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Glaubenskampf um Assange

Lockvögeln gegen Wikileaks? Dichtung und Wahrheit in den Enthüllungen zu einem Sex-Komplott von CIA und rechtem Kubaexil

Viele Wege führen nach Langley. Die Liste der Schurkereien, in die US-Geheimdienste wie die dort nahe Washington beheimatete CIA verwickelt sind, ist lang. Entführungen und Attentate, Geheimgefängnisse und Folterschulen, Bespitzelung und Zersetzungstätigkeit gegen politisch Missliebige und vor allem die Manipulation der Medien durch permanente Desinformation gehören zum Repertoire. Nur wenig davon kommt an das Licht der Öffentlichkeit.

Wenn vor diesem Hintergrund der vom Establishment als Staatsfeind Nr. 2 nach Osama bin Laden gehandelte Wikileaks-Gründer Julian Assange ins Visier der Justiz eines US-freundlichen Landes gerät, ist genau hinzusehen. Und es sieht nicht nach Zufall aus, wenn zum selben Zeitpunkt der von Wikileaks ausgelöste "Cablegate" Uncle Sams Diplomatie bloßstellt. Die Anklagen aus Schweden wegen sexueller Übergriffe gegen zwei Frauen haben rund um den Globus eine emotional geführte Debatte ausgelöst. Eine breite Verteidigerfront für Assange machte mobil. Sie sieht in der Verfolgung des Aufdeckers ein Komplott und einen politischen Racheakt mit fingierten Anschuldigungen. Assange selbst sprach von "schmutzigen Tricks", mit denen er habe rechnen müssen. Derzeit sieht der Wikileaks-Gründer in England seiner Auslieferung an die schwedische Gerichtsbarkeit entgegen.

Stille Post statt Recherche

Wie ein Leuchtfeuer verbreiteten sich in der zumeist linken Unterstützerszene die Enthüllungen zum "Sexskandal", mit denen das kubanische KP-Zentralorgan "Granma" aufwartete  (auf Deutsch in "Granma Internacional" veröffentlicht.) Darin möchte der kanadische Journalist Jean-Guy Allard nachweisen, dass hinter den Machenschaften, um "den Inhaber der Webseite WikiLeaks in Verruf zu bringen", eine "kubanische Kollaborateurin der CIA" stecke. Deren Verbindungen reichten bis zu dem in kriminelle Machenschaften verwickelten prominenten Castro-Gegner Carlos Alberto Montaner. Allard lebt seit einigen Jahren auf Kuba, von wo aus er gegen terroristische Netzwerke Washingtons anschreibt.

Für viele Anhänger Assanges schien damit der erlösende eindeutige Beweis, die "smoking gun" für ein Komplott, ausgemacht. Via Internet wurde die Story fleißig kolportiert, weiter geformt und ausgeschmückt. Konventionelle Medien zogen nach. Kaum einer der Weiterverkünder unterzog sich der Mühe, die Behauptungen zu hinterfragen oder gar Fakten gegenzurecherchieren. Denn Recherche kostet Zeit, die auf dem Newsbasar einen wichtigen Vorsprung ausmacht – und oft die schönste Story kaputt. Und ist ein offizielles Parteiorgan nicht Bürge genug? Dabei wird ignoriert, dass dieses eingebunden ist in den schon ein halbes Jahrhundert währenden kalten Krieg mit dem feindlichen großen Nachbarn und dementsprechend nach innen und außen auch eine propagandistische Funktion wahrnimmt.

Schwarz-weiß-Denken

Im Arsenal der Propaganda kommt dem Vorwurf der Agententätigkeit eine herausgehobene Rolle zu. Dem politischen Gegner wird dabei unterstellt, nicht aufgrund eigener Überzeugungen zu handeln, sondern als gedungener Handlanger fremder Mächte. Eine Ablehnung der jeweils herrschenden Meinung soll als widernatürlich erscheinen. Der Abweichler wird aus der Gemeinschaft ausgeschlossen, durch seine Herabsetzung zu einem "Unberührbaren". Dieses Muster findet auf allen Seiten Anwendung. So war die Linke im Westen "von Moskau gesteuert", deutsche Sozialisten galten als "vaterlandslose Gesellen", die innerparteilichen Gegner Stalins wurden als "Agenten kapitalistischer Mächte" hingestellt und DDR-Dissidenten waren stets vom Westen gelenkt. Spione, bezahlte Provokateure und Einflussagenten gab es und gibt es – aber eben unter anderen Andersdenkenden.

Agentenstorys haben ihren besonderen Reiz. Schöne Frauen und deren doppeltes Spiel sind die richtige Zugabe. Diese Rolle bekommt seit den Granma-Enthüllungen die 31jährige Anna Ardin zugeschrieben, als diejenige, die angeblich den Wikileaks-Gründer durch eine Vergewaltigungsanzeige ins Gefängnis brachte. Die schwedischen Behörden hatten ihre Ermittlungen wegen sexueller Nötigung und Vergewaltigung auf Grundlage der Aussagen von Ardin und einer weiteren Sexualpartnerin Assanges eingeleitet. Bei Allard wird Ardin zu einer Vertreterin des kubanischen Exils, des Sammelbeckens antisozialistischer Kräfte. Doch schon diese Karte sticht nicht: Bei Bürgern Schwedens, die vor dem Jahr 1990 geboren sind, gibt die Personenkennzahl auch Auskunft über deren Geburtsort. Anna Ardin kam nicht in Havanna zur Welt, wie es einige sogar noch genauer als die kanadische Spürnasewissen wollen, sondern in Gotlands Län. Diese Provinz umfasst die in der Ostsee gelegene Insel Gotland und angrenzende Eilande. Bis Kuba reicht sie definitiv nicht. Für die Glaubwürdigkeit der Sex-and-Crime-Saga ist es kein gutes Indiz, wenn ihr Fundament schon beim ersten Antippen bröselt.

Vollständig irrelevant in Bezug auf eine irgendwie geartete dunkle Verstrickung ist es, dass Anna Ardin 2007 an der Gründung eines Gay-Klubs auf Gotland mitwirkte, wie derselbe Granma-Artikel seinen Lesern mitteilen zu müssen meint. Hier zielt der Holzhammer unter die Gürtellinie. Dies ist unwürdig auch angesichts der Fortschritte, die gerade Kuba in den letzten Jahren hin zu einer toleranten, aufgeklärten Sexualpolitik gemacht hat.

Maus als Elefant

Nun zu den Bausteinen, auf die sich die Behauptungen stützen, Anna Ardin wäre eine Protagonistin "US-gesteuerter und finanzierter Webseiten" der rechten Exilmafia und gelte als "'Expertin' zu Kuba-Fragen in den schwedischen Kommunikationsmedien Dagens Nyheter und SVT". In der größten seriösen Tageszeitung Schwedens wird die Staatswissenschaftlerin Ardin ein einziges Mal im September 2010 zu den aktuellen Wirtschaftsreformen in Kuba zitiert (Reformer av kubanska ekonomin en maktfråga). Eine Websuche auf den Seiten von Sveriges Television (SVT), dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen, fördert ebenfalls nur spärliche Resultate hervor. Neben einem Hinweis auf dieselbe Äußerung von Ardin zu Kubas Ökonomie taucht sie lediglich in zwei Programmhinweisen aus dem Jahr 2006 auf.

Bleibt noch das Internetportal Misceláneas de Cuba, welches der nach Schweden exilierte Alexis Gainza Solenzal verantwortet. Gainza streitet jede Verbindung zur CIA oder als Geldnehmer der USAID (United States Agency for International Development) ab, was nichts heißen muß. Welches Geschäft er besorgt, liegt nicht im Geheimen: Mit internationaler Unterstützung möchte er die Bürgerrechts- und Demokratiebewegung zum Hebel machen, um in Kuba einen "Regime Change" herbeizuführen, die sozialistische Ordnung also zu beseitigen und durch die bürgerliche Demokratie zu ersetzen. Wie "Granma" richtig schreibt, steht er auch in Verbindung mit der dubiosen rechtslastigen Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) aus Deutschland. Als Lobbyist der Castro-Gegner fordert er von Schweden und den EU-Staaten, ihre diplomatischen Vertretungen in Kuba noch stärker für eine Einmischung in dessen innere Angelegenheiten zu missbrauchen. Sie sollten politischen Dissidenten als Kommunikationsstützpunkte und Lieferanten von Propagandamaterial dienen. Er fordert mehr "politische, moralische und ökonomische Unterstützung" der EU für seine Kreise ein. (Siehe: Kuba efter Che och Castro  – frihet eller fortsatt förtryck? Herausgegeben vom liberalen schwedischen Thinktank Bertil Ohlininstitutet.)

Was nun hat Anna Ardin zu Gainzas Propagandafeldzug beigetragen? Misceláneas de Cuba enthält ganze zwei Beiträge aus ihrer Feder, beide stammen aus dem Januar 2005. Sie wurden nicht exklusiv verfasst, sondern erschienen zuerst auf Schwedisch in der regionalen Zeitung Gotlands Tidningar. Unter den Titeln "Was geschieht, wenn Castro stirbt?" und "Kuba braucht eine neue Politik" hat Ardin darin Eindrücke einer Reise nach Kuba im Dezember 2004 verarbeitet. Ihr Blick auf das Land ist kritisch: Sie prangert das System der doppelten Währung an, die niedrigen Löhne, die Abzocke von Besuchern, die Prostitution und die allgegenwärtige Jagd nach der harten Währung und vor allem die Separierung der Einheimischen von Fremden, welche sie "fast als Apartheid" empfindet: "Ich bin ausgeschlossen von der Welt der Kubaner und diese von der der Touristen ..." Mittlerweile hat Kuba hier politische Korrekturen vorgenommen und diskriminierende Beschränkungen für Einheimische beseitigt.

Gleichzeitig benennt Ardin in ihrem Bericht auch die Errungenschaften von kostenloser Bildung und Gesundheitsfürsorge sowie die Abwesenheit von Hungertod und allgemeiner Kriminalität. Es wäre wenig realistisch zu erwarten, dass das ökonomisch schwer gebeutelte Kuba der Castro-Endzeit die Faszination ausüben könnte, um eine junge Sozialdemokratin aus dem hochentwickelten Wohlfahrtsstaat Schweden zu einer glühenden Anhängerin der Revolution zu wandeln. Stattdessen macht sie sich Hoffnungen auf einen dritten Weg zwischen "Castro-Herrschaft" und Fremdbestimmung durch die USA und wirbt für die sozialdemokratisch orientierte Dissidentenvereinigung Corriente Socialista Democrática Cubana. Dass sich Ardin auch im Ausland politische Freunde in ihrem Lager sucht, ist kein Beleg für eine CIA-Karriere. Auch von Internet-Meinungsmachern über sechs Ecken konstruierte Links zu Montaner oder gar altgedienten Terroristen aus dem ultrarechten Anti-Castro-Spektrum, um Ardin in deren Nähe zu rücken, besitzen wenig Erkenntniswert.

Nach westlicher Schablone

In der Spur des politischen Mainstreams wandelte Ardin auch mit ihrer Masterarbeit am Institut für Staatswissenschaft der Universität von Uppsala aus dem Frühjahr 2007. Unter dem Thema "Das kubanische Mehrparteiensystem" geht sie der Frage nach: "Ist die demokratische Alternative wirklich demokratisch und eine Alternative für die Zeit nach dem Castro-Regime?" Hierfür interviewte sie im Juni 2006 in Kuba Führungsfiguren und Mitglieder von vier Gruppierungen, die Anspruch erheben, Partei zu sein – liberal, sozialdemokratisch beziehungsweise konservativ ausgerichtet. Sie fand bei diesen ideologisch von westlichen Vorbildern abgeleitete Programmsetzungen, aber auch Führerkult und einen gravierenden Mangel an interner Demokratie vor.

Bei ihren Feldstudien in Havanna stand sie unter den Fittichen der kubanischen Ex-Diplomatin Miriam Leiva, die als eine Sprecherin der "Damas de blanco" ("Damen in weiß") in Erscheinung tritt. Hierin haben sich Angehörige von Gefangenen mit einem politischen Hintergrund zusammengeschlossen. Ihnen kommt die besondere Aufmerksamkeit der westlichen Medien ebenso zu wie eine intensive Förderung durch die US-Vertretung in Havanna. Auch Diplomaten aus Tschechien und Deutschland sehen dort ihr Aufgabenfeld und sind bei jeder Aktion der Damen zur Stelle. Seit Jahren erfolglos bemüht man sich, aus regelmäßigen kleinen Demonstrationen den Funken zu allgemeiner Empörung zu schlagen.

Ardins auf zwei Monate angelegte Feldforschung mit Touristenvisum verkürzte sich durch das Eingreifen der kubanischen Sicherheitsorgane, die solche Gruppierungen von innen und außen natürlich genau beobachten, auf etwa vierzehn Tage. Im Vorwort zu ihrer Arbeit berichtet sie von einer mehrstündigen Befragung, zu welcher sie auf die Ausländerbehörde vorgeladen wurde. Demnach wurde ihr dabei bedeutet, dass sie ihre Tätigkeit umgehend abzubrechen habe. Zudem gäbe es auch gar keine echte Opposition zum politischen System: "Hier in Kuba haben wir Einigkeit." Allerdings wurde sie nicht des Landes verwiesen, wie hier und dort behauptet, sondern reiste aus eigenem Entschluss ab, da sie sich nicht darauf beschränken wollte, wie ihr angeraten, Salsa zu tanzen und ausschließlich touristische Dinge zu tun.

Nach diesen einige Jahre zurückliegenden Episoden erkaltet die kubanische Spur bei Anna Ardin merklich. Andere Interessengebiete rückten wohl in den Vordergrund. Unter anderem wurde sie zu einer Unterstützerin von Wikileaks. Ihre politische Vita ist vor allem ein Indiz dafür, wie heterogen das Lager ist, welches sich unter diesem Banner sammelt.

Kommissare im Einsatz

Dem Kuba-Ardin-CIA-Konstrukt fehlt ein echtes Bindeglied zu den Vorfällen, welche Julian Assange nach seinem Schweden-Aufenthalt im letzten August in die Bredouille brachten. Der  virtuelle Pranger möchte darauf nicht warten. Der politische Verdacht genügt, um solche Lücken kreativ zu schließen. Da sich die zweite Frau, auf deren Aussage das Verfahren im Fall Assange beruht, Sofia Wilén, nicht darin einordnen lässt, wird Sippenhaft verhängt. In den Top Ten des Internet-Jahrmarkts werden die "angeblichen Vergewaltigungsopfer" als "Groupies" und "Hardcore-Feministinnen" geschmäht, die den Helden von Wikileaks in ihre Honigfalle lockten. Kaum ein sexistisches oder homophobes Stereotyp wird dabei ausgelassen. Sensationshascherei geht über Fakten, das "richtige" Weltbild ersetzt journalistische Verantwortung, der politische Feind rechtfertigt den Verzicht auf menschlichen Anstand. Je weniger man in der Sache zu bieten hat, desto mehr zielt man auf die Person.

Reichlich abstrus ist ein Teil der Debatte zum schwedischen Sexualstrafrecht und zur Rolle des Feminismus in der Politik des skandinavischen Landes, von Assange selbst mit bizarren Einschätzungen über dieses "Hornissennest" befeuert. Bei der Suche nach den größten Fettnäpfchen leisten ihm Prominente wie der US-Filmemacher und Bestsellerautor Michael Moore oder die feministische Kulturkritikerin Naomi Klein Gesellschaft. (Siehe: "Liebesgrüße aus Stockholm" junge Welt vom 29.12.2010) Auch wenn sachliche Betrachtungen zugenommen haben, so wird doch weiter fleißig kolportiert, dass in Schweden Männer wegen Nichtigkeiten oder aus Willkür heraus mit Vergewaltigungsanklagen überzogen werden könnten oder das Schwedens Justiz bei Anzeigen dieser Art für gewöhnlich Däumchen drehe. Beides ist falsch und wird der Komplexität des Problems in keiner Weise gerecht. (Siehe: "Männerhatz in Schweden" junge Welt vom 24.12.2010) Das schließt nicht  aus, dass das Verfahren gegen Julian Assange politisch beeinflusst und forciert wurde. Was Jean-Guy Allard per "Granma" liefert, ist dagegen recht kurios. Nach schwedischem Recht wäre es eine Straftat, "Sex ohne Kondom praktiziert und innerhalb einer Woche zwei Liebestermine mit jeder der beiden vermeintlichen Opfer gehabt zu haben". Mit einer solchen Gesetzgebung wäre Schweden dank seiner Feministinnen ein Land ohne Zukunft.

Nach der vorgeblichen Enthüllungsstory hat die kubanische Presse Assanges Kondom-Leak nicht noch einmal in gleicher Art und Weise aufgegriffen. Statt dessen wurden relevante Fragen abgehandelt, wie die, wen oder was Wikileaks darstellt und wer in den USA innenpolitisch vom Cable Gate profitieren könnte.