Ecuador: Drei Schlüssel zum Verständnis der acht Wahlsiege von Alianza País

Warum die Ecuadorianer nach zehn Jahren weiterhin diese Partei wählen, die bislang keine Wahlniederlagen kennt

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Rafael Correa und sein Nachfolger Lenín Moreno nach dessen Wahlsieg
Rafael Correa und sein Nachfolger Lenín Moreno nach dessen Wahlsieg

Am 2. April 2017 wählten 51,16 Prozent der Ecuadorianer Lenín Moreno von Alianza País (AP) zum Präsidenten. Mit dieser Wahl erzielte die Bürgerrevolution ihren achten Wahlsieg. Sie hat bereits drei Präsidentschaftswahlen und vier Volksbefragungen gewonnen. AP, die Partei, die erst vor zehn Jahren auf der politischen Bühne Ecuadors auftauchte, ist heute die größte und gefestigste politische Organisation im politischen Szenario des Landes, was die Treue eines bedeutenden Teils ihrer Wählerschaft, die Sitze im Kongress und die Mobilisierungsfähigkeit der Unterstützung ihrer Anhänger angeht.

Es erweist sich als komplex, die Wahlsiege dieser Partei zu erklären, die zugleich Gegenstand vielerlei Kritiken und Ablehnung seitens eines anderen Teils der Wählerschaft ist. Es gibt zwei sehr vereinfachende Erklärungen, die sich in der öffentlichen Debatte eingenistet haben. Die erste besagt, dass wir uns im Angesicht einer übermächtigen Diktatur befänden, die die Wahlbehörde kontrolliere. Die zweite behauptet, dass populistische Diskurse und Symboliken eine Maschinerie entwickelt hätten, die die Leute mit demagogischen Versprechungen betrügen würden.

Beide sind unbefriedigend. Es ist schwer vorstellbar, dass eine Regierung in einer Welt, in der die Wahldemokratie zu einer der meist geschätzten Güter der globalen Ordnung geworden ist, internationale Missionen ‒ mit der Kompetenz, saubere Wahlen zu beobachten und zu garantieren ‒ getäuscht haben soll, um die Macht so viele Male auf betrügerische Art zu okkupieren. Es erweist sich auch als seltsam zu glauben, dass die Menschen acht Mal hintereinander für ein demagogisches Versprechen gestimmt haben sollen, das sich nie erfüllt hat. Zumindest biete ich hier demjenigen, der glauben sollte, dass die Leute an der Macht einfach zu intelligent und die Wähler sehr naiv seien und von Versprechungen leben, drei Schlüsselmomente, um zu verstehen, warum die Alianza País so populär ist.

An erster Stelle ist zu sagen, dass in den ersten sieben Jahren der Regierung von Alianza País ein Wachstum der Einkünfte aus dem Export von Rohstoffen, insbesondere von Erdöl zu verzeichnen war. Dieses Das Wachstum der Exporte würde für sich genommen nicht alles erklären: dieser äußere Faktor wurde jedoch von der Regierung dazu genutzt, die Sozialausgaben rasch zu erhöhen und tägliche Probleme der Menschen zu lösen. Dies führte zu substantiellen Veränderungen im Leben eines großen Teils der Bevölkerung mit geringen ökonomischen Ressourcen. Für viele verbesserten sich die materiellen Lebensbedingungen als ihr Grundlohn anstieg, als sie zum ersten Mal von ihren Arbeitgebern sozialversichert wurden, als sie ihre Kinder auf eine kostenlose Schule schicken und ihnen zumindest einen würdigeren Raum zum Lernen bieten konnten, als sie in einem in seinen Kapazitäten erweiterten Krankenhaus betreut wurden oder als sie ihre Kinder im Alter von drei Jahren in die Vorschule schicken konnten, was zuvor nur ein Recht derjenigen war, die es bezahlen konnten. Soziale Errungenschaften und die Garantie sozialer Rechte ist einer der grundlegenden Faktoren, die die Wahlsiege und die Konsolidierung von AP im politischen Lebens des Landes erklären.

Gewiss sind auch neue Ungerechtigkeiten begangen und nicht alle Probleme der Ungerechtigkeit gelöst worden, die unser Land beeinträchtigt, aber in dieser Zeit sind zwei Millionen Menschen aus der Armut herausgekommen. Die Kritiken am Extraktivismus, der dieses Sozialmodell stützt, sind gültig, weil sie die neuen territorialen Ausgrenzungen von Völkern Nationalitäten wie auch den Mangel an Kreativität eines Entwicklungsmodells anprangern, das inmitten einer globalen ökologischen Krise einen Großteil der desarollistischen Thesen der 1970er Jahre wiederholt. Dennoch sind sie schwach, weil sie nicht anerkennen, dass für einen bedeutenden Teil der Bevölkerung die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse in unseren Ländern immer noch eine unerledigte Aufgabe ist, und dies geschieht im Fall peripherer Ökonomien nicht nur durch die Erhaltung der Umwelt oder die kulturelle Verteidigung indigener Völker und Nationalitäten. Es ist vielmehr notwendig, sich ‒ nicht nur in Form des Widerstandes gegen den Extraktivismus ‒ eine Gesellschaft „nach dem Extraktivismus“ und die alternative Art der Entwicklung, die diese bieten würde, im Positiven vorzustellen.

Auch die Kritiken an den in dieser Zeit begangenen demokratischen Ungerechtigkeiten sind zutreffend, weil sie die Machtkonzentration beim Treffen kollektiver Entscheidungen, die Machtmissbräuche und die Kriminalisierung sozialer Anführer anprangern. Sie verlieren jedoch einen Großteil ihres Rückhalts, wenn sie von einer brutalen Rechten vereinnahmt werden, die Steuersenkungen und eine offensichtliche und konsequente Welle sozialer Kürzungen an die Spitze ihrer Agenda setzt. Die Wählerschaft hat einmal mehr eine Art intellektuelles oder klassenbezogenes Elitärsein abgestraft, das die grundlegende Dimension der Umverteilungsgerechtigkeit in unseren Ländern weiterhin nicht erfasst.

Ein zweiter Faktor, der den Wahlerfolg erklärt, liegt in einer "Regierungs-Balance" begründet. Die umverteilenden Reformen dieser Zeit berührten die Interessen der Eliten nicht in radikaler Weise und kamen allen zugute. In jenen zehn Jahren haben die Arbeiter ihr Grundeinkommen verdoppelt und die Unternehmer ihre Gewinne verdreifacht, insbesondere in den ersten Regierungsjahren, in denen es aufgrund der Erdölerträge ein Wirtschaftswachstum gab. Uns, die wir eine gerechtere Gesellschaft anstreben, hätte es gefallen, mehr progressive Steuern und mehr Dynamik bei der Verringerung der demütigenden sozialen Ungleichheit zu erleben, die uns beim Aufbau eines anderen Landes beeinträchtigt. Dies geschah auf sehr viel langsamere Art und Weise als wir, besonders ab 2012, erhofft haben.

Der Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik der Vereinten Nationen (Cepal) zufolge fiel zwischen 2007 und 2015 der Gini-Koeffizient, der die Konzentration des Reichtums misst, von 0,54 (2007) auf 0,46 (2011), so stark wie nie zuvor in der Geschichte der Demokratie in Ecuador. Jedoch verzeichnete er seit 2011 eine weniger beschleunigte Verringerung und erreichte im Jahr 2014 (die letzte verfügbare Angabe der Cepal) einen Wert von 0,45. Trotzdem bildete diese Art von regierungsamtlichem Ausgleich einen wichtigen Faktor für das Verbleiben der AP an der Macht, insbesondere in einem Moment des Wachstums, wo ein neuer Pakt zwischen Kapital und Arbeit geschlossen werden konnte, ohne die Interessen der einen oder der anderen Seite radikal zu beeinträchtigen.

Nun besteht die offene Frage darin, was im Hinblick auf dieses Gleichgewicht, das der Alianza Pais die Regierungsfähigkeit ermöglicht hat, in einem Krisenumfeld geschehen wird. Es ist einfacher alle zufrieden zu stellen, wenn es Wachstum gibt, und man wird sehen müssen, zu welcher Seite sich die Waage in einem anderen ökonomischen Kontext als dem jetzigen neigen wird. Wenn zum Beispiel die Unternehmen für eine Strategie der Reduzierung der Beschäftigung optieren, um ihre Profitmarge intakt zu halten, wird dies eindeutig die Seite des Kapitals sein. Die Frage ist also nicht nur, ob Lenín Moreno die Hand ausgestreckt halten wird, sondern zu wem hin er sie ausstrecken wird, wenn ein neuer Pakt zwischen Kapital und Arbeit in Zeiten der Krise geschlossen werden muss.

Drittens bildete die Wiederherstellung des Staates einen grundlegenden Faktor, der den Wahlerfolg der Alianza País erklärt. An erster Stelle brachte die neue staatliche Institutionalität eine effizientere Sozialpolitik und mehr öffentliche Arbeiten im gesamtem Land hervor, was die Regierungspartei politisch zu nutzen verstand. Die Präsenz des Staates nahm auf dem gesamten Territorium sichtbar zu und gab der AP Legitimität. Staat und Regierung schlossen sich zusammen, was der Partei eine große Zahl von Mitgliedern brachte, die sie im Staatsapparat ökonomisch unterstützen und zudem eine Reihe politisch-institutioneller Vereinbarungen mit Akteuren allerorten. Der institutionelle Staatsapparat ist zweifelsohne ein grundlegender Faktor beim Aufbau Partei und folglich auch ihres Wahlerfolges.

Diese drei Elemente könnten für die Debatte darüber nützlich sein, was eine Regierung wie die der Alianza País bedeutet hat und man könnte von ihnen ausgehen, um Alternativen aufzubauen. Wenn die Diagnose falsch ist, sind es die Lösungen auch. Jeder neue politische Raum, der mit der Regierung den Streit aufnehmen möchte, um ihre Grenzen zu verbessern, wird die in dieser Zeit erreichten sozialen Errungenschaften und die Bürger anerkennen müssen, die mehrmals und bis zum Überdruss vieler immer die selbe Regierung gewählt haben. Hinter ihrer Wahl stehen wichtige Gründe, die es zu erkennen gilt.

María Cristina Bastidas aus Ecuador ist Politik- und Sozialwissenschaftlerin

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