Die Sicherheitsstrategie und das "nationale" Interesse der USA in Lateinamerika

Die Diskrepanz zwischen Worten und Taten prägt bisher die eher unberechenbare Außenpolitik der USA

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US-Präsident Trump bei der Unterzeichnung des Genehmigungsgesetzes zur nationalen Verteidigung 2018, mit einem Etat von rund 555 Milliarden Euro für das Verteidigungsministerium
US-Präsident Trump bei der Unterzeichnung des Genehmigungsgesetzes zur nationalen Verteidigung 2018, mit einem Etat von rund 555 Milliarden Euro für das Verteidigungsministerium

Mitte Dezember 2017 verkündete die Regierung von US-Präsident Donald Trump eine neue Nationale Sicherheitsstrategie (National Security Strategy, NSS). Es handelt sich um eine Reihe von Grundsätzen und Zielen, die auf der Doktrin des politischen Realismus (wie es in dem Dokument ausdrücklich gesagt wird) basieren und sich "an der Wiederherstellung der überlegenen Position der USA in der Welt" orientieren1. Die Strategie fasst die Ziele zusammen, die verfolgt werden sollen, um die "Interessen der USA" zu wahren – welches die einer privilegierten und beim Treffen von Entscheidungen einflussreichen Minderheit sind, aber gemeinhin als die "Interessen des amerikanischen Volkes" präsentiert werden2.

Es sei erwähnt, dass eines der Merkmale der Trump-Regierung in der Außenpolitik die Kluft zwischen einem hetzerischen Diskurs voller Drohungen und heftigen Kommentaren und einer Entscheidungsfindung ist, die gelegentlich dazu neigt, solche Positionierungen zu entschärfen – angefangen bei der angeblichen Lektion, die sie der chinesischen Regierung erteilen wollte, bis hin zur Drohung eines sofortigen Ausstiegs aus dem Nordamerikanischen Freihandelsvertrag und der scheinbar "totalen" Ablehnung des Freihandels. Die neue Strategie muss also auch vor dem Hintergrund dieser Diskrepanz zwischen Worten und Taten gesehen werden, die eine eher unsichere und unberechenbare Außenpolitik prägt.

Im Allgemeinen nehmen die Eckpunkte der neuen NSS (das "Vaterland", das Volk und den US-amerikanischen Lebensstil zu beschützen, den Wohlstand zu fördern, den Frieden durch Stärke zu erhalten und den Einfluss der USA voranzutreiben) die Prämissen der vorigen Regierungen wieder auf (und sogar einen Teil des liberalen Glaubensbekenntnisses, das mit den amerikanischen Werten verbunden ist)3. Jetzt gibt es jedoch eine Änderung der Prioritäten, bei der die Prinzipien von Macht und Frieden durch Stärke statt durch Einflussnahme mehr in den Vordergrund gerückt werden– im Gegensatz zur Soft-Power-Diplomatie der Regierungen unter Barack Obama, die in der Praxis zu mehrfachen Interventionen und der Durchsetzung militärischer Lösungen führte4.

Für Lateinamerika sieht die Nationale Sicherheitsstrategie einige Punkte von Bedeutung vor. Der Pfeiler, der sich auf den Schutz des Vaterlandes bezieht, beinhaltet die Dringlichkeit von Einwanderungsreformen, um "die Kontrolle der Grenzen zu stärken und die Souveränität wiederherzustellen". Zugleich wird vorgeschlagen, "die transnationalen, kriminellen Organisationen, die die Verbündeten schwächen und die demokratischen Institutionen korrumpieren", in ihrem Herkunftsland zu bekämpfen, um zu verhindern, dass sie die US-Grenzen erreichen. Hier wird auf die Migration und den Drogenhandel angespielt, Probleme, die aus Sicht der Regierung Trump beispielsweise mit einer Erweiterung der Mauer an der Grenze zu Mexiko gelöst werden könnten, was aber tatsächlich die Grenzkontrolle weit übersteigt: Es handelt sich um eine asymmetrische Dynamik, um Unterordnung und Kriminalität, die durch die Allianzen zwischen dem Regierungs- und Privatsektor der Vereinigten Staaten und den Regierungen Mexikos, Guatemalas, Honduras und El Salvadors seit Jahrzehnten und in den letzten Jahren im Rahmen der Merida-Initiative und der Regionalen Sicherheitsinitiative für Mittelamerika wirksam ist5.

Ebenfalls in diesem Rahmen, jedoch auf einer "weniger greifbaren" Ebene und an der Spitze "neuer Bedrohungen", beabsichtigt die Regierung Trump, "die Anstrengungen zu verdoppeln, um unsere kritische Infrastruktur und digitalen Netze zu beschützen, da die neuen Technologien und die neuen Gegner eine neue Verwundbarkeit schaffen"6. Es muss hervorgehoben werden, dass dies im Jahr 2017 ein brisantes Thema in der Region war, das die Verbindung zwischen dem militärisch-industriellen Komplex des israelischen und des US-amerikanischen Staates und dem diesbezüglich üppigen Geschäft in Lateinamerika, insbesondere in Ländern wie Argentinien, Brasilien, Kolumbien und Mexiko, deutlich machte7.

In Bezug auf den Wohlstand der USA (vor allem hinsichtlich einer soliden nationalen Wirtschaft) wird versichert, dass "die USA den chronischen Mißbrauch im Handel nicht mehr tolerieren und auf freie, gerechte und wechselseitige wirtschaftliche Beziehungen hinarbeiten werden". Dies kann oberflächlich im Ton einer "Anti-Globalisierung" oder "Anti-Neoliberalismus"-Haltung gelesen werden, aber die 2017 von der Regierung Trump getroffenen Entscheidungen stimmen mit dieser Lesart nicht überein, wie bereits angemerkt wurde8. Vielmehr fahren die USA fort, den Freihandel und den Neoliberalismus zu fördern, indem sie "ihre Interessen" begünstigen. Das zeigen die Freihandelsabkommen, die durch ihre Ungleichgewichte und unfairen Vertragsklauseln gekennzeichnet sind, nur dass diese Dynamik unter der Regierung Trump noch sichtbarer ist, da sie sich zum Hauptbestandteil von "Amerika Zuerst" entwickelte.

Andererseits geht die Sicherheitsstrategie davon aus, dass die USA "ihre Überlegenheit auf dem Gebiet der Energie nutzen werden, um zu garantieren, dass die internationalen Märkte offen bleiben und dass die Vorteile der Diversifizierung und der Zugang zur Energie die wirtschaftliche und nationale Sicherheit fördern." Im Gegensatz zur scheinbaren Anti-Freihandelsabkommen-Position wird die US-Regierung im Energiebereich die Marktöffnung anstreben. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die Energieressourcen (zusammen mit den strategischen Materialien) Teil der Strategie der nationalen Sicherheit der USA sind, insbesondere seit dem Kalten Krieg, und gleichzeitig die Entwicklung und den Umfang des militärisch-industriellen Komplexes strukturieren, um den Zugang zu besagten Ressourcen sicherzustellen.

Auf der anderen Seite wird die Rolle der Energie in der US-amerikanischen Sicherheit und Wirtschaft klar, wenn man den Druck zur Liberalisierung des Erdöl- und Erdgasmarktes in Lateinamerika bedenkt: angefangen beim ständigen Krieg, der gegen Venezuela geführt wird 9, und dem Druck auf Mexiko wegen der Energiereform und der Zerschlagung des staatlichen Erdölkonzerns Pemex10, bis hin zu der Rolle, die der öffentliche/private Sektor der USA beim Korruptionsprozess Lava Jato in Brasilien und der folgenden Demontage der brasilianischen Staatsbetriebe, inklusive Petrobras, spielte11. Dieser Linie folgend, besteht die neue Nationale Sicherheitsstrategie weiter darauf, dass Länder wie Kuba oder Venezuela Wirtschaftsreformen durchführen sollen, welche "wirtschaftliche Möglichkeiten für alle garantieren und die Regierungsführung verbessern"12, das heißt, Förderung von Privatisierungen und Rückzug des Staates auf wirtschaftlich-sozialem Gebiet, eine Hauptprämisse des Neoliberalismus (von dem sich die Regierung Trump angeblich zu distanzieren sucht).

Aufgrund der Widersprüchlichkeiten, die sich durch die neue Nationale Sicherheitsstrategie ergeben, wie sie sich bereits bei der Art und Weise der Entscheidungsfindungen im Lauf des Jahres 2017 darstellten, vertieft sich die Unsicherheit bezüglich der möglichen Szenarien auf dem Kontinent. Sehr deutlich zu erkennen ist die Kontinuität beim Vorantreiben einer Wirtschafts- und Sicherheitspolitik, die in einer asymmetrischen und abhängigen Dynamik verankert ist. Diese wird wie bisher entsprechend den Interessen der multinationalen Konzerne und des militärisch-industriellen Komplexes aufrechterhalten oder umgestaltet, die letztendlich die Macht haben, "amerikanische Interessen" und im weiteren Sinn auch die Lateinamerikas zu definieren.