Venezuela / Politik

Kontroverse um Wahlbeteiligung in Venezuela

Aktualisierte Ergebnisse der Parlaments- und Regionalwahlen verkündet. Zahlen des Nationalen Wahlrats werfen Fragen auf. Wahlregister anscheinend stillschweigend verkleinert

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Vor einem Wahllokal im Bundesstaat Anzoátegui
Vor einem Wahllokal im Bundesstaat Anzoátegui

Caracas. In Venezuela hat der Nationale Wahlrat (CNE) am Dienstag aktualisierte Ergebnisse der Parlaments- und Regionalwahlen vom Sonntag verkündet.

Das Regierungsbündnis "Großer Patriotischer Pol" erhielt demnach 83,42 Prozent der landesweit abgegebenen Stimmen und gewann 253 von 285 Parlamentssitzen. Dies entspricht laut offiziellen Angaben 5,02 Millionen Wähler:innen.

Das moderate Oppositionsbündnis "Demokratische Allianz", das als teilweise regierungsnah gilt, kommt mit 6,01 Prozent (361.769 Stimmen) auf 13 Sitze.

Die Allianz aus "Neue Ära" (UNT) und "Einheit und Wandel", den Parteien von Manuel Rosales und Henrique Capriles, erreicht 5,05 Prozent (304.425 Stimmen) und elf Sitze.

Weitere vier Sitze entfallen auf die Oppositionspartei "Stärke der Nachbarschaft", die vor allem im Großraum Caracas verankert ist (141.588 Stimmen, 2,35 Prozent).

Bereits am Sonntag stand fest, dass die regierende Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas (PSUV) zudem 23 der 24 Gouverneursämter gewonnen hat. Lediglich im zentralwestlichen Bundesstaat Cojedes konnte die Opposition mit dem amtierenden Gouverneur Alberto Galíndez triumphieren.

Während die Stimmenverteilung im Gegensatz zur Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr nicht grundlegend angezweifelt wird, ist eine Kontroverse um die Höhe der Wahlbeteiligung entbrannt.

Der CNE bezifferte diese am Dienstag auf 43,18 Prozent der "aktiven Wählerinnen und Wähler". Wie schon in der Wahlnacht bezog sich der CNE-Rektor Carlos Quintero dabei offenbar nicht auf das offizielle Wahlregister, das laut Wahlgesetz als Grundlage für die Ermittlung der Beteiligung gilt. Darin sind derzeit knapp 21,5 Millionen Wähler:innen eingeschrieben. Sechs Millionen abgegebene Stimmen entsprächen demnach einer Wahlbeteiligung von etwas mehr als 25 Prozent.

Nach Einschätzung des Journalisten und Wahlexperten Eugenio Martínez habe der CNE Personen aus dem Wahlregister gestrichen, um die Beteiligung höher erscheinen zu lassen.

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"Der CNE erkennt durch sein Vorgehen das Ausmaß der venezolanischen Migration an, wenn er fünf oder sechs Millionen Wähler auf einen Schlag ausschließen muss, um den Prozentsatz der Wahlbeteiligung irgendwie zu rechtfertigen", so Martínez.

Der Begriff "aktive Wähler" existiere offiziell nicht und sei "eine kurzfristige Erfindung des CNE", erklärte der Direktor des Wahlanalyseportals Votoscopio. Die Streichung aus dem Wahlregister beträfe wahrscheinlich auch mehrere Millionen Migrant:innen.

Laut UN-Angaben haben knapp acht Millionen Menschen Venezuela verlassen. Darunter befinden sich allerdings auch Kinder und Jugendliche sowie Personen, die nicht in das Wahlregister eingeschrieben sind. Um mit sechs Millionen abgegebener Stimmen auf eine Wahlbeteiligung von 43 Prozent zu kommen, muss der CNE allerdings zwischen sieben und acht Millionen Wähler:innen aus der Rechnung heraus genommen haben.

Der Repräsentant der Oppositionspartei Avanzada Progresista vor dem CNE, Bruno Gallo, erklärte gegenüber der Onlinezeitung TalCual, der Wahlrat habe wahrscheinlich "einen Datenabgleich mit den Venezolanern außerhalb Venezuelas vorgenommen oder, wie im alten Wahlrechtsgesetz, diejenigen als ’inaktiv‘ markiert, die bei mehreren aufeinander folgenden Wahlen nicht mehr gewählt haben". Eine offizielle Mitteilung des CNE habe es aber nicht gegeben.

Aus der Luft gegriffen sind diese Annahmen nicht. Am 3. April dieses Jahres hatte CNE-Rektor Conrado Pérez gegenüber dem Fernsehsender Globovisión gesagt, die derzeitige Berechnung der Wahlbeteiligung entspreche "nicht der wirklichen Zahl, denn es gibt eine natürliche Wahlenthaltung, weil jemand nicht im Lande ist oder nicht teilnimmt." Dieses Thema müsse "überdacht werden", allerdings nicht "mitten in einem Wahlprozess".

Aufgrund fehlender Erklärungen des CNE bleibt zunächst unklar, was genau hinter den Zahlen zur Wahlbeteiligung steckt. Detaillierte Ergebnisse hat der Wahlrat bislang nicht veröffentlicht, die Webseite ist seit der Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr offline. Da die Opposition dieses Mal nicht flächendeckend Wahlzeug:innen vor Ort hatte und demnach keinen Zugang zu den Wahlakten der elektronischen Wahlmaschinen hat, kann sie die Ergebnisse nicht eigenständig überprüfen.

Die internationalen Reaktionen auf den Urnengang fielen derweil gemischt aus. Während Länder wie Kuba, Nicaragua, Russland und der Iran Ausgang und Ablauf der Wahl begrüßten, sprachen westliche Staaten, darunter Kanada und die Europäische Union, von "restriktiven Wahlen" und "fehlenden demokratischen Garantien".

Deutliche Kritik kam aus dem Nachbarland Guyana. Erstmals ließ Venezuela den Gouverneursposten für das völkerrechtlich umstrittene Esequibo-Gebiet wählen, das beide Länder beanspruchen. Stimmberechtigt waren lediglich gut 21.000 Personen im angrenzenden venezolanischen Bundesstaat Bolívar. Die Streitkräfte an der Grenze seien bereit, "jeden Zentimeter unseres Landes zu verteidigen", sagte Guyanas Präsident Irfaan Ali. 

Im Vorfeld der Wahl hatten die Regierungen Guyanas und der USA sowie der Internationale Gerichtshof in Den Haag Venezuela dazu aufgefordert, die Abstimmungen zu unterlassen.