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Die wirklichen Kosten von Trumps Sanktionen gegen Venezuela

Venezuela könnte bald ein weiterer Irak sein und die Kosten der Sanktionen könnten unermesslich werden

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Wandbild mit den Augen von Hugo Chávez fordert Respekt von den USA für Venezuela
Wandbild mit den Augen von Hugo Chávez fordert Respekt von den USA für Venezuela

Trump hat nun die fünfte Runde von Wirtschaftssanktionen gegen Venezuela verfügt, seit er im Amt ist. Obwohl vorherige Sanktionen sich als mehr Rauch als Feuer erwiesen haben, könnte diese Runde verheerend sein, wenn man das Weiße Haus beim Wort nimmt.

Fünfhundertsiebenundsechzig-tausend tote Kinder. Das war die Todesrate der internationalen Sanktionen gegen den Irak unter Saddam Hussein, laut einer 1995 in The Lancet veröffentlichten Studie von Forschern der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen. Die Schlussfolgerungen der Studie waren schockierend: Fünf Jahre nachdem die Sanktionen erstmals umgesetzt worden waren, fanden die humanitären Fachleute der UN in einer einst reichen, ölfördernden Nation Hungersnot vor. Die Sanktionen zielten darauf ab, Saddam unter Druck zu setzen, aber in Wirklichkeit trafen ihre Auswirkungen die ärmsten Iraker am meisten. Ein Forscher stellte fest, dass rund ein Drittel der Kinder im Alter von zehn Jahren in Bagdad Anzeichen von beeinträchtigtem Wachstum zeigte, während zwölf Prozent dringend eine sofortige ärztliche Betreuung wegen extremer Unterernährung benötigten.

Als der heute sehr bekannte Lancet-Artikel erschien, war die Welt über das Ausmaß des Leidens, das unschuldigen irakischen Zivilisten durch die Sanktionen zugefügt wurde, aufgewühlt, aber die Antwort Washingtons war zu erwarten. Als sie gefragt wurde, wie sie den langsamen, qualvollen Tod von schätzungsweise 567.000 irakischen Kindern rechtfertigen konnte, sagte die US-Botschafterin bei der UNO, Madeleine Albright, kalt: "Es ist den Preis wert."

In der Tat war das für einige so. Albright wurde mit dem Amt der Außenministerin belohnt, während Saddams Leben vor einem Jahrzehnt endete, seine Füße zuckten, als er im Licht einer Morgendämmerung in Kadhimiya in einer Schlinge baumelte.

Für die Menschen im Irak ist es eine offene Frage, ob es den Preis wert war oder nicht. Sie leben heute in einem gescheiterten Staat, in Korruption, Armut und endlosen Bürgerkrieg verstrickt. Heutzutage ist der Irak ein Synonym für einen hoffnungslosen Fall. Er ist das Vorzeigeprojekt für Nationenbildung, Regimewechsel und amerikanische Werte. Jeder Selbstmordattentäter ist durch und durch amerikanisch, die korrupten Politiker sind von Saddams Kumpanen nicht zu unterscheiden, und die Trümmerhaufen der Infrastruktur des Landes eine ständige Erinnerung an "Mission erfüllt".

Der neue Irak bringt uns zum aktuellen Venezuela. Wieder hat Washington sich einen Schurken ausersehen. Das Weiße Haus verspricht, einem weiteren belagerten, weit entfernten Land Demokratie und Freiheit zu bringen. Unter Obama und jetzt unter Trump wurden wieder und wieder Sanktionen verhängt. Tatsächlich ist dies die fünfte seit Trump ins Amt kam.

Bisher waren die Sanktionen mehr Getöse, aber es ist klar, dass die Trump-Regierung jetzt ernsthaft bestrebt ist, dies zu ändern ‒ zumindest im Hinblick auf die öffentliche Wahrnehmung. Mit einem Dekret gab das Weiße Haus bekannt, dass die neuen Sanktionen "Handel mit neuen Schulden und Aktienkapital der Regierung von Venezuela und seiner staatlichen Ölgesellschaft PdVSA" verbieten.

Zweifeln Sie nicht daran, diese Strafmaßnahmen haben das Potenzial, für Venezuela, das heute nur noch über weniger als zehn Milliarden US-Dollar Währungsreserven verfügt, ein massiver Schlag zu werden. Die Regierung von Präsident Nicolás Maduro verliert täglich Geld und hat wahrscheinlich rund 17 Milliarden US-Dollar Schulden, die etwa in den nächsten zwei Jahren zurückgezahlt werden müssen. Allein knapp vier Milliarden Dollar werden in den nächsten drei Monaten fällig. In früheren Zeiten konnte Maduro sich einfach an Russland oder China wenden, um Darlehen mit Erdöl auszugleichen, aber wegen mehrerer Verzögerungen bei Lieferungen in beide Länder in den letzten Jahren ist das nicht mehr so.

Mark Weisbrot vom Zentrum für Wirtschafts- und Politikforschung hat darauf hingewiesen, dass Maduro sich weiterhin mit Schuldenrestrukturierung und Verkäufen von Vermögen im Ausland durchwursteln könnte. Eigentlich war das schon ziemlich lange Maduros Strategie. Im vergangenen Jahr wendete die Regierung das Gespenst des Zahlungsverzugs ab, indem sie im letzten Moment ein Swap-Geschäft1 mit PdVSA-Gläubigern aushandelte. Es funktionierte und brachte Venezuela ein weiteres Jahr Luft.

Diese Rettungsleine könnte jetzt zuende sein.

"Zweifellos sind Restrukturierungen und Swaps nicht mehr möglich", sagte ein anonymer Broker gegenüber Reuters.

Der letzte Sargnagel wäre eine weitere Runde von Sanktionen für venezolanische Anleihen und es gibt bereits Spekulationen, dass die Trump-Regierung dies in Erwägung ziehen könnte. Das Internationale Institut für Finanzen hat darauf hingewiesen: "Sollte ein solches Handelsverbot verhängt werden, wäre es wahrscheinlich auf Schuldeninstrumente gerichtet, die eindeutig mit der neuen Finanzierung der Regierung Maduro verbunden sind."

Natürlich kann alles weniger schlimm kommen als es anfangs scheint. Einerseits ist ein allgemeines Verbot des venezolanischen Anleihehandels zu diesem Zeitpunkt unwahrscheinlich, weil es großteils unmöglich durchzusetzen wäre.

Ein weiteres entscheidendes Detail ist, dass Trumps Dekret einige rhetorische Zugeständnisse hinsichtlich humanitärer und Handelszwecke enthält.

"Dazu gehören Bestimmungen, die eine 30-tägige Abwicklungszeitspanne erlauben; eine Finanzierung des meisten Handels, einschließlich der Ausfuhr und Einfuhr von Erdöl; Transaktionen die Citgo betreffen2; Geschäfte mit ausgewählten, schon bestehenden venezolanischen Schulden; und die Finanzierung humanitärer Güter nach Venezuela", so das Weiße Haus.

Man kann nur vermuten, wie diese Bedingungen in der Realität ablaufen werden. Die vage Formulierung des Dekrets und zahlreicher Ausnahmen enthalten Schlupflöcher, die zumindest vorerst erheblich sind. Das alles ist typisch Trump: viel Rauch, aber das Feuer ist klein genug, um in seine hohlen Hände zu passen. Abgesehen von der Absicht der Sanktionen lohnt es auch, sich das chaotische Agieren der Trump-Regierung zu vergegenwärtigen, die sich schon bei routinemäßigen bürokratischen Verfahren wie der Einstellung von Mitarbeitern als unfähig erwiesen hat, so dass man nicht sagen kann, ob sie in der Lage wäre, harte Sanktionen zu handhaben ‒ selbst wenn sie wollte. Denken Sie daran: Dies ist der Mann, der es geschafft hat, sein eigenes Kasino in den Bankrott zu steuern. Wir haben es hier also nicht mit einem Ausnahmetalent in Sachen Finanzen zu tun.

Unklar ist auch, wie die Maduro-Regierung antworten wird. Zum einen wäre es klug, wenn Maduro vermeidet, Citgo als Krücke zu benutzen, da sie wahrscheinlich der erste venezolanische Aktivposten ist, der in der Schusslinie sein könnte, sollte seine Regierung Rechtsstreitigkeiten auf US-Gebiet gewärtigen. Das andere offensichtliche Problem ist, dass jede humanitäre Hilfe für Venezuela das unsinnige Wechselkurssystem der Regierung durchlaufen muss ‒ das gilt auch für den meisten Außenhandel. Kurz gesagt, die Trump-Regierung wird kuriose Zeiten erleben, um herauszufinden, wie sie in der Praxis den Fluss privater Investitionen erlauben kann, wenn die venezolanische Regierung offiziell jeden Währungumtausch kontrolliert.

Natürlich darf man nicht die Tragweite von Venezuelas boomendem Devisenschwarzmarkt ausblenden, wo die Landeswährung, der Bolívar (BsF), schrecklich dasteht. Als das Weiße Haus die neuen Sanktionen angekündigt hat, lag die Schwarzmarktrate bei einem US-Dollar zu 17.000 BsF. Man muss in Caracas für ein Bier mindestens 2.000 BsF bezahlen, was bedeutet, Sie brauchen ein Päckchen von 20 100-Bolivar-Scheinen, nur um ein kaltes Bier zu kaufen.

Im Vergleich dazu war Ende Mai, als die venezolanische Regierung ihr letztes Reformpaket des Wechselkurssystems auspackte, der inoffizielle Wechselkurs eher ein US-Dollar zu 6.000 BsF. Zweifellos ist die venezolanische Währung inzwischen eindeutig im Bereich von Hyperinflation. Für 2017 stehen keine offiziellen Daten bezüglich der Inflation zur Verfügung.  Die von der Opposition dominierte Nationalversammlung hat jedoch im Juni einen Anstieg bei den Verbraucherpreisen um 127,8 Prozent in den ersten fünf Monaten des Jahres behauptet. Die Sanktionen könnten den BsF weiter nach unten drücken, aber das wird sich noch zeigen.

Es ist also schwer vorauszusagen, wie wirksam die neuen Sanktionen sein werden, obwohl die Botschaft gewaltig und klar ist: Trump will gesehen werden als einer, der sich Venezuela vornimmt. Wenn er in den nächsten Monaten loslegt, könnte es schnell abwärts gehen, sogar sehr schnell. Sicher könnte man diese Sanktionen jetzt leicht unterschätzen, aber wir haben gesehen, wie ein ähnlicher Wirtschaftskrieg anderen Opfern der US-Aggression einen schweren humanitären Preis auferlegt hat, wofür der Irak das erste Beispiel ist.

Die wirkliche Revolution

Wie im Irak werden es die ärmsten Venezolaner sein, die den Preis der Sanktionen bezahlen. Die reiche und mächtige venezolanische Elite, die mit Vizepräsident Mike Pence den Schulterschluss übt, wird auch weiterhin ihre Cocktails kippen und bei Festessen Hummer genießen, egal was mit allen anderen passiert. Zwischen Eskapaden im Country Club und Ferien im sonnigen Miami schaffen sie es, die Zeit zu finden, um Pence zu bitten, sie vor Maduro zu retten, aber Venezuelas Arme und Geknechtete haben andere Gedanken. Statt  Tagträumen nachzuhängen, wie schön Bombenteppiche wären, kämpfen Venezuelas Revolutionäre an der Basis jeden Tag für die direkte Demokratie, für ein Ende des Kapitalismus und für einen neuen Kommunen Staat3. Vergessen Sie Maduro. Vergessen Sie die selbstmitleidigen, sich freiwillig ausschließenden Snobs, die tagsüber Steine auf Autos werfen und nachts ihren zollfreien Chivas Regal- Whisky mit Eis schlürfen.

Die wirklichen Helden von Venezuela sind die städtischen kommunalen Kämpfer, die sich furchtlos im Schatten der faschistischen Rechten organisieren, die Landarbeiter, die von den alten Großgrundbesitzern Land und Freiheit fordern, die Umweltschützer, die das Land gegen eine neue Welle von Extraktivismus verteidigen, die Sozialisten der Basis, die eine Revolution innerhalb der Revolution vorantreiben, die Feministinnen und LGBT-Aktivisten, die das Patriarchat ausbremsen, die Afro-Venezolaner, die gegen Rassismus und historische Unterdrückung kämpfen und die indigenen Aktivisten, die gegen Viehzüchter und ihre paramilitärischen Trupps um ihr Leben kämpfen.

Werden diese Revolutionäre den Trumpschen Sanktionen viel Aufmerksamkeit widmen? Ich bezweifle das. Noch ist die Bedrohung zu weit weg, und man kann nicht sagen, ob diese Sanktionen hart durchgesetzt werden. Dennoch wäre es ein Fehler, Trump zu unterschätzen, ganz zu schweigen von den Falken, die das Weiße Haus umkreisen. Wenn die Raubvögel ihren Weg finden, könnte Venezuela bald ein weiterer Irak sein und die Kosten der Sanktionen könnten unermesslich werden.

  • 1. Bei Swap-Geschäften schließen zwei Parteien einen Kaufvertrag ab, der gleichzeitig eine Rückkaufvereinbarung enthält. Venezuela kann zum Beispiel in dieser Form seine Goldreserven einsetzen, um dringend benötigte Devisen zu erhalten
  • 2. Citgo, ein Tochterunternehmen von PdVSA, betreibt in den USA rund 6.000 Tankstellen und drei Erdölraffinerien
  • 3. Der Aufbau des Kommunalen Staates in Venezuela hat für die chavistische Bewegung die Selbstregierung des Volkes und die Überwindung des bürgerlichen Staates zum Ziel. Seine Grundlage sind die Kommunen (Comunas), die von mehreren Kommunalen Räten (Consejos Comunales) auf lokaler Ebene gebildet werden. Diese Räte sind eine Struktur der Selbstverwaltung in den Gemeinden. Gewählte Nachbarschaftsvertreter sind zur Planung und Haushaltsgestaltung in lokalpolitischen Angelegenheiten berechtigt. In den vergangenen zehn Jahren wurden mindestens 46.000 Kommunale Räte gebildet, im Januar 2017 existierten 1.700 Kommunen