Mexiko / Politik / Kultur

Musik und Grafik aus und über Mexiko

Der Rap- und Reggae-Sänger Lengualerta und der Künstler und Videoproduzent GranOM sprachen mit amerika21 über die Lage in Mexiko, ihre Zusammenarbeit und Solidarität

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Lengualerta und GranOM beim Gespräch mit amerika21 in Hamburg
Lengualerta und GranOM beim Gespräch mit amerika21 in Hamburg

Wie begann die Zusammenarbeit zwischen Lengualerta und GranOM?

GranOM: Als ich vor 2010 in Valencia, Spanien, lebte, habe ich im Radio die Musik von Lengualerta gehört, es hat mir so gut gefallen, dass ich aus dem Internet ein paar Lieder von ihm herunterlud. Zu dem Zeitpunkt wusste ich nicht, dass Lengualerta Mexikaner ist. Kurz danach hat mich eine Freundin in Valencia besucht und mir von ihrer Freundin erzählt, die Lengualerta gut kannte. Das war ja ein Zufall! Wir haben uns kontaktiert und Monate später in Mexiko-Stadt getroffen. Damals habe ich Lengualerta gleich den Vorschlag gemacht, ein Videoclip über eines seiner Musikstücke zu machen. Zunächst war er etwas misstrauisch und hat aber dann doch zugesagt.

Wir haben dann die zapatistischen Gemeinden aus Oventik, Chiapas, kontaktiert und gefragt, ob wir ein Video mit ihnen und Lengualerta machen könnten. Die Zapatisten waren damit einverstanden. Als wir mit dem Team und mit den ganzen Kameras in Oventik ankamen, haben die Zapatistas uns gesagt, dass die Lage in den Gemeinden aufgrund der starken Anwesenheit des Militärs sehr angespannt sei und es keine guten Bedingungen gebe, das Video zu drehen. Wir haben deren Einwände verstanden und respektiert. Aber da wir schon das Team und das Material dabeihatten, drehten wir dann in wenigen Tagen zwei Videoclips für die Titel "Reverdeciendo" und "Tu Nombre".

Das ist schon fünf Jahre her, und wir arbeiten immer noch zusammen. Aus dieser Zusammenarbeit hat sich eine tiefe Freundschaft entwickelt. Wir haben uns durch die Arbeit kennengelernt, und unsere Freundschaft verstärkt sich durch die kreative Arbeit und durch den Austausch von Ideen und Meinungen.

In Mexiko und Lateinamerika sind Lengualerta und GranOM bekannte Künstler. Hier in Europa und konkret in Deutschland nicht so sehr. Wie ist die Idee, durch Deutschland eine Tour zu machen, entstanden?

Lengualerta: Ich war bereits im Jahr 2000 in Deutschland. Ich war damals Gastsänger bei der mexikanischen Band TijuanaNO!, die durch Deutschland tourte. Damals habe ich viele Leute aus der Szene kennengelernt, und 2004, 2009 war ich mit einem DJ in Deutschland unterwegs. Ich habe auch mit lokalen Sound Systems gesungen.

2012 und 2014 war ich wieder in Deutschland. Im vergangenen Jahr habe ich Karsten Frehe aus Hamburg kennengelernt. Er hat mich nach Deutschland eingeladen. Als er die grafischen Arbeiten von GranOM gesehen hatte, fragte er mich, ob GranOm Interesse hätte, seine Arbeit in Deutschland zu präsentieren.

GranOM, wie kam Dir die Idee, Plakate zu machen? Hattest du schon vorher mit der Technik der Druckgrafik gearbeitet?

GranOM: Meine ersten Erfahrungen mit grafischen Techniken hatte ich, als das Massaker in Atenco (2006) stattfand. Ich war damals mit der Caravana Zapatista zusammen unterwegs, als unsere Reise aufgrund der massiven Polizeiangriffe auf die Gemeinde von Atenco unterbrochen werden musste.

Ich habe mich zu der Zeit sehr für grafische Arbeiten in Mexiko interessiert und als der Konflikt in Atenco eskalierte, wollte ich darüber informieren. Ich habe dann Themen entworfen, die Plakate selbst gedruckt, sie öffentlich platziert und auf Demonstrationen verteilt. Das Massaker in Atenco war der Anfang dieser Arbeit.

Später, im Jahr 2010, als ich von Spanien nach Mexiko zurückkam, war mir klar, dass ich noch viel mehr mit Grafik arbeiten wollte. Ich habe dann viele Plakate gedruckt. Mit zunehmender Popularität der sozialen Medien wurden viele meiner Plakate ins Netz gestellt. Das hat viel dazu beigetragen, meine Arbeit bekannter zu machen. Seitdem arbeite ich daran. Ich versuche mit meiner Arbeit die sozialen Bewegungen in Mexiko zu visualisieren. Karsten aus Hamburg war von meiner Arbeit sehr angetan und hat mich zusammen mit Lengualerta nach Deutschland eingeladen. Es ist das erste Mal, dass ich in Deutschland bin.

Die Lage in Mexiko ist sehr schwierig. Es gib ständige Menschenrechtsverletzungen. Journalisten werden ermordet. Wie macht Ihr Eure Arbeit? Habt Ihr Drohungen wegen Eurer Arbeit bekommen?

Lengualerta: Diese Frage wurde mir oft gestellt. Aber nein, ich habe bis heute keine Einschüchterungen oder Drohungen wegen meiner Arbeit bekommen. Ich schließe nicht aus, dass es eines Tages so weit sein könnte, aber ich zerbreche mir deswegen nicht den Kopf.

GranOM: Wir sind uns bewusst, dass es gefährlich werden könnte, aber wir machen vor allem kulturelle Arbeit, das ist doch ein sehr mächtiges Mittel, um Botschaften in die Gesellschaft zu tragen, aber die Politiker in Mexiko sind sich dessen nicht bewusst, da für sie Kultur nur in Form von kommerzieller "Kultur" existiert.

Ich denke, wir, die kulturelle Arbeit machen, sind für die mexikanischen Politiker unsichtbar. Viel gefährlicher ist es für die Aktivisten, die ihr Land verteidigen oder Straßen sperren und Forderungen erheben. Sie sind die unbequemen Aktivisten, wir eher nicht. Wir machen die Arbeit der Aktivisten nur sichtbar und versuchen damit eine Art Schutzpanzer für sie zu bauen, in dem wir ihren Kampf bekannt machen.

Kurz nach den Massaker in Iguala, wo die 43 Lehramtsstudenten angegriffen, festgenommen und weitere sechs Personen ermordet wurden, seid Ihr nach Ayotzinapa zu den Eltern der Verschwundenen gefahren und habt das Video "For Those" gedreht. Wie war das Treffen mit ihnen?

GranOM: Das Lied hatte Lengualerta bereits geschrieben, es ist auf seiner letzten CD erschienen. Ich hatte die Idee mit dem Lied etwas zu machen, da der Text sehr gut ist. Bei dem Konflikt in Ayotzinapa wussten wir, dass wir über das Thema sprechen müssen. Ich wollte auch den Konflikt visualisieren. Als wir nach Ayotzinapa ankamen, waren die Eltern sehr müde, aber vor allem waren sie sehr misstrauisch den Medien gegenüber. Sie wollten überhaupt nicht mehr mit Journalisten sprechen. Wir haben unsere Arbeit vorgestellt, und letztendlich waren sie und die Kommilitonen der 43 Lehramtsstudenten einverstanden, und wir konnten mit dem Drehen anfangen.

Wie seht Ihr Mexiko aktuell?

Lengualerta: Mexiko befindet sich im Niedergang. Das, was wir jetzt erleben, hat bereits vorher angefangen. Mein Eindruck ist, dass sich der Prozess mit der Machtübernahme von Peña Nieto beschleunigt hat. Heutzutage sind die Politiker viel zynischer: Sie haben keine Hemmungen mehr, die Bevölkerung anzulügen und dabei die Massenmedien zu benutzen.

GranOM: Ja. Die Politiker sind arroganter, sie verachten die ganze Bevölkerung. Das Einzige, was sie wollen, ist mehr Geld und mehr Macht. Zu den Armen und nach unten sehen die Politiker gar nicht mehr.

Alles ist viel schwieriger geworden: immer mehr Polizeiübergriffe, mehr Straflosigkeit, mehr Machtmissbrauch. Das Land zerbricht, und es sieht gar nicht gut aus. Mexiko befindet sich eigentlich im Kriegszustand, aber für die großen Konzerne und für die Politiker haben wirtschaftliche Interessen Vorrang.

Aber wenn wir über Mexiko hinaussehen, beobachten wir, dass die ganze Welt in einer Krise ist, vor allem in humanitärer Hinsicht. Die Antwort darauf ist noch mehr Solidarität und weniger nationaler Egoismus.

Was ist die Aufgabe eines Musikers wie Lengualerta und eines Künstlers wie GranOM mitten in dieser humanitären Krise?

Lengualerta: Der Dialog. Wir sollen im konstanten Dialog mit der Gesellschaft sein. Wir dürfen nicht schweigen, wir wollen andere Wege gehen, um die Gesellschaft zu verändern. Auch wenn diese Veränderungen nicht in kurzer Zeit gemacht werden können. Ich könnte, wie viele andere Musiker, Liebeslieder singen, aber dann würde ich nicht zufrieden sein. Ich singe über das, was sich in Mexiko und in der Welt verändern muss.

GranOM: Unsere Rolle ist es auch, andere zu bewegen und über das, was in Mexiko, in Deutschland oder irgendwo passiert, zu informieren und zu sensibilisieren. Wenn das plötzliche Verschwindenlassen von 43 jungen Männern zwischen 17 und 20 Jahren keinen Anstoß erregt, dann haben wir ein Problem. Wenn der Tod von 700 Flüchtlingen im Mittelmeer keine Erschütterung hervorruft, dann haben wir ein Problem.

Unsere Rolle ist es, über das, was in der Welt passiert, laut zu sprechen. Das deutsche Publikum kann nicht den Konflikt in Ayotzinapa lösen, aber wenn es darüber sensibilisiert und informiert wird, haben wir schon vieles getan.

Wie ist die Reaktion des deutschen Publikums auf Eure Arbeit, vor allem wenn Ihr die Gewalt in Mexiko zeigt?

GranOM: Geschockt! Das Publikum in Deutschland ist von der Gewalt in Mexiko geschockt. Sie können es sich nicht vorstellen. Aber das ist eine normale Reaktion. Ich, zum Beispiel, kann mir die Lage in Syrien oder Libyen nur sehr schwer vorstellen, aber ich kann mich mit den Opfer solidarisieren, und darum geht es gerade.


Lengualerta und GranOM sind in Deutschland mit "Wake The Town" auf Tour, um ihre Kunst vorzustellen:

08.05. – Münster / Triptychon

09.05. – Dresden / Groovestation

13.05. – Jena / Rosenkeller

14.05. – Köln / Soinc Ballroom

15.05. – Marburg / KFZ

23.05. – Berlin / Yaam

29.05. – Kassel / Frühlings Fest

30.05. – Birkenfeld / Green Hill Fest