Sozialistische Fabriken können funktionieren

Nach einem langen Arbeitskampf verstaatlichte Venezuela eine Fabrik für Autoscheiben. Die Belegschaft bilanziert drei Jahre unter Arbeiterkontrolle

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Blanco und Cumana bei der Kontrolle der Öfen
Blanco und Cumana bei der Kontrolle der Öfen

Seit einem Jahr produziert "Vivex" im Osten von Venezuela Autoscheiben und beliefert mehr als 60 Werkstätten im ganzen Land. Die Belegschaft besetzte die Fabrik im November 2008, nachdem der Besitzer angekündigt hatte, keine weiteren Löhne zu zahlen. Nach dreijähriger Besetzung, mehreren gewalttätigen Auseinandersetzungen mit korrupten Sicherheitskräften und der Verteidigung der Fabrik gegen Versuche des Besitzers, die Maschinen abzutransportieren, konnte Vivex schließlich am 31. Mai 2011 verstaatlicht werden.

Während der Besetzung erschossen korrupte Polizisten im Januar 2009 zwei Arbeiter während einer Demonstration vor der Fabrik. Der Fall sorgte auch in der internationalen Gewerkschaftsbewegung für große Aufmerksamkeit und war vielerorts als Beleg dafür gesehen worden, dass die Regierung Chávez die Rechte der Arbeiter ebensowenig ernst nimmt wie die Vorgängerregierungen.

Mittelerweile ist die verstaatlichte und unter Arbeiterkontrolle geführte Fabrik in Barcelona im Bundesstaat Anzoátegui unabhängig von staatlichen Zuwendungen. Das berichtet Jean Carlos Sabino, einer der Vorsitzenden des neu gewählten Verwaltungsrates und einer der Köpfe der Besetzung vor sechs Jahren. Die Primärmaterialien werden mittlerweile mit eigenen Mitteln aus Mexiko importiert. Seit einem ersten Kredit vor drei Jahren von 46 Millionen Bolivares Fuertes (BsF), das entspricht rund 5,4 Millionen Euro, waren keine weiteren staatlichen Geldzuwendungen notwendig.

"Wir zeigen, dass die sozialistischen Fabriken funktionieren können und vor allem in der aktuellen Situation des Landes ist es wichtig zu zeigen, dass wir produktiv sind", betont Luís Hernandez. Die 143 angestellten Arbeiter produzieren im Durchschnitt 200 Windschutzscheiben und bis zu 700 Fenster täglich und haben Abnehmer im gesamten Land. Bisher produzieren sie jedoch nur für Werkstätten. Man sei aber dabei, Verträge mit verschieden Autofabriken abzuschließen.

Unter anderem sollen in Zukunft die venezolanisch-chinesischen Unternehmen Chery und Venirauto - eine Kooperation zwischen Venezuela und Iran - sowie einige private Produzenten beliefert werden. "Wir stellen Autoscheiben von höchster Qualität her und sind zur Zeit in einem Zertifizierungsprozess, um alle nationalen und die internationalen ISO-9000 Normen bescheinigt zu bekommen. Der Name Vivex stand einmal für beste Qualität und das möchten wir wieder erreichen", sagt Paulo Cumana, ein Sprecher des Arbeiterrates.

Die Arbeiter der Fabrik stammen zum Großteil aus der ehemaligen Belegschaft und sehen große Verbesserungen in den Arbeitsbedingungen sowie der Entlohnung. "Man kann sagen, dass eigentlich alles 100 Prozent besser ist", so Elías Gonzalez, der im Auslieferungsbereich arbeitet. Er fügt hinzu: "Es würde mich freuen, wenn all die Leute, die zur Fabrik kamen während sie still stand, heute sehen würden, was daraus geworden ist.“. Der Lohn liegt zwischen 4600 BsF (rund 540 Euro) und 8500 BsF (etwa 1000 Euro). Hinzu kommen verschiedene Bonuszahlungen wie zum Beispiel ein monatlicher Transportbonus von 1200 BsF, Lebensmittelmarken im Wert von 1900 BsF sowie bezahlter Urlaub, ein Kinderzuschlag und vieles andere mehr.

Die Fabrik verfügt heute über einen eigenen Krankenwagen und eine Krankenstation. "Das Arbeitsklima ist auch viel besser als früher, denn jetzt haben wir keine Peitsche mehr im Rücken und haben viel mehr Freiheiten. Das bedeutet natürlich auch mehr Verantwortung, aber hier nutzt niemand seine Freiheit aus. Ganz im Gegenteil alle sind sehr diszipliniert", berichtet Eumeli Blanco. "Ronald hat heute zum Beispiel schon am Vormittag keine Arbeit mehr, da gestern ein Ofen ausgefallen ist. Er hilft dafür aber beim Zuschnitt der Scheiben.“

"Wir produzieren zur Zeit bei etwa 50 Prozent, denn jede Menge Maschinen sind sehr alt und kaputt. Der ehemalige Besitzer hat in 47 Jahren der Produktion fast gar nichts investiert, um die Maschinen zu erneuern. Wir hoffen aber, nach und nach alles reparieren und modernere Maschinen kaufen zu können", erklärt Sabino. So reparierte zum Beispiel vor drei Monaten ein Team finnländischer Techniker einen Ofen, der seit Jahren kaputt war und noch vom ehemaligen Besitzer von der finnischen Firma gekauft worden war. Am dringlichsten sei es jetzt, mindestens einen weiteren Gabelstapler zu erwerben und einen Zulieferer für Holzkisten zu finden, in denen die Scheiben transportiert werden können.

"Natürlich haben wir Probleme und wir sind nicht perfekt. Aber wir sind stolz auf das, was wir erreicht haben. Ich denke, unser Erfolg im Vergleich zu anderen verstaatlichten Fabriken beruht darauf, dass wir wirklich unter Arbeiterkontrolle produzieren. Wenn uns zum Beispiel ein Mitglied des Verwaltungsrates nicht passt, dann wählen wir ihn ab“ erläutert Gonzalez. So hatte der Arbeiterrat sich nach einiger Zeit gegen den ersten vom Ministerium benannten Fabrikverwalter ausgesprochen und wenig später wurde er ersetzt. "Wir können als Beispiel dienen für die vielen anderen Arbeiter des Landes, die sich in ähnlichen Kämpfen befinden.“

Vivex steht in engem Kontakt zu den umliegenden autonomen Gemeinderäten, den Consejos Comunales, und ihren selbstorganisierten Kommunen. In mehreren freiwilligen Arbeitseinsätzen hat die Belegschaft etwa Schulen repariert oder Gemeindehäuser mit Fensterscheiben unterstützt. Der Verantwortliche für den Kontakt mit den Kommunen nimmt an den wöchentlichen Versammlungen teil.

Es ist geplant, in dem Gebäude einer alten Schule mit Unterstützung der Mision Saber y Trabajo, einer Ausbildungsmission, eine neue Autowerkstatt aufzubauen, die von der Kommune betrieben und von Vivex beliefert werden soll. Eines der Ziele ist es, die Scheiben direkt an den Verbraucher zu liefern, ohne unnötige Zwischenhändler, die den Preis hochtreiben. Das Projekt mit der Kommune ist ein erster Schritt dahin.