El Salvador: Von Krypotwährung und Aushöhlung der Demokratie

Bukele schickt Hunderte von Richtern in den Ruhestand und sichert sich eine neue Präsidentschaftskandidatur. Breite Proteste gegen die Politik des Präsidenten

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Gegen Korruption, Bitcoin und Diktatur: In El Salvador nimmt der Widerstand gegen die Regierung Bukele zu
Gegen Korruption, Bitcoin und Diktatur: In El Salvador nimmt der Widerstand gegen die Regierung Bukele zu

Der 200. Jahrestag der zentralamerikanischen Unabhängigkeit (15. September) war Anlass für verschiedene Teile der salvadorianischen Gesellschaft, erneut massiv auf die Straßen der Hauptstadt zu gehen und ihre Ablehnung verschiedener von der Regierung von Nayib Bukele ergriffener Maßnahmen zu bekunden.

"Beim Gedenken des 200. Jahrestages der Unabhängigkeit sieht sich das werktätige Volk mit einem autoritären Regime konfrontiert, an dessen Spitze der Bukele-Clan steht, der die mit dem Friedensabkommen geschaffenen demokratischen Institutionen demontiert und eine Struktur der Korruption, des Machtmissbrauchs und der Straflosigkeit errichtet", heißt es in dem vom "Block des Volkswiderstandes und der Rebellion" an die Nation gerichteten Manifest.

Dieser Block, der ein breites Spektrum von sozialen, popularen und Gewerkschaftsorganisationen vereint, erklärte sich zum "Volkswiderstand" gegen "das schmutzige Geschäft mit Bitcoins, die hohen Lebenshaltungskosten, die Massenentlassungen, die Wiederwahl des Präsidenten, die regressiven Verfassungsreformen, die politische Verfolgung der Opposition, die willkürliche und erzwungene Entlassung von Richtern und die illegale Einsetzung von usurpatorischen Funktionären."

Ebenso weist das Manifest die Schikanen gegen Journalisten, die mangelnde Transparenz, die Verheimlichung öffentlicher Informationen, den Machtmissbrauch, die Staatsstreiche und die Instrumentalisierung der Streitkräfte und der nationalen Zivilpolizei zurück.

"Es sind nicht nur viele Menschen, sondern es verbinden sich verschiedene Sektoren, die mit der Regierung und den von ihr getroffenen Maßnahmen unzufrieden sind. Dies schafft die Möglichkeit eines großen Bündnisses gegen die Regierung", so der Wirtschaftswissenschaftler und politische Analyst César Villalona.

Hintergründe

Seit dem 7. September ist El Salvador das erste Land der Welt, in dem eine Kryptowährung die legale Tauschwährung zusammen mit dem US-Dollar ist. Das sogenannte Bitcoin-Gesetz war drei Monate zuvor von der erdrückenden Regierungsmehrheit im Parlament verabschiedet worden.

Wenige Tage vor Inkrafttreten des Gesetzes warnte eine Umfrage des Universitätsinstituts für öffentliche Meinung der Zentralamerikanischen Universität (UCA), dass 67,9 Prozent der Befragten mit dieser Maßnahme nicht einverstanden oder vehement dagegen waren. Ebenso gaben acht von zehn Salvadorianern an, wenig oder gar kein Vertrauen in die Kryptowährung zu haben.

Die Umfrage ergab auch, dass fast 40 Prozent der Befragten der Meinung waren, dass dieses Gesetz nur den Reichen zugute käme; 22 Prozent glaubten, es diene ausländischen Investoren, und nur 5,8 Prozent glaubten, dass die Bevölkerung von dieser Maßnahme profitieren würde.

Schließlich waren 70 Prozent der Befragten der Meinung, dass das Bitcoin-Gesetz sofort aufgehoben werden sollte, und 65 Prozent hatten nicht vor, die Anwendung "Chivo" (virtuelle Geldbörse) herunterzuladen.

Die salvadorianische Koordination der Volksbewegung sprach sich ebenfalls gegen das Bitcoin-Gesetz aus und forderte dessen Aufhebung mit der Begründung, dass der Bitcoin "keine Währung, sondern ein äußerst unbeständiger digitaler Vermögenswert" sei. Sie erinnerte auch daran, dass das Gesetz "abrupt und ohne Befragung der Bevölkerung verabschiedet wurde" und dass es nicht auf einer Forderung der Bürger beruhte.

In diesem Sinne warnten die in der Koordination zusammengeschlossenen Organisationen, dass diese Kryptowährung "illegale Aktivitäten begünstigen, veruntreute öffentliche Gelder verbergen oder die Zahlung von Steuern umgehen könnte".

Ebenso würden der Mangel an Informationen und die technologische Lücke bei der Verwendung von Bitcoins "die Risiken für die Mehrheit der Bevölkerung erhöhen und die Ungleichheiten verstärken".

Wenn ein guter Tag am Morgen beginnt...

Nationalen Medien zufolge verlief der Einführungstag der Kryptowährung katastrophal und die Erwartungen von Präsident Bukele erfüllten sich nicht.

Zusätzlich zu den schwerwiegenden Fehlern, unter denen die Anwendung litt - Tausende von Bürgern konnten sie weder herunterladen noch hatten sie Zugang zu den 30 Dollar in Bitcoin, die von der Regierung beim Erhalt der virtuellen Geldbörse versprochen worden waren - brach der Preis der Kryptowährung ein. In weniger als 24 Stunden verzeichnete die Regierung nach dem Kauf von 550 Bitcoins (28,4 Millionen Dollar) einen Verlust staatlicher Gelder von fast drei Millionen US-Dollar.

In den letzten Tagen wurde außerdem bekannt, dass das Unternehmen Chivo, das hinter der virtuellen Geldbörse für die Bitcoin-Nutzung steht, mit öffentlichen Mitteln der Exekutivkommission des Flusses Lempa (CEL) gebildet wurde. Im Jahre 1999 gründeten das CEL und die Empresa Transmisora de El Salvador (ETASAL) das Unternehmen Inversiones El Salvador No 1, das noch im selben Jahr in Chivo SA de CV umbenannt wurde und von zwei Staatsfunktionären geleitet wird. Dieses sollte jedoch als privates Unternehmen tätig sein und keinerlei staatlicher Kontrolle über die Verwaltung und Nutzung seiner Geldmittel unterliegen.

"Dies ist ein totgeborenes Gesetz. Man geht auf die Märkte, in die Geschäfte, und der Bitcoin wird nicht verwendet und wird auch nicht verwendet werden. In der salvadorianischen Gesellschaft gibt es eine weit verbreitete Ablehnung. Ich glaube, dass sie den Bitcoin am Ende seinen tatsächlichen Zielen überlassen werden: dem Geschäft mit den Geldautomaten von Chivo, der Währungsspekulation für einige wenige Reiche und dem Waschen von Schwarzgeld", sagte Villalona.

Der Wirtschaftswissenschaftler erinnerte daran, dass der Verabschiedung des Gesetzes im vergangenen Juni eine ganze Reihe von Korruptionsskandalen im Zusammenhang mit der Pandemie und überteuerten Einkäufen vorausgegangen war.

"Wir sprechen hier von Ausgaben in Höhe von etwa einer Milliarde Dollar im Jahr 2020, für die es keine buchhalterischen Belege gibt und für die der Rechnungshof eine Prüfung fordert. Fast einen Monat lang verweigerte das Finanzministerium den Prüfern den Zugang und übermittelte ihnen dann partielle und unvollständige Informationen. Es würde mich nicht wundern, wenn sie einen Teil dieses Geldes in Bitcoin umwandeln und es so legalisieren ."

Villalona verwies auf einen großen Widerspruch zwischen dem, was im Gesetz steht, dem was Präsident Bukele sagt und dem was in Wirklichkeit passiert.

"Dem Gesetz zufolge müssen alle Preise sowohl in Dollar als auch in Bitcoin festgelegt werden. Sogar Gehälter und Renten können in beiden Währungen ausgezahlt und auch Ersparnisse angelegt werden. Auf einer Pressekonferenz sagte Bukele jedoch genau das Gegenteil. Die ganze Sache ist ein absoluter Fehlschlag."

Der Wirtschaftswissenschaftler erinnerte auch daran, dass das Land auf den Bankrott zusteuert.

"Die Staatsverschuldung hat 23,3 Milliarden Dollar erreicht und nähert sich 100 Prozent des BIP. In den zweieinhalb Jahren der Regierung Bukele ist die Verschuldung um fast fünf Milliarden Dollar gestiegen. Die Regierung ist pleite, obwohl sie viele Millionen verwaltet und die Haushaltszahlen aufgebläht hat.

Aber da sie kein Geld mehr hat, um das Jahr zu Ende zu führen - erklärte der Wirtschaftswissenschaftler - mussten die Ausgaben gekürzt werden. Eines der Ergebnisse davon ist, dass die öffentlichen Investitionen zwischen Januar und April dieses Jahres um 49 Prozent zurückgegangen sind und möglicherweise keine Gelder mehr an die Gemeinden überwiesen werden. Währenddessen gibt es mindestens 17.000 Arbeitsplätze, die im formellen Sektor noch nicht wiederhergestellt werden konnten".

Wackelige Demokratie

Die Proteste vom 7. und 15. September, von denen der zweite weitaus massiver war und breite Teile der salvadorianischen Bevölkerung repräsentierte, fanden in einem Kontext großer nationaler und internationaler Unsicherheiten und Spannungen statt, nachdem die Regierungspartei Nuevas Ideas und ihre Verbündeten beschlossen hatten, das Gesetz über die richterliche Laufbahn zu reformieren und Richter und Staatsanwälte, die das 60. Lebensjahr erreicht haben oder mehr als 30 Jahre im Amt waren, automatisch in den Ruhestand zu versetzen.

Es handelt sich um mindestens ein Drittel der Richter des Landes, die zweifelsohne durch dem salvadorianischen Präsidenten loyale Personen ersetzt werden.

Am 3. September haben die Verfassungskammer (die sich nach der Einsetzung des neuen Parlaments am 1. Mai und der rechtswidrigen Entlassung ihrer Vorgänger aus Richtern zusammensetzt, die das volle Vertrauen Bukeles genießen) und der neu eingesetzte Generalstaatsanwalt außerdem einen - euphemistisch ausgedrückt - sehr originellen Beschluss gefasst, der es dem Präsidenten erlaubt, für die unmittelbare Folgeperiode zu kandidieren, was nach der salvadorianischen Verfassung verboten ist.

In der Entschließung weisen die Richter das Oberste Wahlgericht an, "einer Person, die das Amt des Präsidenten von El Salvador innehat und in der unmittelbar vorangegangenen Periode nicht Präsident war, die Möglichkeit zu geben, ein zweites Mal an Wahlen teilzunehmen". Auf diese Weise kann Nayib Bukele nach Ablauf seiner Amtszeit im Jahr 2024 die Wiederahl zum Präsidenten anstreben.

"Wir haben es mit einem autoritären Regime zu tun, welches das demokratische Modell imitiert, das sich in seinem Diskurs auf die Grundprinzipien dieses Modells beruft, wie die legitime Volksvertretung, freies Wahlrecht, öffentliche Freiheiten, Bürgerrechte, Bürgerbeteiligung durch Volksbefragung und sogar Volksabstimmungen, aber die zeigt, dass diese Elemente in der Praxis nicht angewandt werden, weil sie einfach vereinnahmt wurden. Vielmehr dienen sie als Tarnung, um zu verbergen und zu stützen, was wirklich vor sich geht", warnte die Stiftung für Studien zur Anwendung des Rechts (Fespad) nach der Entscheidung der obersten Richter.

Abgesehen von der Tatsache, dass sie verfassungswidrig ist, wird die Wiederwahl des Präsidenten auch von einem breiten Teil der Bevölkerung abgelehnt. Aber wie diese Situation umkehren, wenn alle Staatsgewalten von einer Person kontrolliert werden und nur ihren Interessen und nicht denen der Bevölkerung entsprechen? fragt sich Villalona.

"Wenn es keine Rechte für Richter, hohe Beamte und Staatsanwälte gibt, wenn der Präsident in das Parlament eindringt und es eskortiert von Polizei und Militär übernimmt, wenn er die Verfassung manipuliert, was kann er dann nicht mit der Bevölkerung machen?

Wir befinden uns in einer sehr heiklen Situation. Wir müssen die Menschen weiterhin informieren, die Organisationen stärken, weiter verschiedene Sektoren und Kräfte zusammenbringen, weiter protestieren und auf die Straße gehen.

Die Form, eine volksfeindliche Politik zu stoppen, liegt im Bürgerprotest und die Mobilisierung vom 15. September ist ein hoffnungsvolles Zeichen und eine klare Botschaft an die Regierung", schloss er.