Bolivien / Politik

Wahlen in Bolivien 2019: Die Bewegung zum Sozialismus gegen das "Projekt Mesa"

Die reale Schlacht wird nicht in den Netzwerken sondern auf den Straßen geschlagen. 2019 werden 50 Prozent der Wählerschaft in Bolivien zwischen 18 und 36 Jahre alt sein

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Demonstration in Cochabamba zur Unterstützung von Präsident Evo Morales
Demonstration in Cochabamba zur Unterstützung von Präsident Evo Morales

Zwei politische Nachrichten haben das politische Tableau in Bolivien hinsichtlich der im Oktober 2019 stattfindenden Präsidentschaftswahlen aufgewirbelt.

Zum einen die Verabschiedung des Gesetzes über Politische Organisationen durch die Plurinationale Gesetzesversammlung, ein Gesetz, das in den letzten Jahren von der Wahlbehörde erarbeitet worden war und drei Grundbestandteile aufweist: eine Mischfinanzierung der politischen Parteien durch private Beiträge und staatliche Gelder; eine paritätische Demokratie auf der Grundlage einer 50-prozentigen Beteiligung von Frauen an Parteibeschlüssen und Kandidaturen; und vor allem die Pflicht der Parteien, zur Auswahl ihrer Kandidaten Vorwahlen durchzuführen, in diesem Fall für das Duo Präsident/Vizepräsident.

Die Verabschiedung dieses von Regierungsseite intelligent vorangetriebenen Gesetzes zwingt die Opposition, ihre Strategie zu ändern. Sie war angesichts des Verschleißes der traditionellen Parteien darauf ausgerichtet, "Bürgerplattformen" gegen die Regierung und den Transformationsprozess aufzubauen und diese Botschaft wurde von den oppositionellen Medien noch weiter verbreitet.

Zum anderen die Ankündigung von Carlos Mesa, für die Präsidentschaft zu kandidieren, und dafür die Initialen einer alten, mit der neoliberalen Rechten verbündeten Linkspartei zu retten, FRI (Frente Revolucionario de Izquierda, Revolutionäre Linksfront). Mesa folgt der von der Rechten im Kontinent in Gang gebrachten Dynamik, die jetzt vor allem Front gegen die fortschrittlichen Regierungen macht, und präsentiert sich als eine "neue" Front gegenüber einer Vergangenheit, für die die Bewegung zum Sozialismus (MAS) und Evo Morales stehen.

Mesa entwirft das Bild einer neuen Führerschaft für eine neue Zeit und appelliert an die Bürger in der Hoffnung, dass diese vergessen, dass er schon einmal Kandidat war, dass er Vizepräsident unter Gonzalo Sánchez de Lozada und 2003 Präsident war, als Goni sich nach dem Massaker im schwarzen Oktober per Hubschrauber erst nach Peru aus dem Staub machte und dann von dort im Flugzeug in die USA flog, wo er sich auf der Flucht vor der bolivianischen Justiz aufhält.

Tatsächlich haben die Verabschiedung des Gesetzes über Politische Organisationen und die offizielle Kandidatur von Carlos Mesa das wahlkampfpolitische Schlachtfeld in einem Bolivien neu gestaltet, das in eine Wahlkampagne stürzen wird, sobald die Anhänger der verschiedenen Parteien am 27. Januar ihr jeweiliges Kandidatenduo bestimmen ‒ Evo Morales für die MAS und Carlos Mesa für die FRI als Hauptkandidaten und Anwärter auf die Präsidentschaft des Plurinationalen Staates.

Die Wahlbehörde bestätigt die Kandidaturen. Wenn das geschehen ist, rückt die erste politische Konfrontation seitens einer Opposition näher, die versuchen wird, die Kampagne zu eröffnen, indem sie genau diese Entscheidung zur vordersten Linie der Kampffront macht und den ersten Baustein legt, um eine politisch-institutionelle Krise heraufzubeschwören, die das gesamte Jahre 2019 über bis zum Wahltag andauern soll.

So oder so beenden die beiden erwähnten politischen Tatsachen teilweise den Konfrontationszyklus mittels Plattformen (von denen einige derart rechtsextrem sind, dass sie Verbindungen zu Bolsonaro in Brasilien haben und ihn öffentlich unterstützen), die versucht haben, die Idee durchzusetzen, dass in Bolivien eine Diktatur herrsche, und es eröffnet sich eine klassische Konfrontation zwischen dem MAS-Projekt einer demokratischen Erweiterung und Umverteilung mit Inklusion und dem politischen und wirtschaftlichen Projekt, das Carlos Mesa den Bürgern wird präsentieren müssen. Wahrscheinlich gehen wir zu einer mehrdimensionalen Konfrontation über, mit einem Evo Morales, der eingekreist wird von einer politischen Opposition unter der Führung von Carlos Mesa, einer medialen Oppsotion der größten privaten, regierungfeindlichen Medien und einem gewissen katastrophalen Unentschieden auf den Straßen zwischen Regierungsanhängern und Oppositions.

Das Szenarium für Oktober 2019 ist nicht einfach vorherzusagen. Um in der ersten Runde zu gewinnen, müssen mindestens 40 Prozent der Stimmen und ein Vorsprung von 10 Punkten gegenüber dem Zweitplatzierten erreicht werden; etwas, was gegenwärtig allem Anschein nach weder Evo Morales noch Carlos Mesa garantieren können. Die MAS hat aber sicher den Vorteil, von einem harten Kern von 30 Prozent ausgehen zu können. Aber Mesa weiß, dass eine Stichwahl zwischen Evo und ihm eine Neuauflage des 21. Februar1 wäre und nach dem Motto "alle gegen Evo" wahrscheinlich der Opposition den Sieg bringen würde. Sollte die MAS gewinnen, so wird sie das im Unterschied zu 2005, 2009 und 2014 ohne parlamentarische Mehrheit tun.

Es gibt eine Realität ‒ und das ist der Verschleiß und das Schwinden der Mystik des von Evo Morales angeführten Transformationsprozesses. Die Entfremdung zwischen einem Evo, der von der städtischen Mittelschicht als weit weg wahrgenommen wird, ist teilweise eigenen Fehlern bei der Regierungsführung geschuldet, ist aber nicht der einzige Grund. Als die bolivianische Regierung voller Stolz verkündete, dass sie (laut Vereinten Nationen) drei Millionen Einwohner (von insgesamt elf Millionen) aus der Armut herausgeholt hat, kalkulierte sie nicht ein, dass sich "Volk" in "Bürger", "Militante" bei der Verteidigung der Souveränität und der Naturreichtümer in "Konsumenten" verwandeln.

Die Konfrontation zwischen der MAS-Bewegung und der Mesa-Gefolgschaft wird so heftig werden wie die in den Jahren 2006 ‒ 2008. Die MAS-Bewegung verfügt über eine solide Führerschaft, die die unterschiedlichen Strömungen, Gruppierungen und Gewerkschaften vereint und zusammenhält, und sie verfügt über ein Projekt für das Land, das in der Patriotischen Agenda 2025 seinen Ausdruck findet. Es kommt nun darauf an, das Begonnene zu Ende zu führen, das sich Anfang der 1990er-Jahre mit den ersten Märsche für Land und Boden formierte, dann zu einem Verfassungsprozess führte, der nach dem Wasserkrieg (2000) und dem Gaskrieg (2003) in einem Sieg der MAS gipfelte, und sich fortsetzte mit der Nationalisierung der Bodenschätze (2006) und einer Verfassunggebenden Versammlung (2006 – 2008). Dieser Verfassungsprozess sollte 2025, dem 200. Jahrestag der Unabhängigkeit in einem Bolivien kulminieren, in dem niemand mehr in extremer Armut lebt bzw. eine hundertprozentige Grundversorgung verfügbar ist, Strom, Trinkwasser und Abwasserentsorgung...

Dafür ist es notwendig, sich selbstkritisch mit Fehlern auseinanderzusetzen, aber auch damit, was aus dem einen oder anderen Grund in diesen 13 Jahren des Transformationsprozesses nicht erreicht werden konnte. Das Steuer muss herumgerissen werden, um das Nötige zu korrigieren (Gesundheitswesen und Justiz sind die großen anstehenden Herausforderungen), und man sollte im Auge behalten, dass die Netzwerke zwar bedeutsam sind, aber dass die reale Schlacht auf den Straßen geschlagen und um den gesunden Menschenverstand des neuen Bolivien gestritten wird, wo im Jahr 2019 50 Prozent der Wählerschaft zwischen 18 und 36 Jahre alt sein werden.

Angesichts der Werten der MAS-Bewegung: Erweiterung der Demokratie, Umverteilung mit Inklusion, territoriale Integration durch Infrastruktur, Industrialisierung und Diversifizierung der Produktion ‒ kann das Mesa-Konzept nicht als politisches Projekt bestehen, es sei denn als ein Gegenentwurf. Sein Hauptziel ist, Evo aus dem Amt zu vertreiben, ohne das verbotene Wort (Neoliberalismus) zu verwenden .

Wenn das MAS-Projekt gewinnt, wird es an der Zeit sein, kollektive Führungen aufzubauen, die den Transformationsprozess fortführen und vertiefen. Falls das Mesa-Konzept gewinnt, wird Bolivien wieder zu den Zeiten einer Konfrontation zwischen einem Präsidenten ohne politische Struktur und ohne parlamentarische Mehrheit zurückkehren und zu einer Opposition, die weiterhin die Interessen des Volkes verteidigen und ohne jeden Zweifel von Evo Morales angeführt werden wird.

Katu Arkonada aus dem Baskenland ist Politikwissenschaftler und Autor, lebt derzeit in Mexiko; ehemaliger Berater des stellvertretenden Ministers für Strategische Planung und dem Außenministerium Boliviens.

  • 1. Bei einem Referendum am 21. Februar 2016 stimmte eine knappe Mehrheit der Bevölkerung gegen die Ermöglichung einer erneuten Kandidatur Morales'. Durch Urteil des Verfassungsgerichts wurde jedoch die unbegrenzte Wiederwahl bei Präsidentschafts-, Parlaments- und Regionalwahlen erlaubt. Das Gericht argumentierte, die Begrenzung der Wiederwahl schränke die politischen Rechte ein, die Bolivien mit der Unterschrift der Amerikanischen Menschenrechtskonvention von 1969 anerkannt habe. Artikels 256 der Verfassung besagt, dass Menschenrechte in internationalen Verträgen dann Vorrang vor nationalem Recht genießen, sofern sie diese begünstigen. Die Menschenrechtskonvention sei in Bezug auf die politischen Rechte die zu bevorzugende Gesetzgebung. Das Urteil wurde von der Opposition und Teilen der Gesellschaft scharf kritisiert.