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Wenn die Pflicht ruft...

Kubanische Medien kritisieren das Computerspiel "Call of Duty: Black Ops" für seine Gewalttätigkeit und seine inhaltliche Ausrichtung

Das Computerspiel "Call of Duty: Black Ops" ist ein Kassenschlager. Bereits am ersten Verkaufstag wurden in den USA und Großbritannien 5,6 Millionen Spiele verkauft und bescherten der Firma Activision-Blizzard damit 264 Millionen Euro Umsatz. Inhaltlich zielt der Ego-Shooter auf Kuba und Vietnam. In dem Plot sollen Spieler den Kalten Krieg mit heißen Mitteln gewinnen. Gleich in der ersten Etappe besteht die Aufgabe darin, im Jahr 1962 den kubanischen Präsidenten Fidel Castro zu ermorden. Zusätzlich kompliziert wird diese Mission, weil die Spieledesigner dafür sorgen, dass Castro sich in dieser Szene hinter einer Frau versteckt. Weitere Einsätze kosten dutzenden Vietnamesen und Osteuropäern das Leben.

Die kubanische Presse kritisierte den Plot einhellig und in scharfen Worten. "Was die USA in 50 Jahren nicht geschafft haben, versuchen sie jetzt auf dem virtuellen Weg", kommentiert das Online-Portal cubadebate.cu. Nicht nur dass "Call of Duty" die Attentate glorifiziere, welche die US-Regierung illegal durchführe, das Spiel stifte außerdem amerikanische Jugendliche zu "soziopathischen Handlungen" an. Die Zeitung der kommunistischen Jugend, Juventud Rebelde, bezeichnete das Actionspiel sogar als "ein Vergnügen für Psychopathen".

Solcherlei Kritiken sind nicht neu, verhallen aber seit Jahren ohne größere Resonanz im medialen Raum. Als mit "Mercenaries 2: World in Flames" im Jahr 2006 ein Einmarsch in Venezuela durchgespielt wurde, wo ein "machthungriger Tyrann sich in die Ölversorgung einmischt und eine Invasion anzettelt", gab es ähnliche Vorwürfe. Das Spiel glorifiziert "den Hass und die erpresserische Söldner-Kultur", mahnte Chuck Kaufman von der Alliance for Global Justice. Diese Art von Spielen popularisiere das "Recht der Vereinigten Staaten in anderen Ländern militärisch zu intervenieren." Kaufman verwies zudem darauf, dass die Herstellerfirma Pandemics dem Krieg nahe steht. "Das ist keine Fiktion", so der Friedensaktivist.

Unabhängig von der Frage, wie direkt das Pentagon bei der Entwicklung neuer Interventionsspiele involviert ist, lässt sich feststellen, dass die Spieleentwickler den ideologischen Vorgaben der US-Außenpolitik immer weit vorauseilen. So spiegeln die Ziele in diesen Computeranimationen die jeweiligen außenpolitischen Konfliktlinien wieder.

Desensibilisierung und Akzeptanz von Gewalt

Welche Wirkung Computerspiele haben, ist seit ihrer Entstehung Gegenstand kontroverser Debatten. Während die Kulturindustrie einhellig jede negative Wirkung abstreitet und regelmäßig eigene Studien in Auftrag gibt, um diese Harmlosigkeit belegen zu lassen, behaupten Kritiker gerne, gewalttätige Computerspiele würden zu gewalttätigen Handlungen verleiten. Diese Befürchtung klingt auch in dem Beitrag von cubadebate.cu an. Zwar haben einzelne Amok-Läufer sich mit Ego-Shootern in Stimmung gebracht, aber ebenso offensichtlich hat die zunehmende Verbreitung von immer realistischer gestalteten Ballerspielen die Gewaltkriminalität nicht erhöht.

Einen neuen Ansatz, der diese Scheindebatte überwindet, wählte in diesem Jahr der US-Forscher Jordan Grafman vom US National Institute of Neurological Disorders mit einem experimentellen Design. Im Gegensatz zu früheren Studien, die sich oftmals auf Selbstauskünfte der Spieler stützten, maßen die Forscher zusätzlich die Hirnaktivitäten und den Hautwiderstand der Probanden, denen unterschiedlich gewalttätige Videosequenzen vorgespielt wurden. Das Ergebnis bestätigt eindeutig, dass der Konsum von gewalttätiger Fiktion abstumpft bzw. desensibilisiert.
 
Die Probanden bewerteten nach mehrmaligem Sehen die Videos mit mittlerem oder hohen Gewaltniveau nicht nur als weniger gewalttätig, sondern wiesen auch einen geringeren Hautwiderstand und eine verminderte Aktivitäten im so genannten orbifrontalen Kortex auf, was auf eine gesunkene emotionale Beteiligung hinweist. Dies traf besonders auf Jugendliche zu, die in ihrem alltäglichen Leben ohnehin gewalttätige Videos oder Spiele konsumieren. Ausgiebiger Konsum von Gewaltdarstellungen führt dazu, dass Menschen eine höhere Akzeptanz auch gegenüber realer Gewalt entwickeln, so der Forscher im Oxford Journal Social Cognitive and Affective Neuroscience (PDF).

Fiktionale Inhalte beeinflussen das Weltbild

Eine weitere Frage ist, ob inhaltliche Vorgaben fiktionaler Medienformate - etwa aus Computerspielen - einen Einfluss auf die Einstellungen der Konsumenten haben. Den diesbezüglichen Stand fasste vor kurzem der ARD-Forschungsdienst zusammen (PDF). Besonders interessant ist hier eine Untersuchung von Brian Quick, der einen eindeutigen Zusammenhang herstellen konnte zwischen der Häufigkeit, mit der Personen Krankenhausserien konsumieren, und ihrem Bild von Medizinern. Die Vielseher hatten gegenüber den Wenigsehern ein positiveres Bild von Ärzten. Sie hielten sie für couragierter und engagierter. Häufige Seher fühlten sich sogar bei ihren eigenen, realen Ärzten besser betreut und aufgehoben. Allerdings tritt dieser Kultivierungseffekt nur dann auf, wenn die Konsumenten die fiktionalen Medieninhalte für glaubwürdig halten.

In einer anderen aktuellen Untersuchung zeigte Erica Pontius einer Gruppe von Versuchspersonen einen Videoclip mit Ausschnitten aus diversen Reality-Shows. Die Forscherin befragte diese Gruppe und eine Vergleichsgruppe darüber, wie realistisch bestimmte Erzählfiguren aus den Shows sind, etwa "Liebe auf der ersten Blick", oder "Spontaner Beruflicher Erfolg". Die Gruppe der Reality-Konsumenten hielt derartige Szenarien, die im wirklichen Leben eher unwahrscheinlich sind, für deutlich realistischer. In allen Gruppen neigten außerdem die Teilnehmer mit einem hohen wöchentlichen Fernsehkonsum dazu, diese Erzählungen mit höherer Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Auch hier spielte es eine zentrale Rolle, welche Glaubwürdigkeit die Probanden der Sendung zuschrieben.

Vor diesem Hintergrund ließe sich nun einwenden, dass das bei Computerspielen ganz anders sei. Begründen lässt sich dieses Argument aber kaum, zumal ein wesentlicher Faktor - der technische Realismus - geradezu das Markenzeichen von Interventionsspielen ist, in denen die immer gleiche Geschichte mit immer neuen technischen Mitteln inszeniert wird. Im Gegenteil liegen die Kritiker wahrscheinlich richtig mit ihrer Befürchtung, dass die Geschichten der Ego-Shooter insbesondere bei jüngeren Konsumenten eine längerfristige Orientierung für ihr Weltbild verursachen und diese fiktionalen Inhalte negative Stereotype über Menschen und politische Systeme etwa in Afghanistan, Kuba oder Venezuela verankern.

Gute Opfer, schlechte Opfer

Unter technikinteressierten Männern jungen und mittleren Alters gilt Kritik an gewalttätigen Computerspielen als konservativ, hinterwäldlerisch und damit pauschal als unbegründet. Diese morbide Affinität zu Technik-Spielzeugen bestimmt auch die Linie in den Redaktionen. Sie reicht allerdings nicht aus, um die mangelnde mediale Resonanz auf afghanische, iranische, kubanische oder venezolanische Beschwerden zu erklären.

Offensichtlich spielt hier auch kulturelle oder ideologische Nähe zu den Opfern eine Rolle. Dies zeigen mediale Reaktionen auf islamistisch geprägte Computerspiele, bei denen Angehörige des westlichen Kulturkreises bzw. Israelis niedergemetzelt werden können. So besprach SpOn-Autor Christian Stöcker dieses Metier korrekterweise unter dem Titel "Propaganda-Killerspiel". Seiner Kommentierung von "Call of Duty" fehlt diese Klarheit. Stattdessen sehen sich die Kritiker des Spiels als irrationale Meckerer gekennzeichnet, die etwas "verdammen", "sich empören" und "wütend" sind. Unter den entsprechenden Stichworten lassen sich zahllose andere Beispiele für deutlich auseinander fallende Wertungen bei "freundlichen" und "feindlichen" Ballerspielen finden.

Bemerkenswert ist auch, dass Kritiken aus "feindlichen Ländern" gerne ins Reich der Irrationalität verwiesen werden, während das US-Militär solch scheinbar spielerischen Angelegenheiten sehr ernst nimmt. So hatte die Firma Electronic Arts für "Medal of Honor" einen Mehrspielmodus angelegt, bei dem sich die Invasion in Afghanistan aus verschiedenen Perspektiven erleben ließ. Dazu gehörte auch, dass Spieler die Rolle der Taliban einnehmen konnten, um Soldaten der Besatzungsarmee zu erschießen. Beim US-Militär war die Empörung groß und man verhängte im vergangenen September einen Boykott. Der britische Verteidigungsminister nannte das Spiel "ekelhaft" und empfahl ebenfalls, es zu boykottieren. Auf Druck "der öffentlichen Meinung" änderte Electronic Arts schließlich die Rolle der Taliban in neutralere "feindliche Kämpfer".

Desensibilisierung

Offensichtlich ist es so, dass in den Technik-Redaktionen die gleichen Kriegslogiken geteilt werden, an denen die Kulturindustrie hervorragende Gewinne macht. Ob dies daran liegt, dass die Redakteure selber Opfer ihrer Mediennutzung sind, oder sie einfach das gleiche pragmatische Gespür für Machtverhältnisse haben wie ihre Kollegen in den Politik-Redaktionen, ist letztendlich unerheblich. Klar ist dagegen, dass es in der Berichterstattung auch weiterhin einen Third-Person-Effekt geben wird, der da heißt: Propaganda-Killerspiele machen nur die anderen.