Vor- und Nachteile von Kryptowährungen: Der Petro in Venezuela

Ist der Petro nur ein Vorabverkauf von Erdöl oder eine durch Öl gedeckte Schuldenaufnahme?

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Webseite der Regierung von Venezuela zur Information über die Kryptowährung Petro
Webseite der Regierung von Venezuela zur Information über die Kryptowährung Petro

Die Digitalwährung Bitcoin tauchte 2009 auf. Sie war dezentral angelegt und hatte keinerlei materielle Stütze. Das Vertrauen in sie gründet auf der Sicherheit einer technologischen Plattform, auf der Millionen weltweit vernetzter Rechner eine Serie von Operationen durchführen, die gesichert sind durch eine Kette verschlüsselter und dezentral angelegter Bereiche, der sogenannten Blockchain.

"Schürfen" von Kryptogeld bedeutet das Durchführen komplexer mathematischer Operationen gegen Entgelt in einem weltweiten, dezentralisierten Netz. Der Umtauschkurs einer Kryptowährung ist nicht von einer Zentralbank oder einer Regierung garantiert, sondern er entsteht auf dem offenen Markt.

Kryptowährungen können von einer virtuellen Geldbörse in eine andere wandern, ohne dass dies von irgendeiner Bank, Finanzbehörde oder sonstigen offiziellen Stelle erlaubt oder überwacht würde. Dieses Prinzip, das den Bitcoin beherrscht, ist das bei Kryptowährungen das am meisten verbreitete, es ist aber anscheinend nicht mehr das einzige.

Derzeit werden weitere Kryptowährungen angekündigt, die auf Gold, Diamanten, Öl oder anderen Rohstoffen basieren. Tatsächlich denken verschiedene Staaten über die Ausgabe materiell gestützter Kryptowährungen nach. Das Königliche Schatzamt in England kündigte den goldgestützten RMG an, Schweden denkt über die e-corona nach, Singapur über den ubin, Estland über den estcoin, und in Venezuela wurde der Petro auf den Weg gebracht.

Präsident Nicolas Maduro dekretierte das "Feld Nr. 1 des Ayacucho Blocks" im Orinoco Ölgürtel als Deckung für den Petro: "Ich beurkunde notariell und mit internationaler Beglaubigung das Feld Nr.1 im Orinoco Ölgürtel mit 5 Milliarden Barrel Öl als Grundlage der Kryptowährung. Damit wird ein großes materielles Vermögen zur Basis der einzigen Kryptowährung der Welt mit nachgewiesener, zertifizierter und verifizierbarer Absicherung", versicherte Maduro.

Eine solche zentralisierte Emission auf materieller Grundlage bedeutet eine Änderung des ursprünglichen Konzeptes von Kryptowährungen, obgleich die Blockchain-Technologie bei der Ausgabe immer noch benutzt wird.

Vorteile und Nachteile

Kryptowährungen wie der Bitcoin sind von keinen Vermögenswerten gestützt noch von irgendeiner Instanz reguliert. Die abrupten Schwankungen spiegeln insofern eine spekulative Logik. Nach beispiellosen Spitzen von über 20.000 Dollar pro Einheit Ende 2017 verlor der Bitcoin in wenigen Tagen 8.000 Dollar und schloss bei ca. 12.000 Dollar. In spekulativen Blasen regelt sich der Preis nach Angebot und Nachfrage ohne Bezug auf reale Werte.

Die neuen Kryptowährungen, die sich auf Gold, Diamanten oder Öl stützen, hängen von international zertifizierten Reserven und von einer Selbstregulierung ab, die mit dem Preis der zugrundeliegenden Naturressourcen syncron geht. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass eine Rohstoff- oder ölgestützte Kryptowährung stabilere Preise hat. Im internationalen Markt mit dem Preisgefüge von Naturressourcen verankert, werden ihre Schwankungen - so scharf sie sein mögen - keine derartigen Spitzen und Abstürze erleben.

Da digitale Bezahlmethoden inzwischen weltweiter Trend sind, werden Kryptowährungen die Verbreitung digitaler Bankgeschäfte in der Bevölkerung in einer Weise anregen, dass virtuelle Geldbörsen und elektronisches Bezahlen beim Kaufen und Verkaufen zu etwas Alltäglichem werden.

Das Beispiel des Petro

Im Prinzip haben Kryptowährungen mit materieller Grundlage Vorteile gegenüber dem Bitcoin. Aber in der Praxis gibt es Zweifel. Beim Petro sind es technische Unzulänglichkeiten, die seinen Gebrauch als Zahlungsmittel einschränken. Es genügt, auf die aktuellen Verzögerungen beim elektronischen Zahlungsverkehr hinzuweisen1. Wenn der Petro keine allgemeine Verbreitung bekommt, dann kann er weder als Maß bei der Preisgestaltung noch als allgemeines Zahlungsmittel bei Kauf und Verkauf benutzt werden. Noch weniger kann er dann als allgemeine Reservewährung zum Schutz der Kaufkraft bei Einkommen und Sparguthaben dienen.

Anders als beim dezentralen Bitcoin-Ansatz schlug Maduro den Aufbau von "Schürfhöfen" für Petros vor, angesiedelt beim Ministerium für Jugend. Aber in einem zentralisierten Modell sind die "Miner" Regierungsangestellte, die Gehalt bekommen, statt Provision, die von ihrer Arbeit abhängt. Wenn aber die Überprüfung jeder Transaktion zentralisiert und bürokratisiert stattfindet, dann könnte das ganze System kollabieren.

Ein anderes Problem ist der eingeschränkte Zugang. Fünf Prozent aller Bitcoin-Besitzer kontrollieren über 90 Prozent des Gesamtbestandes, und kaum 25 Prozent der Kryptowährung wird zum Austausch benutzt. 75 Prozent werden zum Weiterverkauf für den Fall zurückgehalten, dass die Preise steigen.

Wenn in einer ersten Tranche 100 Millionen Petros auf DICOM-Auktionen verkauft werden, dann muss das für die allgemeine Öffentlichkeit in absolut transparenter Weise zugänglich sein. Bei schlecht verwaltetem Petro wird sich die obskure Geschichte von CADIVI, CENCOEX, SITME, SIMADI, DIPRO und DICOM2 wiederholen, wo einige wenige mit Zugang zu Vorzugsdevisen die Privilegierten waren, während die meisten Personen und Unternehmen ausgeschlossen waren.

Falls nur Renditejäger, Spekulanten und Korrupte Zugang zum Petro zum Vorzugskurs haben, so wäre das wie Ölverkauf zu Schleuderpreisen. Bei 50 Dollar pro Barrel ist der Preis bei DIPRO-Kurs 500 Bolivar für den Barrel zu 159 Litern, also nur 3 Bolivar für jeden Liter Öl.

Die Ausgabe von Petros würde die Dollarisierung oder Yuanisierung der venezolanischen Wirtschaft befördern. Die Regierung verkündete den Wert des Petro als Äquivalent für einen Barrel Öl. Im Falle von Yuanpreisen und 378 Yuan pro Barrel summieren sich die 5 Milliarden Barrel im Ayacucho Feld zu 945 Milliarden Yuan, die auf der DICOM versteigert würden, was zu wachsendem Einfluss des Yuan in Venezuela führen würde. Im Falle des Dollar bedeuten 5 Milliarden Barrel Öl ein entsprechendes US-Dollar-Aufkommen, was die dominierende Stellung des Dollar in der venezolanischen Wirtschaft aufrechterhalten würde.

Es gibt auch Zweifel, ob der Petro wirklich eintauschbar wäre. Kein normaler Bürger oder großer Investor wird Petros kaufen wollen, wenn er sie später nicht gegen eine andere Kryptowährung oder Auslandswährung oder ihren Gegenwert in Öl eintauschen kann. Zu Zeiten, als der US-Dollar vom Goldstandard bestimmt war, konnten Wirtschaftsakteure ihre Dollars zur Bank bringen und sie gegen Gold eintauschen, aber dieses Modell brach zusammen, als die US-Regierung das nicht mehr tat.

Die in der Welt zirkulierenden Dollars haben jedoch weiter das riesige Spektrum an Gütern und Dienstleistungen der mächtigen US-Wirtschaft im Rücken. Venezuela dagegen hat einem immer stärker prekären Produktionsapparat und eine schwer verschuldete Ölindustrie am Rande des Kollaps. Gegen welches Öl oder andere Produkte können Petros eingetauscht werden im Falle, dass deren Deckung verlangt wird?

Und schließlich, wenn wie angekündigt große Anteile der emittierten 100 Milliarden Petros von Ländern wie Brasilien, Russland, Indien, China oder Südafrika gekauft werden, dann kann das auch als Vorabverkauf von Erdöl interpretiert werden oder auch, jedenfalls solange die Petros durch den Ayacucho Block des Orinoco Ölgürtels garantiert sind, als Aufnahme von Auslandsschulden.

Man darf nicht vergessen, dass jedes der Länder, die Petros kaufen, die Rückversicherung in Öl einfordern kann. Also ist die Frage berechtigt: Ist der Petro nur ein Vorabverkauf von Erdöl oder eine durch Öl gedeckte Schuldaufnahme.

  • 1. Anmerkung von Venezuelanalysis: Auf Grund des landesweiten Mangels an Bargeld ist Venezuelas Kredit- und Buchungssystem stark überlastet mit der Folge von Verzögerungen bei der Kreditkarten-Verarbeitung, die bei den zweiwöchentlichen Lohnzahlungen bis zu fünf Minuten dauern können
  • 2. Anmerkung von Venezuelanalysis: DICOM ist das neueste, von der Maduro-Regierung eingeführte Geldwechselsystem zur Versorgung der Venezolaner mit Auslandswährung mittels öffentlicher Auktionen und der Absicht, den Schwarzmarkt auszutrocknen. Der Autor (Víctor Álvarez) argumentiert, dass der Petro, sofern nicht sachgemäß und öffentlich nachvollziehbar eingeführt, die Fehler des DICOM und früherer Umtauschmechanismen (CADIVI, CENCOEX, etc.) wiederholen könnte