CIDH: Massaker von 2019 in Bolivien dürfen nicht straflos bleiben

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Gedenkstätte für das Massaker von Sacaba
Gedenkstätte für das Massaker von Sacaba

La Paz. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission (CIDH) und das Regionalbüro Südamerika des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte (OHCHR) äußern ernste Besorgnis über die jüngsten Gerichtsentscheidungen zu den Massakern von Senkata und Sacaba im Jahr 2019 in Bolivien. Die Organisationen warnen vor Straflosigkeit und bewerten die Annullierungen der entsprechenden Verfahren gegen Militärs, Polizist:innen und Polizeikräfte als Rückschritt in der juristischen Aufarbeitung.

Ende August annullierten bolivianische Gerichte die Verfahren gegen Angehörige von Militär, Polizei und Politik, die wegen ihrer Rolle in den Massakern von Senkata und Sacaba angeklagt waren (amerika21 berichtete). Als offiziellen Grund nannten sie, für diese Fälle nicht zuständig zu sein.

Die CIDH und das OHCHR-Südamerika bedauern in einer gemeinsamen Erklärung diese Annullierungen und sehen darin einen Rückschritt für die Justiz und Demokratie des Landes. Der Zugang zur Justiz in Bolivien sei gefährdet. Zudem betonen sie, dass die Aufhebung der Verfahren nicht nur das Leid der Opferfamilien und der Angehörigen verlängere, sondern auch Boliviens Verpflichtung zur Untersuchung und Strafverfolgung schwerer Menschenrechtsverletzungen missachte.

Expert:innen befürchten als Folge der Annullierungen einen Vertrauensverlust in die bolivianische Justiz sowie einen erschwerten Zugang zu internationalen Krediten und Hilfen, die an die Einhaltung der Menschenrechte gebunden sind.

Es geht dabei um die gewalttätigen Vorfälle im Zuge des Putsches von 2019. Nachdem sich Jeanine Áñez selbst zur Interimspräsidentin erklärt hatte und dabei von dem rechten Politiker Luis Eduardo Camacho unterstützt worden war, setzte die dadurch eingesetzte De-facto-Regierung Polizei und Streitkräfte gewaltsam gegen die Protestbewegung ein, die als Reaktion auf den Putsch aufflammte.

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Am 15. November wurden dabei in Sacaba, Cochabamba, 125 Menschen verletzt und zwölf getötet. In Senkata in El Alto kam es drei Tage später, am 19. November, ebenfalls zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Dabei verloren nochmals zehn Personen ihr Leben und Dutzende wurden verletzt. Die CIDH stufte diese Gewaltakte als Massaker an der Zivilbevölkerung ein und forderte mit Nachdruck eine intensive Aufarbeitung und Aufklärung sowie eine wirksame Strafverfolgung.

Die Annullierung der Verfahren erfolgte kurz nachdem der Mitte-Rechts-Kandidat Rodrigo Paz den ersten Wahlgang bei den Präsidentschaftswahlen Mitte August gewonnen und die linke Regierungspartei MAS verloren hatte. Einige der Beschuldigten sind zu diesem Zeitpunkt freigelassen worden.

Auch die bolivianische Justizministerin Jéssica Saravia zeigte sich besorgt und warnte vor der Gefahr der Straflosigkeit im Falle der Massaker von Senkata und Sacaba. Sie erklärte zudem: "Diese Situation gefährdet die Erfüllung der Verpflichtungen des Staates, Ermittlungen durchzuführen, Strafen zu verhängen und den Opfern Wiedergutmachung zu leisten. Und sie bedeutet eine erneute Viktimisierung der betroffenen Personen."

Beobachter:innen bedauern, dass die Aufarbeitung der Massaker von 2019 damit in weite Ferne rücke und den Angehörigen der Opfer Gerechtigkeit verweigert bliebe. Mit den Annullierungen der Gerichtsurteile und der Straflosigkeit im Zusammenhang mit den Massakern bleibe eine offene Wunde im kollektiven Gedächtnis bestehen. Zudem stehe die internationale Glaubwürdigkeit der bolivianischen Justiz auf dem Spiel.