängig von den politischen Machthabern. Im Unterschied dazu sieht sich Nodal nicht als alternatives Medium, da dies allgemein mit marginal, klein und wenig Reichweite assoziiert ist. Unser Hauptziel ist es vielmehr, diese Vorherrschaft einiger Kommunikationsmedien und die Gesetzmäßigkeiten dieser Informationslage in Frage zu stellen. Nodal versteht sich daher als Zugangsportal zu Nachrichten über und aus Lateinamerika und der Karibik für die ganze Welt.

Ich gebe ein Beispiel. Alle Parlamentarier in Deutschland, die Politik in den lateinamerikanischen Ländern verfolgen, unabhängig von ihrer Partei, sollen sich in erster Linie über Nodal informieren. Anstatt, dass sie ihre Information von den großen internationalen Nachrichtenagenturen beziehen. Insofern setzt sich Nodal vom Konzept des alternativen Mediums ab. Klar, sind wir unabhängig von der Politik aber wir möchten uns nicht mit dem Begriff des alternativen Mediums identifizieren, sondern uns als Hauptnachrichtenquelle aus der Region etablieren.

Und was bedeutet für Sie in diesem Zusammenhang die Kooperation mit amerika21?

Dass amerika21 als deutschsprachiges Portal über Lateinamerika und die Karibik berichtet, halten wir für sehr wichtig, deswegen sind wir auch gerne die Kooperation eingegangen. Wir suchen die Zusammenarbeit derjenigen weltweit, die über Themen aus der Region berichten. Wir sichern uns damit auch die Außenperspektive in unserer Berichterstattung. Denn wer die Region bereist und sie kennt, berichtet anders als jemand, der von hier stammt. Mit amerika21 verbindet uns außerdem eine ähnliche Haltung zu den Grundprinzipien unserer Arbeit.