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"Washington will Wahlbeobachter in Venezuela, die es beeinflussen kann"

Die Missionen zur Wahlbeobachtung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) sind nicht immer neutral und vertrauenswürdig

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Brennende Straßenblockade
Brennende Straßenblockade von Anhängern des Präsidentschaftskandidaten der Opposition, Henrique Capriles Radonski, nach seiner Wahlniederlage am 14. April 2013

In Washington sieht man es lediglich als den Lauf der Welt. So wie die großen Fische die kleinen fressen und Löwen Antilopen erbeuten, so gibt es keine moralischen Bedenken innerhalb der US-Regierung, demokratisch gewählte Regierungen, die ihr nicht gefallen, zu untergraben, zu destabilisieren oder loszuwerden.

So ist es keine Überraschung, dass die vielfältigen Bemühungen, die für den 6. Dezember angesetzten Wahlen zum venezolanischen Parlament zu delegitimieren, in den USA weithin einfach als Versuch bezeichnet und akzeptiert werden, eine "glaubwürdige Beobachtung" für die Wahlen zu gewährleisten. Die "glaubwürdigen Beobachter", die als eine absolute Notwendigkeit für ein "glaubwürdiges Ergebnis" dargestellt werden, werden in der OAS (Organisation Amerikanischer Staaten) gesehen.

Um zu erkennen, wie absurd diese Annahme ist, müssen wir nur ein paar Jahre zurückblicken, als die OAS eine "Experten-Überprüfungsmission" (Expert Verification Mission) berief, um die Präsidentschaftswahl in Haiti zu überprüfen. Diese Expertengruppe handelte skandalös, wie es nie zuvor oder später in der Geschichte von Wahlbeobachtungen passiert ist: Sie revidierte das Ergebnis des ersten Wahlgangs, ohne eine Nachzählung oder auch nur eine statistische Überprüfung durchzuführen. Normalerweise gibt es eine Nachzählung, wenn ein Wahlergebnis angefochten wird, oder das Ergebnis wird akzeptiert, oder es können Neuwahlen durchgeführt werden. Nirgendwo zaubert ein Wahlbeobachtungsteam einfach einen neuen Gewinner aus dem Hut.

Im Februar 2011 war ich an einer Veranstaltung mit Fritz Scheuren, dem führenden Statistiker der OAS-Mission. Diese wurde sorgfältig so besetzt, dass sechs der sieben Mitglieder aus den USA, Kanada und Frankreich kamen (ja, Frankreich gehörte dazu, auch wenn Geographen behaupten, dass es nicht Teil der westlichen Hemisphäre1 ist). Als ehemaliger Präsident der Amerikanischen Statistischen Gesellschaft gab er zu, dass die OAS-Mission keine statistischen Schlussfolgerungen nutzte, um aus den acht Prozent der Auszählungstabellen, welche sie überprüfte, ihre Schlüsse zu ziehen. Statistische Tests, welche durch das CEPR 2 durchgeführt wurden, einschließlich eines zusammenfassenden Sets von Simulationen der fehlenden Stimmen, bestätigen, dass es keine statistische Grundlage für die Anfechtung des Wahlergebnisses durch die Gruppe der Wahlbeobachter gab.

Die politischen Gründe dafür wurden klarer, als Haitis Regierung sich verständlicherweise dagegen sperrte, die OAS-Entscheidung hinzunehmen. Angesichts des durch das Erdbeben von 2010 immer noch verwüsteten Landes drohte Susan Rice, die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Haiti mit der Einstellung von verzweifelt benötigter Hilfe, sollte es die Änderung des Wahlergebnisses durch die OAS-Mission nicht akzeptieren. Michel Martelly, Washingtons Wunschkandidat, wurde daraufhin unterstützt, in die zweite Runde gehievt und wurde Präsident, was er bis heute ist.

Es scheint unwahrscheinlich, dass die OAS mit einem ähnlichen Vorgehen im Fall Venezuelas davonkommen würde. Aber sie kann zu den Bemühungen der Destabilisierung beitragen. 2013 besetzte die venezolanische Opposition mit gewalttätigen Protesten die Straßen und reklamierte einen "Betrug" bei den Präsidentschaftswahlen. Es gab keine Grundlage für die Behauptung eines Betrugs: Eine statistische Auswertung der Wahlüberprüfung zeigte, dass die Wahrscheinlichkeit, das offizielle Ergebnis durch Betrug zu erreichen, bei weniger als eins zu 25.000 Billionen lag.

Diese hochgradige Gewissheit war möglich aufgrund des doppelt gesicherten Wahlsystems in Venezuela, wo die Wähler ihre Stimme auf einen Touchscreen-Computer angeben und daraufhin einen Ausdruck zur Bestätigung ihrer Wahl erhalten. Der Wähler kontrolliert dann den Ausdruck und gibt ihn in die Wahlurne. Wenn die Wahllokale schließen, findet nach dem Zufallsprinzip eine Überprüfung von 54 Prozent der Maschinen statt, wobei im Beisein von Zeugen aller Parteien die Computerzählung mit den Stimmzetteln verglichen wird. Die mikroskopisch kleine Möglichkeit für Betrug, abgesehen von der Tatsache, dass in diesem Fall Präsident Maduro mit einem Vorsprung von 1,6 Prozentpunkten gewonnen hatte, ist in der enorm großen Untersuchungsmenge begründet, wie jeder Schüler eines Statistikkurses für Anfänger bestätigen kann.

Dennoch gab es drei internationale Stimmen, die 2013 der Opposition folgten und sich weigerten, das Ergebnis anzuerkennen, indem sie eine "vollständige Neuauszählung" verlangten: Die US-Regierung, die rechtsgerichtete Regierung von Spanien und – bezeichnenderweise – der damalige Vorsitzende der OAS, José Miguel Insulza. Obgleich die USA bei den Versuchen, Abstimmungen gegen Venezuela bei der OAS zu gewinnen, einige beschämende Niederlagen erlitten haben, trägt Washington immer noch 40 Prozent zum Budget der Organisation bei und hat natürlich andere Machtmittel gegen einzelne Regierungen und deren Vertreter. Es gibt viele Beispiele für ihre Manipulationen der OAS-Maschinerie. Darum gründeten die lateinamerikanischen Staaten 2010 die Gemeinschaft lateinamerikanischer und karibischer Staaten (Celac), welche alle Regierungen der Hemisphäre mit Ausnahme der USA und Kanadas vereint.

Aus all diesen Gründen und vielen mehr hätte jede Regierung, welche seit über einem Jahrzehnt ein wichtiges Ziel der USA für einen Regimewechsel darstellt, Grund genug, gegenüber Beobachtern der OAS skeptisch zu sein. Argentinien, Brasilien, Chile, Uruguay, die USA und Kanada sind unter den Ländern, die keine Interesse zeigten, ihre Wahlen von der OAS beobachten zu lassen. Indem sie mit dem mangelnden Wissen der Öffentlichkeit über die jüngere Geschichte ihr Spiel treiben, gehen alle Quellen der größeren Medien davon aus, dass die OAS einfach eine neutrale und notwendige institutionelle Garantie gegen Wahlbetrug darstellt. Die International Crisis Group, Human Rights Watch und Brookings Institution haben alle in dieselbe Kerbe gehauen. Und warum sollten sie nicht? Die Heuchelei der OAS, ein unvoreingenommener Beobachter zu sein, der nicht den Mächten und Diktaten des Imperiums verpflichtet ist, ist dieselbe, auf die sich die eigene Identität dieser Gruppen begründet. Aber viele dieser Akteure weisen in der vergangenen Dekade eine besonders zwielichtige Erfolgsbilanz auf, wenn es um Venezuela geht. Die Medien erinnern für ihren Teil an die McCarthy-Ära der 1950er Jahre: Widerspruch gibt es keinen, selbst in Berichten, die normalerweise im Sinne der journalistischen Ausgewogenheit eine Gegenmeinung beinhalten sollten.

Im vergangenen Jahrzehnt hat es in Venezuela eine Reihe gescheiterter Versuche gegeben, die Wahlergebnisse zu negieren. Ein kurzer Überblick über einige der dreisteren Betrügereien, mit Links, kann hier eingesehen werden. Sie umfassen erfundene statistische Studien von US-Akademikern (2004), fingierte Umfrageergebnisse von prominenten US-Meinungsforschern (2004 und 2006), einen Boykott der Parlamentswahlen durch die Opposition im Jahre 2005, sowie die oben beschriebenen Versuche von 2013. Ganz abgesehen von versuchten militärischen Staatsstreichen. Die Opposition hat keine einzige nationale Wahl gewonnen, seit Hugo Chávez 1998 zum ersten Mal gewählt wurde. Dieses Mal rechnen sie mit einem Sieg, und es gibt Umfrageergebnisse, die für diese Annahme sprechen. Aber vieles hängt von der Wahlbeteiligung ab, die eine Schwäche der Opposition in den Wahlen war, in denen es nicht um das Präsidentenamt ging. Und es macht einen großen politischen Unterschied, ob zum Beispiel eine einfache Mehrheit oder eine Zweidrittelmehrheit im Parlament erreicht wird. Deshalb erfolgt der Präventivschlag, die Wahlen zu diskreditieren: Falls sie weniger erfolgreich sind, als sie erwarten, werden sie von Betrug sprechen. Und zumindest die Hardliner werden weitermachen auf ihrem verfassungswidrigen Pfad in Richtung Regimewechsel. Das war – mit Unterstützung der USA – Plan B (und manchmal Plan A) für die längste Zeit der vergangenen 16 Jahre. Dies trotz der Tatsache, dass es in dieser ganzen Zeit nicht ein Fitzelchen eines glaubwürdigen Beweises für einen Wahlbetrug gab.

  • 1. In den USA wird der Doppelkontinent Amerika und die umliegenden Inseln insbesondere der Karibik als "Western Hemisphere"bezeichnet
  • 2. Centre for Economic and Policy Research, Washington