Argentinien modifiziert Gesetz zum Einsatz der Armee

Soldaten sollen leichter im Inneren eingesetzt werden. Bedenken von Menschenrechtsorganisationen und auch von Sicherheitskräften selbst. Vorgehen gegen soziale Proteste befürchtet

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So wie hier die Polizei könnte auch bald die Armee gegen Demonstranten vorgehen, befürchten Kritiker
So wie hier die Polizei könnte auch bald die Armee gegen Demonstranten vorgehen, befürchten Kritiker

Buenos Aires. Die Regierung von Präsident Javier Milei hat letzte Woche das Gesetz für Innere Sicherheit, das den Einsatz des Militärs nur bei Bedrohungen von außen zuließ und diesem im Land sehr enge Grenzen setzte, per Dekret modifiziert. Damit wird die Verwendung des Militärs bei "inneren Gefahren" ermöglicht.

Die Überarbeitungen wurden ohne Befragung des Kongresses durchgesetzt. Das ursprüngliche Gesetz stammte aus dem Jahr 1988 von der Regierung Raúl Alfonsín.

Abgeschafft wurde zudem ein Dekret von Präsident Néstor Kirchner aus dem Jahr 2006, das den Einsatz des Militärs ausdrücklich auf Angriffe durch die Streitkräfte anderer Staaten beschränkte.

Das Sicherheitsministerium soll nun bei Bedarf auf das Militär zurückgreifen dürfen, um "strategische Einrichtungen" und Sicherheitszonen zu schützen, darunter auch Grenzbereiche. Dieser Schritt wird gerechtfertigt unter Hinweis auf mögliche Gefahren durch Terrorismus oder organisiertes Verbrechen. Die Definition, was diese Einrichtungen sein könnten, bleibt dabei sehr vage und könnte unter Umständen eine ganze Stadt sein.

Dem Dekret folgte kurz darauf ein zweites, das den Militärs erlauben soll, gegebenenfalls auch Festnahmen zu tätigen. Diese Neuerung  ruft zusammen mit dem ersten Dekret erhebliche Sorgen bei Menschenrechtsorganisationen hervor.

Kritiker befürchten, dass mit diesem Schritt lediglich der Zugriff des Sicherheitsministeriums auf militärische Kräfte erleichtert werden soll. Im Ernstfall wäre nämlich auch jetzt schon deren Intervention möglich, es müsste dazu jedoch der Ausnahmezustand erklärt und ein Notfallkomitee gebildet werden.

Zu Beginn der Regierung Mileis war versucht worden, eine Modifikation des Gesetzes zur inneren Sicherheit im "Ley de Bases" einzufügen. Diese musste jedoch nach Verhandlungen mit der "freundlichen Opposition" (der Unión Cívica Radical, UCR) herausgenommen werden. Ein späterer Versuch, ein eigenes Gesetz durchzubekommen, war im Parlament gescheitert.

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Bereits 2018 unter der Regierung von Präsident Mauricio Macri hatte es ein ähnliches Dekret gegeben, das damals auch von den Sicherheitskräften und dem Militär selbst kritisiert wurde und nie umgesetzt wurde.

Die engen gesetzlichen Grenzen wurden dem argentinischen Militär nach dem Ende der Diktatur (1976-1983) auferlegt, um einen Missbrauch zu vermeiden wie in den 1970er Jahren im Rahmen des Kalten Krieges und der Doktrin der Nationalen Sicherheit. Diese Doktrin hatte, ausgehend von den USA, den Streitkräften der lateinamerikanischen Staaten eine Rolle zugewiesen, die in erster Linie der Niederschlagung innerer politischer und sozialer Unruhen diente, weniger dem Schutz vor äußeren Feinden. In dem Dekret von Präsident Alfonsín aus dem Jahr 1983, in dem er befahl, die Mitglieder der Militärjunta vor Gericht zu stellen, wurde ausdrücklich auf diese Doktrin hingewiesen.

Neben den Kritiken und Sorgen bei Menschenrechtsorganisationen, gibt es auch Bedenken sowohl der Polizei wie des Militärs selbst. Sie wenden ein, dass ihr Personal weder die geeignete Ausbildung noch sie die notwendigen Geldmittel hätten.

Sorgen bereiten dabei auch die rechtlichen Implikationen, angesichts der zahlreichen Militärs, die auf Grund ihrer Teilnahme an den Menschenrechtsverletzungen der Diktatur noch heute ihre Strafen absitzen. Die beiden sehr kargen Dekrete reichen nicht aus, um die Verantwortungen und Befugnisse des Militärpersonals zu regeln, wodurch eine sehr gefährliche Grauzone entsteht.

Die Sorge vor neuen Vergehen der Armee ist nicht unbegründet. Erst vor wenigen Tagen wurde eine Person an der Grenze zu Bolivien erschossen und 50 weitere verletzt bei der Unterdrückung von Protesten kleiner Grenzhändler. Die Regierung stellte es als Kampf gegen den Drogenschmuggel dar, gehandelt wurde jedoch mit Kokablättern und Kleidung.

Amnesty International (AI) wies in einem vor kurzem veröffentlichten Bericht auf die übermäßige Gewalt hin, die Seitens der Regierung Milei gegen soziale Proteste angewendet wurde. In einem Jahr sind bei 15 Demonstrationen circa 1.150 Personen verletzt und viele festgenommen worden. Gegen 73 Menschen seien übertriebene Anschuldigungen erhoben worden, wie Terrorismus oder versuchter Umsturz. Die Anklagen mussten später fallen gelassen werden, einige der Angeklagten verbrachten jedoch eine übermäßig lange Zeit in Untersuchungshaft.

Auch die Verwendung von Gummigeschossen und einem aggressiven Tränengas gegen friedliche Demonstranten, darunter ein zehnjähriges Mädchen, wird in dem Bericht kritisiert. Laut AI wurde die Anwendung übertriebener polizeilicher Gewalt und die Kriminalisierung des sozialen Protestes zur Methode erhoben.