Die Seele des Ganzen

Ernesto Kroch und das Kulturinstitut Casa Bertolt Brecht in Montevideo

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Jugendbund „Kameraden“ im Winter 1930/31 (Ernesto Kroch zweiter von rechts) Foto: Autobiographie
Jugendbund „Kameraden“ im Winter 1930/31 (Ernesto Kroch zweiter von rechts) Foto: Autobiographie

Anlässlich des Todes von Ernesto Kroch veröffentlichen wir diesen Artikel, der im Februar 2007 in ila 302 erschien.


Wenn Ernesto Kroch für seine Lesungen Honorare erhält, verwendet er die nicht für sich – er habe seine Rente, von der er leben könne –, sondern für zwei Projekte, die ihm und seiner Lebensgefährtin Feva besonders am Herzen liegen: den Kinderhort "Ana Maria Rübens" und die "Casa Bertolt Brecht". Letztere war bis 1990 das Kulturinstitut der DDR. Die DDR-Institute wurden nach 1990 weltweit abgewickelt. Einzig die Casa Bertolt Brecht in Montevideo überlebte und ist heute ein wichtiges, unabhängiges Kultur- und Kommunikationszentrum für die kritische Szene in Uruguay. Das ist nicht zuletzt das Verdienst von Ernesto.

Die Casa Bertolt Brecht liegt am Rande der Altstadt von Montevideo, nur wenige Häuserblöcke von der Rambla, der Uferpromenade der uruguayischen Hauptstadt, entfernt. Über eine steile Treppe erreicht man die Räume des Kulturinstitutes im ersten Stock des Hauses. Hier finden an jedem Wochentag Deutschkurse statt, mehrfach die Woche werden Theater- und Malereiworkshops angeboten, mindestens einmal im Monat auch eine Lesung, ein Liederabend, eine Vernissage. Seit mehr als vier Jahren wird mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung ein ganzjähriges politisches und soziales Veranstaltungs- und Diskussionsprogramm durchgeführt. Mit der Heinrich-Böll-Stiftung wird ebenfalls seit mehreren Jahren kooperiert. Die Friedrich-Ebert-Stiftung zeigte sich solidarisch, als bei einem Einbruch die Technik gestohlen wurde. Der von ver.di getragene Solidaritätsfonds "Demokratische Medien in der Welt" führt seit vielen Jahren über die Casa Brecht Kurse für Radiomacher durch. Diese Liste ließe sich fortsetzen.

Dass die deutschen Stiftungen und Organisationen die Casa Bertolt Brecht unterstützen, hat auch viel mit Ernesto Kroch zu tun. Ernesto, der seit der Gründung der Casa Mitglied des Direktoriums ist, selbst aber nie einen Posten im Institut innehatte. Nach dem Zusammenbruch der DDR, als die Casa Brecht als Freundschaftsgesellschaft Uruguay-DDR aufgelöst wurde und als Kulturinstitut, als soziokulturelles Zentrum der Linken, wieder auferstand, wurde Ernesto zu Herz und Kopf der Casa Bertolt Brecht. Mit seinen Kontakten nach Deutschland einerseits und seinen Verbindungen zur uruguayischen Linken andererseits öffnete er das Haus nach außen und nach en. Denn die Casa Bertolt Brecht war nicht von Anfang an das offene Kulturinstitut mit einem politischen Anspruch, das sich auch als unabhängiges Forum in der politischen Kultur Uruguays versteht. Angefangen hat alles im Jahre 1962. In diesem Jahr gründete Ernesto zusammen mit anderen Deutschstämmigen, viele wie er selbst deutsche Jüden und Juden und die meisten wie er der Kommunistischen Partei Uruguays (PCU) nahe stehend, den Verein "Freundschaftsgesellschaft Uruguay-DDR".

Viele der Gründern waren schon in den vierziger Jahren im "Deutschen Antifaschistischen Komitee" aktiv gewesen. Ziel des Vereins war die diplomatische Anerkennung der DDR. Auch in Uruguay wirkte der durch die Hallstein-Doktrin aufgebaute Druck der BRD: Der Hallstein-Doktrin zufolge wurde die Aufnahme oder Unterhaltung diplomatischer Beziehungen durch dritte Staaten mit der DDR von der Bundesrepublik Deutschland auf Grund ihres Alleinvertretungsanspruchs für das gesamte deutsche Volk als unfreundlicher Akt betrachtet und in der Regel mit dem Abbruch beziehungsweise der Nichtaufnahme diplomatischer Beziehungen beantwortet. Die "Freundschaftsgesellschaft Uruguay-DDR" suchte sich uruguayische Partnern wie Gewerkschaftern und Kulturschaffende. 1964 wurde in der Innenstadt von Montevideo eine Etage angemietet. Das war der Beginn des "Kulturinstitutes Uruguay-DDR". Schon mit Hilfe aus Ostberlin konnte die Casa Bertolt Brecht, wie sich das Kulturinstitut fortan nannte, dann in das Haus in der Calle Andes einziehen, in dem sie sich heute noch befindet. Die Etage konnte einem sympathisierenden jüdischen Uhrmachermeister namens Rosenbach abgekauft werden.

Das Kulturinstitut Uruguay-DDR wurde vom sozialistischen Deutschland gefördert, sowohl politisch als auch finanziell. So wurde z.B. mit Unterstützung des Herder-Instituts in Leipzig Deutschunterricht gegeben, Ernestos Tochter Elly, die heute das Sekretariat der Casa organisiert und die Deutschkurse leitet, konnte Ende der 1960er Jahre mit einem Stipendium der DDR nach Leipzig gehen und dort eine Ausbildung zur Deutschlehrerin absolvieren. Viele Uruguayer reisten, vermittelt durch die Casa, in die DDR, vor allem Gewerkschafter und Künstler, aber auch Politiker (darunter auch Vertreter der konservativen Parteien Colorados und Blancos). Für die regen Kontakte zur DDR in dieser Zeit war Guillermo "Willi" Israel zuständig, ein jüdischer Emigrant aus Trier (vgl. ila 204 & 257) und ebenso wie Ernesto Gründungsmitglied der Casa. Die DDR schickte Literaten, Musiker bis hin zu ganzen Orchestern nach Uruguay. 1971 war dann das politische Ziel erreicht. Die DDR wurde von Uruguay diplomatisch anerkannt (auch wegen des veränderten politischen Klimas in Westdeutschland unter Willy Brandt).

Ernesto Kroch war in dieser Zeit weniger in den Alltagsbetrieb des Kulturinstitutes einbezogen. An seinem Arbeitsplatz in der Metallwerkstatt, in der er schon über 30 Jahre arbeitete, hatte sich ein Eigentümerwechsel vollzogen und der Handwerksbetrieb wandelte sich zu einem Unternehmen mit mehr als 70 Arbeitern und Angestellten. Für Uruguay schon fast ein Großunternehmen. Ernesto war noch mehr in den Arbeitsrhythmus eingespannt als zuvor, auch sonntags ging er oft zur Arbeit. Seine politischen Aktivitäten bestanden in diesen Jahren vornehmlich darin, bei der Redaktion und beim Umbruch der vielen lokalen KP-nahen Stadtteil- und Betriebszeitungen zu helfen, die besonders in den Jahren vor dem Militärputsch bei der Gründung der Frente Amplio im Jahre 1971 eine wichtige Rolle spielten.

Mit dem Jahre 1973 wurde jedoch alles anders. In Uruguay putschten die Militärs, das Parlament wurde aufgelöst, die politischen Parteien und die Gewerkschaften wurden verboten. Und auch für die Casa Bertolt Brecht kam das Aus. Am 6. Januar 1974 wurden das gesamte Direktorium und die Angestellten, darunter auch Ernestos Tochter Elly, verhaftet, allerdings wurden alle nach drei Tagen wieder freigelassen. Ernestos Erklärung dafür: Auch den Militärs war die Bedeutung der wirtschaftlichen Beziehungen zur DDR bewusst. Zu dieser Zeit gab es mehrere bedeutende Industrieansiedlungen der DDR in Uruguay. Das Institut jedoch wurde geschlossen. Ernesto und Elly  waren dabei, als die Militärs einzogen und das Haus in Beschlag nahmen. Es blieb gerade noch Zeit, einige wenige Bücher und Unterlagen zu sichern.

Nach dem Ende der Militärdiktatur in Uruguay im Jahre 1985 kamen Willi Israel und Ernesto Kroch aus dem Exil zurück, Willi Anfang des Jahres aus Ostberlin, Ernesto im Dezember 1985 aus Frankfurt/Main. Und es gelang ihnen, die Casa Brecht zurückzuerhalten. Das Haus wurde von der Polizei an die Botschaft der DDR zurückgegeben, die es wiederum an den Verein übergab. Allerdings war vieles zerstört und alle Wertgegenstände waren von den Militärs weggeschafft worden. Trotzdem konnte die Casa Bertolt Brecht, unterstützt auch durch die Botschaft der DDR, schon ein Jahr später wieder öffnen. Bis 1989 war die Casa Brecht dann ein linientreues DDR-Kulturinstitut im Ausland, es war das Fenster der DDR in Uruguay, so wie andere Institute in Lateinamerika auch (so u.a. in Peru, Argentinien, Brasilien und Mexiko, zu denen es übrigens kaum Kontakte gab, weil alles von Berlin aus gesteuert wurde).

Aufgabe und Auftrag der Casa Bertolt Brecht war nicht, sich in die uruguayische Innenpolitik einzumischen, bis 1989 war es ein auf die Kultur der DDR ausgerichtetes Begegnungshaus. Petra Prokasky aus Berlin, die 1986 mit ihrem uruguayischen Mann Oscar Cambre, den sie in seinem Exil in der DDR kennen- und lieben gelernt hatte, nach Uruguay kam und die schnell Anschluss an die Casa Bertolt Brecht fand, erinnert sich: "Beim Referendum gegen die Straffreiheit für die Verbrechen während der Militärdiktatur von 1973 bis 1985, das von der uruguayischen Linken gegen den Willen der Regierung durchgesetzt wurde, gab es keine öffentlichen Diskussionen oder Veranstaltungen in der Casa Bertolt Brecht darüber. Am 16. April 1989 waren wir zwar alle auf der Straße, um für das Voto Verde und damit für die Ablehnung des von der rechtskonservativen Regierung unter Julio María Sanguinetti 1986 verabschiedeten Gesetzes über die Straflosigkeit zu werben. In der Casa Brecht selbst fand aber nichts dazu statt."

Ende 1989 kam dann auch in Uruguay die "Wende" an und auch intern für die Kommunistische Partei Uruguays war dieses Jahr eine Zäsur. Rodney Arismendi, der Generalsekretär der PCU, der die Partei von 1955 bis 1988 leitete, starb am 27. Dezember des Jahres, anderthalb Monate nach Maueröffnung. Die Casa Bertold Brecht, das Kind der DDR, wurde eine Waise. Die Zahlungen aus Ostberlin blieben aus, zudem drohte die Übernahme des Institutes durch das "wiedervereinigte" Deutschland. Die Mitglieder des Direktoriums diskutierten über die Schließung des Institutes, letztlich entschied man sich für den Neuaufbau. Die Casa Bertolt Brecht konnte eigenständig bleiben, weil sie ein in Uruguay registrierter Verein ist (offiziell eingetragen unter dem Namen von Lídia Rodriguez, der Tochter eines Mitglieds des Arbeitervereins aus der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg) und das Haus Eigentum dieses Vereins ist. Damit ging es nicht in den Besitz der neuen Bundesrepublik über.

Seit dieser Zeit ist Ernesto für die Casa Bertolt Brecht nahezu unersetzlich: Als Ideengeber, als aktives Mitglied der Frente Amplio, als Mittler mit seinen Verbindungen zu Organisationen und Stiftungen der ehemaligen BRD. Und er war es auch, der seine im Exil aufgebauten Kontakte zu deutschen Gewerkschaften aktivieren und so 1000 DM für ein erstes Kleinprojekt in Uruguay besorgen konnte. Auch heute noch ist Ernesto Kroch, der nie Präsident, nie Generalsekretär der Casa Brecht war, mit seinen 90 Jahren die gute Seele des Ganzen. Nach wie vor ist er mehrfach wöchentlich in der Casa, nimmt an den Sitzungen des Direktoriums teil, sorgt für das "familiäre Ambiente", das, wie er selbst sagt, die Casa immer ausgezeichnet hat, zieht durch die Universitäten und Gewerkschaftszentralen und hängt Plakate auf und präsentiert neue Themen und Ideen auf kleinen handgeschriebenen Zetteln, aus denen dann nicht selten große Veranstaltungen oder Projekte in der Casa Brecht werden. Und er hält mit seiner Jugendlichkeit die Generation der Älteren und die der jüngeren Aktivisten in der Casa Brecht zusammen, Ernesto ist die Integrationsfigur im wörtlichen Sinne. Er integriert und er ist eine Figur, un personaje, wie man im uruguayischen Spanisch sagt.


Aus: ila 302, Februar 2007, www.ila-web.de