Cayos Cochinos. Indigene Garífuna protestieren gegen die Dreharbeiten der spanischen TV-Show Supervivientes All Stars auf der Karibikinsel Cayo Menor vor der honduranischen Küste. Die Show beginnt üblicherweise mit Sprüngen von Promis aus einem Hubschrauber auf einen Sandstrand.
Anfang September dieses Jahres kam es anders: Indigene Garífuna aus den vier nahegelegenen Festlandgemeinden Nueva Armenia, Rio Esteban, Sambo Creek und Corozal von der Organización Fraternal Negra de Honduras (OFRANEH) waren schon am Drehort. Sie taten unter den Augen ebenfalls angerückter Polizist:innen ihren Unmut kund. In den Augen der indigenen Bevölkerungsgruppe, die traditionell von Landwirtschaft und Fischfang lebt, bereitet das seit 2006 auf den Cayos Cochinos verfilmte Spektakel zwar schon immer Probleme, in diesem Jahr aber in einem ganz besonderen Ausmaß. Die Karettschildkröte sucht in dieser Jahreszeit die Strände der Inselgruppe Cayos Cochinos auf, baut Nester und legt 100 bis 150 Eier ab. Die Art ist laut der Weltnaturschutzorganisation (IUCN) massiv vom Aussterben bedroht.
Die Garifuna ließen sich von Booten der Marine und der am Strand des Cayo Menor aufmarschierten Bereitschaftspolizei nicht aufhalten. Ihr Protest vor Ort war nach Gesprächen mit der honduranischen Naturschutzbehörde und dem Sicherheitsministerium das letzte Mittel, um die Risiken der Dreharbeiten landesweit und international sichtbar zu machen. Nun sehen sie sich einer Diffamierungskampagne ausgesetzt und müssen mit einer Anzeige wegen angeblichen Hausfriedensbruchs rechnen, da die TV-Verantwortlichen das Set als Privatgrund ansehen.
Die TV-Reality-Show braucht eine Kulisse von "Karibik" und "Wildnis", die dem Publikum suggeriert, sie seien auf einer menschenleeren Insel auf sich allein gestellt und müssten in extremen Mutproben leicht bekleidet um ihre physische und psychische Gesundheit kämpfen.
Die Fischer:innen, die der indigenen Gemeinschaft der Garífuna angehören, kämpfen indes tatsächlich um ihr Überleben. Sie kritisieren seit Jahren, dass die Dreharbeiten sich wenig um die Natur und noch weniger um ihre angestammten Rechte kümmern.
Die Supervivientes All Stars werden in Spanien über den Sender Tele5 ausgestrahlt. Er gehört zur Gruppe Mediaset España, die 2023 von der niederländischen MFE-MediaForEurope aufgekauft wurde. Hauptaktionärin ist die von Silvio Berlusconi gegründete italienische Fininvest, die zweitgrößte europäische Medienholding. Produziert wird die Show von Cuarzo Producciones, einem Unternehmen, das zur französischen Banijay Group gehört. Juan Ramón Gonzalo von Cuarzo Producciones äußerte in der spanischen Presse, die Karettschildkröte habe in den vergangenen 20 Jahren nie an dem Strand genistet, an dem sich das Hauptset befindet. Die Garifuna benutzten seiner Meinung nach die gefährdete Schildkrötenart nur, um Aufmerksamkeit zu gewinnen.
Rony Castillo von OFRANEH wies im Gespräch mit amerika21 hingegen darauf hin, dass Nester für die Eiablage der Schildkröten über die Jahre immer wieder an verschiedenen Stränden der Insel gesichtet worden seien: "Die Fernsehproduktion nutzt die ganze Insel und das Meer, nicht nur ein einziges Set an einem Strand. Sie sind mit Motorbooten, Hubschraubern und einer Menge Leuten und Material unterwegs. Das verschreckt die Schildkröten, so dass sie gar nicht erst an Land kommen."
Das sieht auch der honduranische Biologe Fernando Ríos Paz so: Karettschildkröten reagierten sehr empfindlich auf Störungen durch Licht und Lärm. Das gelte für die Eiablage ebenso wie für die geschlüpften jungen Schildkröten, die den helleren Horizont suchten, um ins Meer zu finden.
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Außerdem sind durch die Dreharbeiten auch noch weitere Schäden am Ökosystem der Cayos festzustellen, so Rony Castillo: "Sie verlieren Treibstoff, was dem Korallenriff schadet und sie fällen Bäume, obwohl sie behaupten, sie würden all ihr Holz für ihre Bauten vom Festland mitbringen." Warum die Reality Show ihre Filmarbeiten von ehedem März oder April nun ausgerechnet in den September verlegt hat, ist dem Garífuna-Aktivisten unverständlich. Nicht nur die bedrohten Karettschildkröten gerieten in Gefahr, sondern auch die Dreharbeiten selbst und deren Hilfspersonal: "Im September ist das Meer gefährlich, es gibt Regen und Stürme. Es ist einfach die falsche Zeit, um sich dort aufzuhalten."
Nach den Protesten der Garifuna wurde die Show noch von einem starken Gewitter unterbrochen, Crew und Promis mussten evakuiert werden. Dennoch wurde danach weitergedreht, die neue Staffel soll ab Februar 2026 ausgestrahlt werden. Die Verantwortlichen setzen auf die Unterstützung der Fundación Cayos Cochinos und einiger verarmter Bewohner:innen der Inseln und der Küstenorte, die angesichts fehlender Einnahmequellen um jeden Cent froh sind, die Hilfsdienste für den Dreh und der Versorgung von etwa 200 daran beteiligten Personen hinterlassen.
Die Stiftung Cayos Cochinos steht seit Jahren in Verdacht, weniger für den Naturschutz als für den eigenen Nutzen zu wirtschaften. Und sie wird beschuldigt, die traditionellen Land- und Fischereirechte der Garífuna und deren Recht auf vorherige, freie und informierte Konsultation zu verletzen. Die Stiftung arbeitet eng mit einer Gruppe von Großunternehmer:innen aus der Industriestadt San Pedro Sula zusammen, die 1994 die Sociedad de Inversiones Ecológicas S.A. (SIEC) gegründet haben, die sich laut Registereintrag dem Schutz und der touristischen und anderweitigen Nutzung ökologischer wertvoller Zonen widmet. Die SIEC kaufte in der Folge mehrere der Cayos Cochinos sowie Grundstücke auf der größten Insel und ließ sie durch Wächter:innen und Militär gegen Garífuna verteidigen, die in der Nähe mit Kanus und Handangeln Fische und Langusten fangen wollten.
OFRANEH hat deswegen eine Klage gegen den honduranischen Staat eingereicht, die vom Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte angenommen wurde. Am 21. Mai 2025 fand die Anhörung dazu statt. Wenig später wurde auf eine der Hauptzeuginnen, die Vorsitzende des indigenen Gemeinderates von Nueva Armenia, Mabel Robledo ein Mordanschlag verübt, den sie jedoch überlebte (amerika21 berichtete).
Nach Auskunft von OFRANEH hat die honduranische Regierung den Nutzungsplan für die Cayos Cochinos wegen des Verfahrens vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte vorläufig ausgesetzt, sodass es derzeit keinerlei Grundlage für Drehgenehmigungen gebe.
Eine Petition honduranischer und internationaler NGOs, die amerika21 vorliegt, fordert nun vom spanischen Staatssekretariat für Telekommunikation und digitale Infrastruktur, Tele5 zu sanktionieren und die Dreharbeiten in Zukunft zu stoppen. Die zuständigen Stellen der Europäischen Union, so die Petition weiter, sollen dafür sorgen, "dass die beteiligten Unternehmen, die alle europäisch sind, sich bewusst sind, dass ihre Arbeit schwerwiegende Auswirkungen auf die Rechte der Garifuna-Gemeinschaften von Cayos Cochinos hat, was gegen den Inhalt und die Grundsätze der Richtlinie (EU) 2024/1.760 über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeit verstößt."
Der Europäische Auswärtige Dienst sowie die zuständigen Ministerien und diplomatischen Vertretungen Frankreichs, der Niederlande und Spaniens, werden aufgefordert, "keine Maßnahmen zu ergreifen, die zur Fortsetzung der Unternehmensaktivitäten führen, die eine Verletzung von Rechten zur Folge haben, und stattdessen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass dies nicht erneut geschieht, sowie den verursachten materiellen und ökologischen Schaden zu beheben."
Link zur Petition von OFRANEH. Link zum Dokument auf Deutsch bei amerika21.

