Russland und Venezuela: Zusammenarbeit für eine multipolare Weltordnung

Eine kurze Geschichte der russisch-venezolanischen Beziehungen

nicolas_maduro_venezuela_wladimir_putin_russland_2013.jpg

Die Präsidenten von Venezuela, Nicolás Maduro, und Russland, Wladimir Putin, bei ihrer Zusammenkunft in Moskau am 1. Juli 2013
Die Präsidenten von Venezuela, Nicolás Maduro, und Russland, Wladimir Putin, bei ihrer Zusammenkunft in Moskau am 1. Juli 2013

Im Zuge der aktuellen schweren Krise in Venezuela sind die Haltungen zur Regierung von Nicolás Maduro und ihrem Verhalten sowohl in Lateinamerika als auch in anderen Teilen der Welt gespalten. Als fester Partner und Unterstützer der venezolanischen Regierung hat sich Russland hervorgetan. Nicht erst in den jüngsten Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition stellte sich das offizielle Moskau hinter Maduro1, sondern schon länger warnt die russische Regierung vor einer Destabilisierung des lateinamerikanischen Staates von außen.2 Im Zuge der von den USA verhängten Sanktionen gegen Venezuela dürfte die Zusammenarbeit mit Russland (sowie mit China) für Maduros Regierung weiter an Bedeutung gewinnen.

In Anbetracht dieser speziellen Rolle Russlands in der venezolanischen Krise wird in diesem Artikel die Entwicklung der bilateralen Beziehungen zwischen Moskau und Caracas seit der Amtsübernahme von Hugo Chávez in Venezuela im Jahr 1999 bis in die Gegenwart nachgezeichnet. Dabei lässt sich zwischen drei verschiedenen Phasen der Beziehungen unterscheiden. Die erste Phase war von einer zögerlichen Annäherung geprägt. In der zweiten Phase intensivierten sich die Beziehungen und beide Seiten erklärten die Gestaltung einer multipolaren Weltordnung zum gemeinsamen Ziel. In der dritten Phase hatten und haben beide Seiten mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. Inzwischen steht die Unterstützung Russlands in der schweren Krise Venezuelas im Mittelpunkt der bilateralen Beziehungen.

Zögerliche Annäherung zu Beginn

Venezuela gehörte nicht zu den lateinamerikanischen Staaten, mit denen die Sowjetunion während des Kalten Krieges engen Kontakt pflegte. Die Entwicklungen der Beziehungen unter Hugo Chávez (Amtsantritt im Jahr 1999) und Wladimir Putin (Amtsantritt im Jahr 2000) stellten also eine neuartige Verbindung in der internationalen Politik dar.3

Es war vor allem Chávez, der mit insgesamt neun Staatsbesuchen große Präsenz in Russland zeigte und die bilateralen Beziehungen vorantrieb. Der erste Besuch fand im Mai 2001 statt, dabei wurde ein Abkommen über militärtechnische Zusammenarbeit unterzeichnet. Im Oktober desselben Jahres war Chávez erneut in Russland zu Gast. Diese Dynamik in den Beziehungen erhielt jedoch zunächst einen Dämpfer. Nach der russischen Zusicherung von Unterstützung für den US-amerikanischen Kampf gegen den Terror nach 9/11 einerseits und der Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Venezuela und den USA nach dem Putschversuch gegen Chávez 2002 anderseits, fanden Moskau und Caracas zunächst keine gemeinsame Basis für den Ausbau der Beziehungen. Mit der Aufgabe des russischen Horchpostens Lourdes auf Kuba im Jahr 2001 hatte sich Russland zu dieser Zeit komplett aus der Karibik zurückgezogen.4

Intensivierung der Beziehungen und der Kampf für die multipolare Weltordnung

Erst bei Chávez‘ nächstem Russlandbesuch im November 2004 machten die beiden Regierungen einen entscheidenden Schritt hin zur Intensivierung der bilateralen Beziehungen. Inzwischen hatten sich die Beziehungen zwischen Kreml und Weißem Haus wieder deutlich verschlechtert. Dies lag in erster Linie an der von den USA angeführten Invasion des Iraks, der sogenannten "Rosen-Revolution" in Georgien und der zur Zeit des Besuchs des venezolanischen Präsidenten in der Entwicklung begriffenen "Orangenen Revolution" in der Ukraine. Für beide Umstürze machte Moskau Washington mitverantwortlich. Aufgrund dieser von der russischen Regierung missbilligten Vorgänge war Chávez antiimperialistische Rhetorik jetzt wieder sehr willkommen in Russland.5 Eine multipolare Weltordnung, die nicht mehr von den Vereinigten Staaten allein dominiert wird, wird von nun an von beiden Seiten sowohl in Strategiepapieren als auch in bilateralen Dokumenten immer wieder als Leitbild für die Zusammenarbeit angeführt.6

Der Besuch des venezolanischen Staatsoberhauptes im November 2004 initiierte eine ganze Serie von Rüstungsgeschäften. Seitdem schlossen beide Seiten in diesem Bereich zwölf Verträge in Höhe von 4,4 Milliarden US-Dollar ab. Zudem begann auch die Kooperation im Energiesektor, die durch die Beteiligung russischer Unternehmen an der Öl-Ausbeutung im venezolanischen Orinoco-Becken und gemeinsame Gasförderprojekte der staatlichen Energiekonzerne PdVSA und Gazprom gekennzeichnet ist. Zur Finanzierung der gemeinsamen Projekte wurde 2009 sogar eine russisch-venezolanische Bank geschaffen.7 Bei einem Russland-Besuch im Juli 2007 rückte Chávez zudem die kulturellen Beziehungen in den Mittelpunkt. Er weihte in Moskau ein nach Simon Bolívar benanntes Kulturzentrum ein und erinnerte bei diesem Anlass an das antiimperialistische Erbe Wladimir Lenins.8

Russische Regierungsmitglieder besuchten ebenfalls Venezuela. Ein Besuch des damaligen Präsidenten Dmitri Medwedew muss besonders hervorgehoben werden. Medwedews Lateinamerikareise vom 21. bis 27. November 2008 erfolgte zu einem politisch brisanten Zeitpunkt. Im August fand der kurze Krieg zwischen Russland und Georgien statt, der für einen neuen Tiefpunkt in den Beziehungen des Kremls zum Westen sorgte. Mit der Pleite der Lehman Brothers im September nahm die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise Fahrt auf. Nach den ersten beiden Stationen auf Medwedews Reise, dem Gipfel des asiatisch-pazifischen Wirtschaftsforums (APEC) in Peru sowie einem Staatsbesuch in Brasilien, setzte der Kreml das größte außenpolitische Zeichen in Lateinamerika nach dem Ende des Kalten Krieges: Parallel zum Staatsbesuch Medwedews in Venezuela, der erste eines russischen Staatschefs überhaupt, führten die russische und die venezolanische Marine ein gemeinsames Manöver unter Führung eines russischen Kriegsschiffes durch. Dieses Auftauchen der russischen Flotte in der Karibik kann als Antwort auf die verstärkte Präsenz der USA im Schwarzen Meer nach dem Georgien-Krieg interpretiert werden. 9 Bei dem Treffen zwischen Medwedew und Chávez wurde die Ausweitung der strategischen Beziehungen im Bereich des Militärs, der Energie und der Finanzen diskutiert. Medwedew nahm ebenfalls an einem Treffen des linksgerichteten Regionalbündnisses Alba in Caracas teil, das zur gleichen Zeit stattfand.10

Im Anschluss folgten noch zwei weitere Besuche von Hugo Chávez in Russland. Bei einem dieser Besuche gab er Venezuelas Anerkennung der mit Russland verbündeten abtrünnigen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien als unabhängige Staaten bekannt.11 Nach seinem Tod im März 2013 führte sein Nachfolger Maduro, der von 2006 bis 2013 Außenminister der Regierung Chávez gewesen war, die Beziehungen zu Moskau weiter. Bereits im Juli 2013 traf Maduro Putin im Kontext eines Treffens des Forums gasexportierender Länder. Die beiden Staatschefs unterzeichneten bei der Gelegenheit 240 Kooperationsabkommen in den Bereichen Energie, Finanzen, Industrie, Landwirtschaft und Wohnungsbau.12 Bei der Pressekonferenz hob Putin hervor, dass „Venezuela ein zentraler Partner für Russland in Lateinamerika ist“. 13 Seitdem kam es zu mehreren Zusammenkünften beider Präsidenten. Zwischen Venezuela und Russland finden regelmäßige diplomatische Konsultationen und Treffen hochrangiger Politiker statt.

Russlands Krisenhilfe für Maduro

In der inzwischen verschärften wirtschaftlichen und politischen Krise Venezuelas unterstützt die russische Regierung die Regierung Maduro geopolitisch und wirtschaftlich. Immer wieder sprach sie sich gegen äußere Einmischung in Venezuela aus. Im Gegensatz zu den größten lateinamerikanischen Staaten, den USA und der Europäischen Union erkennt Russland die von der venezolanischen Opposition boykottierte verfassunggebende Versammlung an.14 Darüber hinaus unterstützt der eng mit der Regierung verbundene staatliche Ölkonzern Rosneft PdVSA mit Krediten. Rosneft-Chef Igor Setschin, schon länger für die Lateinamerika-Beziehungen Russlands verantwortlich, sprach jüngst sogar von einer Ausweitung des Engagements seines Konzerns in Venezuela.15

Insgesamt lässt sich festhalten, dass Venezuela ein bedeutender geopolitischer und wirtschaftlicher Partner Russlands ist. Neben der bereits erwähnten Anerkennung Abchasiens und Südossetiens votierte es als eine von nur elf UN-Staaten gegen die "Resolution zur Unterstützung der territorialen Integrität der Ukraine" nach der Aneignung der Krim durch Russland. Die Regierung Maduro ist für Russland für die Erörterung globaler energiepolitischer Fragen wichtig und bietet russischen Firmen einen Exportmarkt für Waffen. Russische Energiefirmen, speziell Rosneft, sehen das Land als bedeutenden Teil ihrer Internationalisierungsstrategie. Kurz gesagt: Russland hat ein vitales Interesse an dem Erhalt der Regierung Maduros, auch weil die Opposition sehr stark auf die USA fixiert ist und sich im Falle eines Erlangens der Regierung von Russland abwenden würde.

  • 1. Vgl. z.B.: Müller, Maria: „Russland wünscht ‚keine Provokationen‘ bei Wahlen in Venezuela“ (RT Deutsch, 30.07.2017)
  • 2. Vgl. z.B.: Zimmermann, Philipp: "Venezuela und Russland vertiefen bilaterale Beziehungen" (amerika21, 08.02.2017); Kliver, Christian: "Russland warnt vor Einmischung in Venezuela" (amerika21, 27.05.2016)
  • 3. Vgl.: Sitenko, Alexandra: "Latin American Vector in Russia’s Foreign Policy: Identities and Interests in the Russian-Venezuelan Partnership", in: Politics in Central Europe, Jg. 12, Nr.1, 2016, S.37-57, hier: S.41
  • 4. Vgl.: Katz, Mark N.: Russia`s Long Reach. The Putin-Chavez Partnership, in: Problems of Post-Communism, Jg. 53, Nr.4, 2006, S. 3-9, hier: S. 5
  • 5. Vgl.: ebd., S. 5-6. Bei den Umstürzen in Georgien und der Ukraine kamen äußerst russlandkritische Kräfte an die Macht und Moskau warf Washington Einmischung vor
  • 6. Vgl.: Sitenko: „Latin American Vector in Russia’s Foreign Policy“, s.o., S. 44
  • 7. Vgl.: Sitenko, Alexandra: "Der Bär tanzt Tango", in: ADLAS, Nr.1, 2017, S. 51-55, hier: S. 54-55
  • 8. Vgl.: „Para Chávez es ‚soberana’ comprar de armas a Rusia” (eluniversal.com, 29.07.2007)
  • 9. Vgl.: „Streit mit dem Westen. Russland und Venezuela planen Seemanöver in der Karibik“ (Spiegel Online, 07.09.2008)
  • 10. Vgl.: Loya, Avila/Santos Villarreal, Gabriel Mario: Rusia en América Latina, Cámara de Diputados de México, Centro de Documentación y Analisis, 2010, S. 7
  • 11. Vgl.: "Venezuela erkennt Südossetien und Abchasien an" (derstandard.at, 10.09.2009)
  • 12. Vgl.: "Venezuela y Rusia desarrollan 240 acuerdos de intercambio commercial" (AVN, 02.07.2013)
  • 13. Putin, Vladimir: Press statement following Russian-Venezuelan talks (kremlin.ru, 02.07.2013)
  • 14. Vgl.: Ehringfeld, Klaus: "Die Chavisten sind zurück" (Spiegel Online, 05.08.2017)
  • 15. Vgl.: "Russisches Geld für kein Öl" (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.08.2017)