Kolumbien / Politik

Kolumbien: Der Schlächter im Hintergrund

Interview mit dem kolumbianischen Journalisten und Filmemacher Daniel Mendoza

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"Kolumbiens Regierung hat nicht etwa nur Verbindungen zum Drogenhandel und zum Paramilitarismus, sondern sie verkörpert beides vielmehr selbst"
"Kolumbiens Regierung hat nicht etwa nur Verbindungen zum Drogenhandel und zum Paramilitarismus, sondern sie verkörpert beides vielmehr selbst"

Daniel Mendoza ist der Urheber der in Kolumbien bekannten Serie Matarife (Der Schlächter), in der die Taten des ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe und anderer Personen aus der kolumbianischen Elite angeprangert werden. Er hat Jura studiert, ist Rechtsanwalt und Kriminologe. Nach der Veröffentlichung eines Romans wandte er sich dem Journalismus zu. In zahlreichen Artikeln für die großen Zeitungen des Landes deckte er die Verwicklung der kolumbianischen Elite mit dem Drogenhandel und den Paramilitärs auf. Da er selbst aus einer reichen Familie stammt und Mitglied im elitären Club El Nogal war, konnte er diese Verwicklungen von klein auf aus der Nähe beobachten.

Nach seinem Rausschmiss aus diesem Club gründete er zusammen mit Gonzalo Guillén die Zeitschrift La Nueva Prensa. Die dort publizierten Artikel waren wiederum die Grundlage für die erste Staffel der Serie Matarife, die auf YouTube mehr als 20 Millionen Zugriffe erreichte und auf Messengerkanälen wie Whatsapp, Telegram und Signal noch deutlich mehr. Die Versuche von Álvaro Uribe und anderen, gerichtlich gegen die Serie vorzugehen, sind bislang gescheitert. Alle Behauptungen in der Serie konnten belegt werden. Seit gut einem Jahr wird sie in Europa produziert und dürfte damit vor weiteren rechtlichen Manövern des Ex-Präsidenten sicher sein. Daniel Mendoza lebt zurzeit im Exil in Frankreich und arbeitet an der dritten Staffel der Serie.

Die großen Mobilisierungen im Rahmen des Streiks und der landesweiten Proteste der letzten Monate waren divers und dezentral. Es gab verschiedene Führungs- und Organisationsmodelle. Die Berichte der traditionellen und alternativen Medien im Land unterschieden sich erheblich. Wie kommt es, dass das, was auf den Straßen passiert, so unterschiedlich wahrgenommen wird?

Dazu muss man wissen, dass Kolumbien von einem organisierten Machtapparat bzw. einer kriminellen Vereinigung regiert wird. Die kolumbianische Regierung hat nicht etwa nur Verbindungen zum Drogenhandel und zum Paramilitarismus, sondern sie verkörpert beides vielmehr selbst. Das ist etwas anderes und schwer zu verstehen, weil es das noch nirgendwo gab. Die Welt sollte wissen, dass die kolumbianische Regierung erwiesenermaßen Kokain exportiert und dass dies eine mörderische und paramilitärische Regierung ist. In dieser Todesmaschinerie sind die Medien ein sehr wichtiges Rad im Getriebe. Im Gegensatz zu den unabhängigen Medien erfüllen die großen Medien in Kolumbien ihre Kontrollfunktion nicht. Sie sind stattdessen Erfüllungsgehilfen der Regierungsverlautbarungen und damit Teil der Todesmaschinerie. Auf der anderen Seite stehen die kleinen und kämpferischen Medien wie unsere La Nueva Prensa. Wir haben es gewagt, schwerwiegende Taten der Regierung öffentlich zu machen. Die unabhängigen Medien sind die einzigen, die die Funktion der Gegenmacht ausüben, ohne die es keine lebendige Demokratie gibt. Ohne Medien, die in diesem Sinne Meinungsfreiheit ausüben und staatliche Missstände sowie Menschenrechtsverletzungen anprangern, kann es keine wirkliche Demokratie geben. Die kolumbianische "Demokratie" ist ein Zombie, der sich bewegt und existiert, aber nicht lebt. Sie ist ein Zombie mit offenen Augen, der sogar sprechen kann, aber er hat kein Herz, keinen Kopf und keine Seele.

Gab es in den Medien Manipulation? Können Sie uns Beispiele nennen?

Es gab ganz klar Manipulation – wie ich bereits sagte – von Seiten des Staates. Die Zeitschrift Semana hat alles dafür getan, die Zahl der Toten und der Übergriffe durch die Polizei nicht an die Öffentlichkeit dringen zu lassen, und der Fernsehsender RCN ebenso. Manipulation entsteht nicht nur durch aktives Handeln, sondern auch durch Unterlassung. Und das machen sie in erster Linie. Sie lassen offensichtliche, wahrheitsgemäße und eindeutige Fakten einfach weg. Sie reden nur von den Steinen: Sie zeigen Steine werfende Studierende, von denen eine:r plötzlich eine Scheibe einwirft. Aber sie blenden die Polizei aus, die auf die Menge schießt, oder die Paramilitärs, die in der Polizei sind und ebenfalls junge Menschen töten, das ist eine Unterlassung. Die traditionellen Medien haben barbarische und grausame Dinge verschwiegen. Wenn sie zum Beispiel nicht berichten, dass Köpfe auf Müllhalden gefunden wurden und Gliedmaßen von jungen Menschen auf der Straße verstreut waren, dann manipulieren diese Medien durch Unterlassung. Und es gibt auch aktive Manipulation. Dazu muss man nur Zeitschriften wie Semana lesen. So wurde beispielsweise der Spitzenkandidat der Opposition, Gustavo Petro, auf einer Titelseite für den Streik verantwortlich gemacht. Ein schreckliches Titelbild, das ihn vor lodernden Flammen zeigt, als ob er die Gewalt im Streik anheizen würde, obwohl er die Jugend doch nur zu Frieden und Liebe aufgerufen hat. In Kolumbien bedeutet ein solches Titelbild nicht nur eine Diffamierung, sondern eine Gefahr für Leib und Leben.

Was können Sie zur Pressezensur in Kolumbien sagen, besonders während der jüngsten Proteste?

Diese wird durch den organisierten Machtapparat ausgeübt und nimmt verschiedene Formen an. Die ganzen Anwälte rund um Álvaro Uribe verfolgen Twitterer und Journalist:innen mit Anzeigen, bei denen nie etwas herauskommt. Aber sie wollen mit diesen juristischen Schikanen die freie Meinungsäußerung unterbinden, das ist eine ihrer Taktiken.

Die digitalen Live-Informationen durch die größtenteils jungen Protagonisten und Protagonistinnen erreichten durch die aufgezeichneten Videos ein großes Publikum. Dieser digitale Aktivismus hat es ermöglicht, dass marginalisierte junge Menschen, die bisher keine Stimme hatten, gesehen wurden und Gehör fanden. Trotzdem beklagten sich manche Leute über ein Zuviel an Informationen zu den Ereignissen, und dass sie gar nicht mehr wüssten, was sie glauben sollen. Was sagen Sie zu diesen Meinungen?

Ich glaube nicht, dass es zu viele Informationen durch digitale Medien und neue Technologien gab. Durch die Filme konnte zum ersten Mal die ganze Welt live und direkt mit verfolgen, wie ein Völkermord durchgeführt wurde. In diesem Sinne sind die digitalen Medien und die mit Mobiltelefonen aufgenommenen Videos zum einen ein historisches Dokument, wie ein mörderischer Staat funktioniert, und damit ein Beitrag zur Geschichtsschreibung. Aber sie dienen auch als juristisches Beweismaterial, auf das die CIDH (Interamerikanische Kommission für Menschenrechte) von Anfang an für ihre Statements zurückgegriffen hat. Für die Welt und die Rechtsorgane ist damit klar geworden, dass in Kolumbien ein Völkermord an Jugendlichen verübt wurde. Jetzt muss die Welt es wissen, die Welt muss es sehen, und wir müssen diese Wahrheit verbreiten. Kolumbien kann nur durch die ganze Welt gerettet werden.

Während des Streiks und der Proteste wurden Angriffe auf Journalisten und Journalistinnen durch die Sicherheitskräfte dokumentiert. Die Schikanen sowie Diebstahl und Vernichtung von Material hatten das Ziel, eine Berichterstattung über die soziale Mobilisierung zu verhindern. Was ist Ihrer Meinung nach angesichts dieser prekären Sicherheitslage zu tun?

Wir müssen das alles vor internationalen Gremien anprangern, aber ich glaube, dass auch die ausländischen Regierungen helfen und Stellung nehmen müssen, das ist das einzig Wirksame, denn Kolumbien befindet sich in den Händen eines kriminellen Apparates, dessen wirklicher Machthaber Álvaro Uribe Vélez, der Herr über Licht und Dunkelheit in Kolumbien, ist. Er spricht mit dem Präsidenten über ein Mobiltelefon, er spricht mit den Regierungsmitgliedern, mit der Staatsanwaltschaft, mit den Abgeordneten des Senats, aber auf der anderen Seite spricht er mit der Oficina de Envigado, einem der schlimmsten Mord- und Drogenkartelle des Landes, mit den Águilas Negras, einer paramilitärischen Gruppe, die sich aus aktiven Militärs, Reservisten und Auftragskillern des ehemaligen Medellín-Kartells zusammensetzt, sowie mit dem Golf-Kartell und mit den Autodefensas Gaitanistas. Er spricht also mit den Paramilitärs und mit dem kolumbianischen Drogenhandel. Er hat eine direkte und historische Beziehung zum Kokainexport nach Mexiko durch das Sinaloa-Kartell. Das ist Álvaro Uribe Vélez, das ist der Matarife, der Schlächter.

Das Interview ist erschienen in der ila 448

Hinweis der a21-Redaktion: Am 5. November im Rahmen einer Rundreise von Daniel Mendoza in Köln der Kulturabend "Kolumbien zwischen mafiösem Staat und sozialem Aufstand" statt, bei dem Teile von Matarife zu sehen sein werden. Regisseur Mendoza ist anwesend. Amerika21 ist Mitveranstalter