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Veränderungen nach kubanischem Rhythmus und Stil

Dem Veränderungsprozess in Kuba mangelt es nach Meinung vieler an Tempo und Transparenz

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Leonardo Padura
Leonardo Padura

Seitdem die kubanische Regierungsführung im Jahr 2008 effektiv von Fidel Castro und seinem tribunhaften Impuls zum schlichten und pragmatischen Stil seines Bruders Raúl überging, haben die Wirtschaft und Gesellschaft Kubas eine ganze Reihe mehr oder weniger bemerkenswerter Veränderungen erfahren, die nach Meinung vieler zu langsam vorangehen.

Für ihre Konstrukteure, den Präsidenten selbst eingeschlossen, sind diese Veränderungen mit der notwendigen Vorsicht gekommen, um die verkündeten Hauptziele zu erreichen: Die kubanische Wirtschaft auf den neusten Stand zu bringen und effizient zu machen, ohne Schock-Politiken im neoliberalen Stil oder die für Krisenzeiten typischen Maßnahmen-Pakete anzuwenden.

Die Kritiker der Geschwindigkeit, der die Veränderungen unterworfen werden, bringen als grundlegendes Argument vor, dass die reale, historische Zeit ablaufen könnte, in der die von langen Krisenjahren gebeutelte und stagnierende Gesellschaft und Wirtschaft umgestaltet werden können.

Die Rechtfertigung des Staates ist indes, dass es keinen Spielraum für Improvisationen und Fehler gebe, weshalb die Umstellungen nur zur richtigen Zeit und im richtigen Ausmaß durchgeführt werden dürften, damit das politische System nicht unter einer plötzlichen Abänderung der ökonomischen Strukturen zusammenbreche.

Eine der Besonderheiten dieser Politik der "Anpassungen", die mit bedächtigem Tempo umgesetzt werden, ist die Geheimnistuerei, die sie umgibt.

Beim jüngsten öffentlichen Auftritt des Präsidenten zum Abschluss der parlamentarischen Tätigkeiten im Jahr 2013 trat diese Eigenschaft zutage, als er die erwartete und notwendige Änderung des Gesetzes über Auslandsinvestitionen verkündete, ohne ein einziges Detail des neuen Gesetzeswerkes zu enthüllen, das die Insel (was erwartet und gebraucht wird) für ausländisches Kapital attraktiv machen soll, um – neben anderen Missständen – die ramponierte Infrastruktur des Landes zu modernisieren, dessen eigene Mittel für solche Belange nicht ausreichen.

Aber wenn das Thema diskutiert und in wenigen Monaten das neue Gesetz verabschiedet wird, warum keine Auskunft über seine wichtigsten Neuerungen geben?

Etwas mehr oder weniger Ähnliches ist mit dem angekündigten Prozess der Vereinheitlichung der Währung geschehen (im Land zirkulieren zwei Arten des Peso, von denen eine in Anlehnung an den Dollar und andere Devisen notiert ist). Darüber weiß man gerade so viel, als dass er zunächst den kaufmännischen und unternehmerischen Sektor und dann die Bürger betreffen soll. Darüber, wie und wann die notwendigen Abwertungen und Neubewertungen kommen sollen, die auf das Zusammenführen der beiden Währungen abzielen, weiß man jedoch wenig, obwohl das Thema von höchstem öffentlichem Interesse ist.

Kürzlich ist dasselbe passiert, als die Änderungen der Politik für den Autohandel verkündet wurden, die nach mehr als einem halben Jahrhundert der Beschränkungen und Mangelerscheinungen freier gestaltet wird. Bekannt ist nur, dass Autos an diejenigen verkauft werden, die sie kaufen können, mit der Zusatzinformation, dass sie zu Preisen angeboten werden, die heutzutage vom privaten Markt ausgehandelt würden – also zum Preis, den eine Flasche Wasser am entlegensten Ort der Sahara hätte.

Denn in einem Land, in dem der Automobilmarkt ein halbes Jahrhundert lang von Verboten, gelenkten und streng limitierten Verkäufen sowie von bereits unerschwinglichen Preisen regiert wurde, ist das Auto – da es so rar und schwer zu erwerben ist – zum am höchsten geschätzten Handelsobjekt geworden – mehr noch als die Wohnung.

Werden also Gebrauchtwagen, die fast bis auf den letzten Kilometer ausgefahren wurden, zum ähnlichen Preis verkauft, den ein neues Fahrzeug auf jedem anderen Markt der Welt kosten würde? Und wie hoch werden dann Neuwagen im Kurs stehen? Niemand (von denen, die an ihnen Interesse hätten) kann das mit Sicherheit wissen und die so sehnlich erwartete Ankündigung, dass man Autos verkaufen werde, gibt auch keine Aufklärung… weil entschieden wurde, die Details geheim zu halten, bis der Moment gekommen ist, in dem die Regierung entscheidet, sie öffentlich zu machen.

Hin und wieder hat dieser Mangel an Transparenz wie ein Element funktioniert, das sehr deutlich die Interessen der Bürger verkennt.

Um ein weiteres Beispiel zu geben, haben die Behörden, wie allseits bekannt, vor einigen Jahren eine Kampagne gegen die administrative und staatliche Korruption gestartet. Aber es gibt wenig offizielle Informationen über die Ergebnisse und noch weniger über die bemerkenswertesten Ereignisse, auch wenn – und die Behörden sind sich dessen bewusst – diese auf gewundenen Wegen zur Bevölkerung durchsickern.

Das ist der Fall bei Filmaufnahmen vieler polizeilicher und steuerlicher Operationen, die auf tragbaren Datenträgern von Hand zu Hand zirkulieren. Darauf sind Polizeieinsätze zu sehen, wie gegen "das Personal vom kommunalen Dienst" oder "die Leiter des Supermarktes auf der Straße Carlos III", und sie werden von den Bürgern abwechselnd mit den täglichen Telenovelas angeschaut.

Warum wird nicht mehr über eine Kampagne berichtet, die alle interessiert und angeht? Ist die Korruption nur ein Problem polizeilichen Interesses oder ist sie auch ein sozialer Missstand, der mit den Betroffenen erörtert werden sollte?

Und wie wird die so genannte Sonderentwicklungszone von Mariel (ZEDM) funktionieren, "die sich gleichzeitig in einen wichtigen Anziehungspunkt für ausländische Investitionen und in Industriegebiete für die Erprobung moderner Technologien und Methoden der Unternehmensführung verwandeln soll", wie Raúl Castro zum Abschluß der parlamentarischen Sitzungsperiode sagte?

Und welche Schritte kann und will man unternehmen, um die gewünschte Normalisierung der Beziehungen zwischen Kuba und den USA zu erreichen – willens, "eine zivilisierte Beziehung zwischen den beiden Ländern wiederherzustellen, wie es unser Volk und die große Mehrheit der US-Bürger und der emigrierten Kubaner wünscht"?

Das Drehbuch für diese Geschichte scheint Spannung zu beinhalten. Für den Moment können wir uns nur ausmalen, wie sich die Handlung weiterentwickeln wird – bis die Geheimnisse gelüftet werden, so wie es uns die alten Meister der kubanischen Radionovelas des vergangenen Jahrhunderts lehrten. Wir Kubaner sind in diesen Übungen trainiert.

Havanna, 26. Dezember 2013


Leonardo Padura, kubanischer Schriftsteller und Journalist, ausgezeichnet mit dem kubanischen Nationalpreis für Literatur 2012. Seine Werke wurden in mehr als 15 Sprachen übersetzt und sein neuester Roman "Herejes" (Ketzer) ist eine Reflexion über die individuelle Freiheit.