Uruguays Präsident Luis Lacalle Pou hat vor kurzem wegen Wassermangels in der Hauptstadt Montevideo den Notstand ausgerufen. Zu den angekündigten Schritten zur Bekämpfung der längsten Dürre, die das Land seit 74 Jahren erlebt hat, gehören der Bau eines Stausees und eine Steuerbefreiung für Flaschenwasser (amerika21 berichtete)
Die Steuerbefreiung, die vorgeblich darauf abzielt, den benachteiligten Bevölkerungsschichten den Zugang zu Flaschenwasser zu erleichtern, ist die übliche neoliberale "Lösung" zur Bewältigung einer der häufigsten Folgen der globalen Erwärmung, nämlich der Zunahme von Dürren und Überschwemmungen. Sie überträgt die "Verantwortung" für die Trinkwasserversorgung des Teils der Bevölkerung, der es sich leisten kann, für diese Dienstleistung zu bezahlen, auf den privaten Sektor ‒ die Flaschenwasser-Industrie. Die Ärmsten werden natürlich nicht in der Lage sein, für diese großzügige Maßnahme von Lacalle Pou zu zahlen.
Diese Maßnahme der uruguayischen Regierung ist nur ein weiterer Schritt des Neoliberalismus in dem Prozess, die globale Erwärmung und die angekündigten Katastrophen in eine weitere Profitquelle für die großen Privatunternehmen zu verwandeln.
Angekündigte Katastrophen und die Flaschenwasser-Industrie
Im Juni dieses Jahres gab die National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) der USA bekannt, dass das El-Niño-Phänomen, das in der Regel mit steigenden Temperaturen einhergeht, wieder da ist und laut einer Erklärung der NOAA-Klimatologin Michelle L'Heureux zu Rekordtemperaturen führen könnte. Andererseits warnte die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) in diesem Jahr, dass der Zeitraum 2023-2027 der wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen sein könnte. Es genügt, sich an die Ereignisse des letzten Jahres zu erinnern, um eine Vorstellung davon zu bekommen, was auf uns zukommt.
Die intensive Hitzewelle, die Europa im Jahr 2022 heimsuchte, ging mit der wahrscheinlich größten Dürre einher, die in den letzten 500 Jahren auf diesem Kontinent verzeichnet wurde, wie mehrere Wissenschaftler;innen damals feststellten. Große Flüsse wie die Donau, der Rhein, der Po und die Wolga hatten so wenig Wasser, dass die Schifffahrt in einigen Fällen unmöglich wurde. Brände breiteten sich in Portugal, Spanien, Frankreich und Italien aus.
Im verzweifelten Bemühen, Wasser zu sparen, wurden unter anderem in Frankreich und Portugal öffentliche Schwimmbäder geschlossen, und in England und anderen europäischen Ländern wurde die Verwendung von Schläuchen zur Bewässerung privater Gärten verboten.
Doch inmitten der verwirrenden und intensiven Bemühungen um eine Senkung des Wasserverbrauchs blieb die Flaschenwasser-Industrie unangetastet und erhöhte sogar ihre Produktion, um die steigende Nachfrage aufgrund der großen Hitze zu decken. Ein skandalöses Beispiel für diesen Widerspruch sind die Vogesen in Frankreich, wo dem Unternehmen Nestlé erlaubt wurde, weiterhin Wasser aus unterirdischen Grundwasservorkommen für die Abfüllung abzupumpen, obwohl die gesamte Region unter Dürre litt und die Behörden den Wasserverbrauch verschiedener Sektoren und der Bevölkerung im Allgemeinen bereits eingeschränkt hatten, wie die Gruppe Collectif Eau 88 anprangert.
Für die Mineralwasserindustrie hat die Hitzewelle für eine Steigerung ihrer Verkaufszahlen gedient. Die Herstellung und der Transport von abgefülltem Wasser tragen jedoch erheblich zur globalen Erwärmung und zur Wasserknappheit bei: Für die Herstellung von Plastikflaschen, insbesondere PET, werden große Mengen an erdölbasierten Materialien und viel Wasser benötigt. Man schätzt, dass für die Herstellung von einem Liter Wasser in Flaschen etwa drei Liter Wasser verbraucht werden. Der Transport dieser Flaschen von den Produktionsstätten zu den Supermärkten erfolgt hauptsächlich mit Lastwagen, was weitere fossile Brennstoffe verbraucht.
Schlimmer noch: Wasser, das in Flaschen abgefüllt und über weite Strecken transportiert wird ‒ wie das von Nestlé in Vittel abgefüllte und nach Deutschland oder in die Schweiz exportierte ‒ wird dem lokalen Wasserkreislauf entzogen und trägt zur Wasserknappheit in der Region bei.
Der größte Teil des für die Abfüllung verwendeten Wassers stammt aus Grundwasserleitern, die viele Jahre brauchen, um sich auf natürliche Weise wieder aufzufüllen. Wenn die verbrauchte Wassermenge in diesen Grundwasserleitern größer ist als die natürliche Neubildung, besteht die akute Gefahr, dass sie erschöpft sind. Dies ist etwa bei dem Grundwasserleiter, der die Stadt Vittel versorgt, der Fall, wie die zuständigen französischen Behörden festgestellt haben. Einige bestehen aus fossilem Wasser, d. h. aus Wasser, das sich im Untergrund manchmal vor Tausenden von Jahren angesammelt hat. In diesen Fällen gibt es keine natürlich Auffüllung, und diese Grundwasserleiter könnten bis zu ihrer vollständigen Austrocknung genutzt werden.
Die mächtige Lobby der Flaschenwasser-Industrie
Die Tatsache, dass die Abfüller inmitten einer so schweren Krise wie der Dürre von 2022 in Europa weiterhin das Grundwasser ausbeuten, während viele andere Bereiche der Gesellschaft ihren Wasserverbrauch reduzieren mussten, ist zum Teil auf die enorme wirtschaftliche Macht dieser Unternehmen zurückzuführen.
Nestlé, Danone, Coca-Cola und Pepsi sind die größten Wasserabfüller weltweit. Kleinere, lokale Unternehmen können in den meisten Fällen nur durch Vertriebsvereinbarungen mit einem dieser großen Unternehmen auf dem Markt überleben.
Auf Initiative von Nestlé und mit Unterstützung der Schweizer Regierung gründeten die großen Wasserabfüller 2011 die "Water Resource Group" (WRG) , an der derzeit auch die Regierungen mehrerer Länder beteiligt sind. Das Ziel der WRG ist es, Wasser überall auf der Welt wo immer nur möglich zu privatisieren und die Produktion und den Konsum von abgefülltem Wasser zu verteidigen. Es ist wichtig daran zu erinnern, dass die jährlichen Gewinne von Unternehmen wie Nestlé oder Coca-Cola die Staatshaushalte vieler Länder der Welt übersteigen.
Zur wirtschaftlichen Macht kommt die politische Macht der Länder hinzu, die durch ihre Außenpolitik die Privatisierung von Wasser in den Ländern des Globalen Südens unterstützen, oft unter dem Deckmantel der "Entwicklungshilfe". Wie im Fall der Schweiz, die diese Entscheidung übrigens nicht verheimlicht: Seit 2018 ist der ehemalige Direktor für globale Angelegenheiten von Nestlé, Christian Frutiger, stellvertretender Direktor der Schweizer Agentur für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza).
Nur wenige Länder können daher dem Druck widerstehen, ihr Wasser zu privatisieren, indem sie Grundwasserkonzessionen für lange Zeiträume, 20 Jahre oder mehr, an private Unternehmen vergeben.
Der Kampf der Gruppe Collectif Eau 88 gegen die Ausbeutung und Abfüllung des Grundwassers in der Region Vittel durch Nestlé ist erneut ein emblematischer Fall. Die Engagierten dieser Bewegung, die sich für den Schutz ihrer Gewässer und der Umwelt einsetzen, sehen sich trotz aller Indizien und Beweise für die bereits verursachten Schäden an den Grundwasserleitern sowie für die Verschmutzung der Umwelt durch Plastikmüll mit fast unüberwindbaren Schwierigkeiten konfrontiert. Diese sind vor allem auf die Kollaboration der öffentlichen Behörden mit dem Unternehmen zurückzuführen.
Ähnliche Fälle von Konflikten zwischen Bürger:innenbewegungen und dem Unternehmen Nestlé gibt es in den USA und Kanada. Frankreich, die USA und Kanada sind entwickelte Nationen mit gut etablierten Demokratien und soliden Institutionen. Dennoch haben die Menschen in diesen Ländern enorme Schwierigkeiten in ihrem Kampf um den Schutz ihrer Gewässer und ihrer Umwelt. Was lässt sich dann sagen, wenn solche Konflikte zwischen Unternehmen und Bürgergruppen in weniger entwickelten Ländern mit viel schwächeren demokratischen Institutionen und viel weniger Zugang zu rechtlichen Mitteln der Verteidigung oder zur Presse auftreten?
In vielen Ländern des Südens spielt die WRG eine wichtige Rolle bei der Privatisierung der öffentlichen Wasserversorgungsunternehmen, wodurch die Fähigkeit dieser Unternehmen, den Bewohner:Innen qualitativ hochwertiges Trinkwasser zu liefern, verringert und vor allem die lokale Mittelklasse an den Konsum von Wasser in Flaschen gewöhnt wird. Die am stärksten benachteiligten Klassen, die es sich nicht leisten können, Wasser in Flaschen zu kaufen, haben praktisch keinen Zugang zu qualitativ hochwertigem Wasser mehr.
Und in den Ländern des Südens ist die Verschmutzung durch Plastikflaschen ein weiteres ernstes Problem. Selbst in Frankreich, Deutschland oder der Schweiz ist es unmöglich, alle Plastikflaschen zu recyceln und viele landen in der Umwelt, in Flüssen oder im Meer. In den meisten südlichen Ländern ist das Recycling dieser Plastikflaschen minimal. Aber die von der Flaschenwasser-Industrie verursachte Umweltverschmutzung wird von Ökonomen als "Externalität" bezeichnet, das heißt, die Umweltkosten werden auf die gesamte Gesellschaft abgewälzt, die Unternehmen kassieren hingegen nur die Gewinne.
Öffentliches Wasserversorgungssystem und Klimawandel
Staatliche Wasserversorgungsunternehmen spielen eine Schlüsselrolle bei der Abschwächung der Auswirkungen der globalen Erwärmung, um den Zugang zu sauberem, qualitativ hochwertigem Wasser auch angesichts von Herausforderungen wie Dürren oder Überschwemmungen zu gewährleisten. Fast in ganz Westeuropa kann man Wasser aus dem Wasserhahn trinken. Eine Verunreinigung des Wassers aus einem öffentlichen Versorgungssystem ist zwar möglich, aber im Allgemeinen sind diese Fälle selten und die Hygienekontrollen sind viel strenger und häufiger als die der Flaschenwasser-Industrie.
Dass viele Menschen mehr Vertrauen in die Qualität von abgefülltem Wasser haben als in das Wasser der öffentlichen Unternehmen, ist ein Zeichen für den Erfolg der Propagandakampagne, die von der Abfüllindustrie seit Jahren durchgeführt wird, um die Qualität der öffentlichen Systeme abzuwerten.
Kein einziges Abfüllunternehmen verfügt über die gleiche technische Kompetenz und das gleiche sanitäre Know how wie ein großes öffentliches Wasserversorgungsunternehmen. Und es gibt immer demokratische Mittel, um von den öffentlichen Unternehmen, die den Bürger:innen dienen sollen, noch mehr Qualität zu fordern und geliefert zu bekommen.
Sowohl die Wasserabfüllindustrie als auch die privaten Wasserversorgungs- und Abwasserentsorgungsunternehmen haben als Hauptziel den Profit. Es war kein Zufall, dass in England, einem Land, in dem ein großer Teil der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung in privater Hand ist (ein Erbe aus Margaret Thatchers Zeiten), angesichts der Hitzewelle und Dürre von 2022 über die Verstaatlichung dieser privaten Unternehmen gesprochen wurde, weil man erkannte, dass sie nicht in der Lage waren, die Krise zu bewältigen.
Frankreich verfügt wie Deutschland, die Schweiz und andere westeuropäische Länder über hervorragende öffentliche Wasserversorger, und Wasser in Flaschen ist in diesen Ländern tatsächlich ein Luxus. Aber ein sozial und ökologisch immer kostspieligerer Luxus. Die Realität der globalen Erwärmung erfordert tiefgreifende Veränderungen. Die Möglichkeit immer häufigerer Dürreperioden bedeutet, dass das Grundwasser als Reserve für künftige Generationen, wenn nicht gar für unsere eigene Zukunft, betrachtet werden muss. Diese Reserven dürfen nicht für den Profit und die Gier einiger weniger Privatunternehmen aufgebraucht werden.
Es ist an der Zeit, dass die Zivilgesellschaft in den westeuropäischen Ländern von ihren Regierungen als erste konkrete Geste in ein endgültiges Verbot der Herstellung und Vermarktung von abgefülltem Wasser fordert, um den Anteil des Verbrauchs in diesen Ländern an der globalen Erwärmung zu verringern.
Denn wenn diese Länder, die ihren Bürgern Wasser von hervorragender Qualität anbieten können und dies auch schon tun, während Wasser in Flaschen ein Luxusgut ist, diesen kleinen Schritt nicht tun können, wie können dann die Zusagen der Regierungen dieser Länder gegenüber den Problemen der globalen Erwärmung ernst genommen werden?
Frankreich hat in diesem Fall eine wichtige symbolische Verantwortung, da in diesem Land, genauer gesagt in Vittel, die Abfüllung von Wasser in Kunststoffbehältern begann. Zuvor waren die Flaschen aus Glas, was die Expansion der Wasserabfüllindustrie begrenzte. Erst die Abfüllung in Plastikflaschen ermöglichte die weltweite Ausbreitung der Wasserabfüllindustrie. In Vittel begann die Verschmutzung durch Plastikflaschen, die sich über den ganzen Planeten ausbreiten sollte. Der Kampf des Collectif Eau 88 in Vittel hat somit eine weltweite Bedeutung. Es wäre eine wichtige Geste, wenn Frankreich der Produktion von Flaschenwasser ein Ende setzen würde und wenn von Vittel ein neuer Impuls ausginge, diesmal gegen die Verschmutzung und für Wasser als öffentliches Gut und Menschenrecht.
Auch die Schweiz trägt eine große Verantwortung, denn sie ist der Sitz des multinationalen Unternehmens Nestlé, des größten Wasserabfüllers der Welt.
Indem er mitten in der Wasserkrise in Uruguay eine Steuerbefreiung für abgefülltes Wasser ankündigt, zeigt sich Präsident Lacalle Pou als großer Freund von Unternehmen wie Coca-Cola, Danone und Nestlé.
Aber zweifellos wird seine Maßnahme von den Regierungen mehrerer Länder als Beispiel für "Verantwortung" und "nachhaltige Lösung" gefeiert werden. Die WRG wird sicherlich andere Länder ermutigen, dem Beispiel Uruguays zu folgen.
Es ist an der Zeit, dass Brasilien und Lateinamerika zeigen, dass ein anderer Weg möglich ist, der Weg, den ihre öffentlichen Wasserunternehmen bereits aufgezeigt haben. Es ist auch an der Zeit, von Europa zu fordern, dass es angesichts der globalen Erwärmung die öffentlichen Wasserversorger in den Ländern des Südens mit allen möglichen Mitteln unterstützt. Die Flaschenwasser-Industrie hat sowohl im Norden als auch im Süden des Planeten bereits genug Schaden angerichtet.
Der Neoliberalismus und seine Privatisierungen bringen keine Lösung für die schwerwiegenden Probleme der globalen Erwärmung, sie nutzen sie nur, um ihre Profite und ihre Macht über die Entscheidungen der Gesellschaft zu erhöhen. Die öffentlichen Unternehmen und eine öffentliche und transparente Wasserwirtschaft sind der richtige Weg.