Lesner Figueroa Lázaro ist Sprecher des Consejo Ditsö Iríria Ajkönuk Wakpa (CODIAW), dem Selbstverwaltungsrat der Indigenen Bribri im Territorium Salitre im Süden Costa Ricas. Im LN-Interview berichtet er darüber, wie Land und Traditionen der Bribri durch die Ausweitung von Ananasplantagen bedroht sind. Hierbei kritisiert Figueroa bei einem Besuch in Berlin auch die Rolle der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).
In kurzen Worten – wer sind die Bribri?
Die Bribri sind die ursprünglichen Bewohner:innen des heutigen Costa Rica. Unsere Kosmogonie (Theorie zur Entstehung der Welt, Anm. d. Red.) sagt uns, dass unser Ursprung in der Hauptgebirgskette liegt, die heute Cordillera de Talamanca genannt wird. Es gibt heute vier Bribri-Territorien: Kekoldi, Alta Talamanca Bribri, Cabagra und Salitre. Das sind hispanifizierte Namen, in Bribri haben sie ihre eigenen Bezeichnungen. Wir sind ein matrilineares Volk. Das heißt, wir sind in Clans organisiert, die von Bribri-Müttern abstammen. Das ist die jahrtausendealte Art, wie wir uns organisieren. Ich habe zu ganz Costa Rica keine genauen Daten, aber ich weiß, dass wir ungefähr 1.800 Bribri im Territorium von Salitre sind, woher ich komme. Unsere Gemeinden, vor allem die im Süden, verteidigen seit vielen Jahren das Land und alle anderen Menschenrechte.
Bringt die Matrilinearität der Bribi auch heute noch eine besondere Rolle und Bedeutung der Frauen in den Gemeinden mit sich?
Natürlich! Die Erklärung liegt in der jahrtausendealten Kultur unserer Vorfahren, in unserer Schöpfungsgeschichte. Zum Beispiel das Mädchen Iríria, so nennen wir die Erde. Es gibt viele verschiedene solcher Wesen.
In unserer kulturellen Tradition hat die Frau wichtige Aufgaben, genauso wie der Mann. Ihre Aufgaben sind lebenswichtig, die meisten Zeremonien können ohne Frauen nicht durchgeführt werden. Auch im Prozess der Rückgewinnung unserer Territorien (siehe Infokasten) hatten die Bribri-Mütter eine Führungsrolle. Unser Land gehört, wenn man das so ausdrücken will, in erster Linie den Bribri-Müttern, also den Frauen. All das rührt von unserer Schöpfungsgeschichte her. Denn als der Schöpfer uns auf diese Welt brachte, hat er das in der Form getan, dass die Clanzugehörigkeit ausschließlich über die Mütter vererbt wird. Und heute versuchen wir unsere Kultur zu erhalten, unsere Existenz als Bribri zu bewahren. Zum Beispiel, indem wir Paare nur unter Bribri bilden.
Jetzt besuchen Sie das Gebiet der Kolonisator:innen, den europäischen Kontinent. Was ist das Ziel dieser Reise?
Vor allem geht es darum, dass wir schon seit langem mit einem Hindernis zu kämpfen haben, das darin besteht, dass Costa Rica international als "Grünes" Land bekannt ist: als Land, das die Menschenrechte achtet, das unter dem Slogan pura vida (Pures Leben) berühmt wurde und in dem alles auf dem Glück seiner Einwohner:innen basiert. Wir erleben als Indigene Gemeinschaften die Realität und wissen, dass dieses Image total falsch ist. Es hat uns daran gehindert, unsere Kämpfe, die Verteidigung der Erde, die Verteidigung unserer Rechte, bekannt zu machen. Deswegen ist das Hauptziel dieser Reise, unsere Kämpfe sichtbarer zu machen. Dann gibt es in jedem Land noch spezielle Themen. Im Fall von Deutschland ist das die Problematik, dass unsere Gemeinschaft von einem transnationalen Unternehmen, Del Monte, betroffen ist. Und Del Monte hat wiederum einen Bezug zur deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Deswegen hoffen wir, hier Druck aufbauen zu können, um die Invasion von Del Monte in unsere Territorien zu stoppen.
Costa Rica ist mit über zwei Millionen Tonnen jährlich der weltgrößte Exporteur von Ananas. Nahe an Salitre gibt es eine Kleinstadt, Buenos Aires. Auf Satellitenbildern im Internet ist gut zu sehen, dass sich von dort aus enorme Ananasplantagen in Richtung Salitre ausdehnen. Wie wirkt sich dieser massive Anbau auf die Bribri aus?
Die Situation mit Del Monte hat mehrere Auswirkungen auf unser Territorium. Ich denke, die wichtigste ist die Invasion in unser Territorium, die schon seit einigen Jahren andauert. Daraus entstehen weitere Probleme. 2014 haben wir zum Beispiel einen Teil unseres Territoriums, etwa 40 Prozent der geraubten Fläche, zurückerobert. Viele compañeros, die daran beteiligt waren, wurden wegen Landbesetzung angeklagt. Nach einem langen Verfahren stellte das Strafgericht fest, dass kein Delikt vorlag. Wir finden es unlogisch, dass wir Bribri strafrechtlich verfolgt werden, weil wir unser Land verteidigen und das Territorium in Besitz genommen haben, das uns seit jeher gehört.
Aber leider geht die Invasion weiter. Auf einem Teil unseres Territoriums wurden neben einem Wald Ananasplantagen angelegt. Und gleich danach beginnt die Savanne. Das ist eine sehr heikle Sache für uns, denn dort liegen unsere heiligen Stätten und die müssen unbedingt frei bleiben. Für uns ist das ein schwerer Eingriff. Es ist bekannt, dass wir den Wald viele, viele Jahre lang geschützt haben, denn wir Indigenen Völker schützen die Natur, die Erde, unsere Mitwelt. Umso beklagenswerter ist es, dass dort nun ein transnationales Unternehmen, übrigens auch gegen jegliche nationale und internationale Gesetzgebung, die Umwelt verseucht. Das deutlichste Beispiel für diese Verschmutzung sehen wir dort an einem kleinen Fluss. Dieser Bach ist so extrem verseucht, dass wir denken, der Schaden ist nicht mehr zu beheben.
Ein weiteres Problem besteht darin, dass viele Leute für Del Monte arbeiten müssen, weil es in unserem Territorium kaum andere Möglichkeiten für sie gibt. Sie werden ausgebeutet und bekommen Hungerlöhne. Nach Jahren der Schufterei werden die Arbeiter dann einfach entlassen, etliche mit Gesundheitsproblemen. Seit einigen Jahren beobachten wir das. Allem Anschein nach greift der übermäßige Einsatz von Agrochemikalien und Pestiziden die Gesundheit der Arbeiter an. In meiner Gemeinde gibt es mehrere Betroffene.
Wie schafft es das Unternehmen, auf den Bribri-Territorien Ananasplantagen anzulegen? Geht das über Dritte, benutzen sie Strohmänner?
Nein. Es ist so, dass jeder bei uns Del Monte kennt. Und den Leuten bleibt einfach nichts anderes übrig, dort die Arbeit anzunehmen, die es eben gibt. Und dann wird es schwierig. Sie haben keine andere Option und heuern dort an. Das nutzen dann Personen, die zum Unternehmen gehören, aus und sagen den Arbeitern, dass wir Rebellen seien, dass wir Landraub begehen und dass wir das nicht tun dürfen, weil doch Del Monte Arbeitsplätze schafft. Allerdings wissen wir, was für Arbeitsplätze das sind und kennen die Ausbeutung.
Und wie kommt Del Monte an das Land? Besetzen sie es einfach oder haben sie Papiere?
Das ist unterschiedlich. Meiner Auffassung nach hat Del Monte über die Jahre viel Land einfach besetzt, ohne jegliche Dokumente. Später haben sie dann Papiere vorgelegt, die beweisen sollen, dass diese Ländereien außerhalb des Bribri-Territoriums liegen würden. Das ist aber gesetzeswidrig und basiert nur darauf, dass die Regierung absichtlich bestimmte Landstücke außerhalb unseres Territoriums gelassen hat. Das rückgängig zu machen, gehört zu unseren Forderungen an den Staat Costa Rica. Papiere hin oder her, es ist doch bekannt, dass diese Ländereien schon immer zu unserem Territorium gehört haben. Sie lagen in unserem Territorium. Ich muss nicht einmal weit zurückgehen, um festzustellen, dass Buenos Aires in der Vergangenheit ein Ort der Zusammenkunft der in der Umgebung wohnenden Völker war. Aus unserer Sicht ist es total falsch, dass der Staat dieses Gebiet in einem absurden Verwaltungsakt aus unserem Territorium ausgegliedert hat. Und Del Monte nutzt das nun aus und sagt "Das gehört uns."
Die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) hat die vergangenen drei Jahre über das Projekt Juntos (Gemeinsam) mit Fresh Del Monte Produce betrieben. Das Unternehmen wurde dafür mit dem Seal Business Sustainability Award für besonders nachhaltiges Wirtschaften ausgezeichnet. In eigenen Veröffentlichungen heißt es, dass Del Monte in Costa Rica die Biodiversität erhalte, dass Naturreservate erhalten würden, Wassereinzugsgebiete geschützt und rund um Bananen- und Ananasplantagen Bildungsprojekte für Gemeinden ins Leben gerufen würden. Was sagen Sie dazu?
Wir gehen von der Realität bei uns vor Ort aus. Im Kanton Buenos Aires, der zur Provinz Puntarenas gehört, sehen wir Hektar um Hektar Ananaspflanzungen, aber keine größeren Wald- oder Urwaldgebiete. Aufforstungen auch nicht. Keine Flächen, auf denen, sagen wir auf zehn Hektar, früher Ananaspflanzungen waren und nun ein neuer Wald wachsen könnte. Das wäre ideal. Aber das ist jahrelang nicht passiert und passiert immer noch nicht. Die Zahlen, die Del Monte angibt, müssen genau untersucht werden. Ich denke, sie könnten manipuliert sein.
Ananas oder anderes in Wassereinzugsgebieten zu pflanzen, ist übrigens gesetzlich verboten. Wir haben den Bach in unserem Territorium inspiziert, den ich zuvor erwähnt habe – die Ananaspflanzungen sind dort nicht weiter als zehn Meter entfernt. Wo bleibt da die Nachhaltigkeit? Wenn man an den Ananasplantagen entlanggeht, ist es dort unerträglich heiß. Außerdem wird auf den Plantagen viel verbrannt, was eine große Umweltverschmutzung verursacht. Ich denke, man muss sich mit der Realität auseinandersetzen und ein bisschen mehr forschen. Genau das haben wir vor.
Del Monte hat sogar in unserer Gemeinde Schilder mit seinem Schriftzug aufgestellt. Welche Beweise braucht es noch, um zu verstehen, dass sie unser Gemeindeland stehlen wollen? Sie verletzen die grundlegenden Menschenrechte der Bribri in Salitre. Wenn es stimmt, was ich sage oder es wenigstens Anlass zu Zweifeln gibt, dann sollte doch keine internationale Institution oder Körperschaft oder irgendwer sonst so ein Unternehmen prämieren.
Lesner Figueroa Lázaro ist Sprecher des Indigenen Rates Consejo Ditsö Iríria Ajkönuk Wakpa (CODIAW). Nach diesem Interview konnte er in Berlin mit Vertreter:innen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie der GIZ sprechen. Sie betonten dem Vernehmen nach, dass das Projekt mit Del Monte beendet sei und mit dem Territorium der Bribri in Salitre nichts zu tun gehabt habe. Dort wiederum ist man der Auffassung, dass der Imagegewinn für die Weltmarke Del Monte und die Verhältnisse vor Ort in Salitre in einem extremen Gegensatz stehen und die deutschen Institutionen sich ihrer Verantwortung stellen müssen.
Das Interview ist erschienen in den Lateinamerika Nachrichten Nummer 608