Brasília. Bei der ersten Runde der Kommunalwahlen in den 5.569 Städten und Gemeinden Brasiliens haben das traditionelle "Große Zentrum" (Centrão) und die rechten Kräfte die sozialdemokratischen und progressiven Kräfte insgesamt überholt.
Am 27. Oktober finden in 52 Gemeinden Stichwahlen statt, an denen mehr als 200.000 Wahlberechtigte teilnehmen sollen.
Zu den großen Verlierern gehörten vor allem die im Mitte-Links-Spektrum angesiedelte "Demokratische Arbeiterpartei" (PDT) und die sozialdemokratische Zentrumspartei PSDB.
Größter Gewinner war die Sozialdemokratische Partei (PSD) mit 882 erfolgreichen Kandidat:innen. Sie löste die auf lokaler Ebene traditionell starke und oft klientelistische Demokratische Bewegung (MDB) als stärkste Kraft ab, die ebenfalls dem Mitte-Rechts-Spektrum zuzuordnen ist und in 847 Rathäusern siegte. An dritter Stelle lag die rechte Fortschrittspartei (PP) mit 743 Rathäusern. Dahinter folgten die konservative Brasilien Union und die Liberale Partei (PL) des ultrarechten Ex-Präsidenten Jaír Bolsonaro mit 578 beziehungsweise 510 Rathäusern.
Die Republikaner, die den Gouverneur des bevölkerungsreichsten Bundesstaates São Paulo stellen und stark von den Evangelikalen beeinflusst sind, gewannen 223 Rathäuser hinzu und regieren nun in 435.
Von den Mitte-Links-Kräften gewann die sozialdemokratische Brasilianische Sozialistische Partei (PSB) mit 309 die meisten Rathäuser, darunter auch das der nordöstlichen Metropole Recife. Sie lag damit vor der Arbeiterpartei (PT) von Staatspräsident Luis Inácio Lula da Silva, die insgesamt 248 Rathäuser eroberte, 66 mehr als 2020. Allerdings gewann die PT im Gegensatz zu 2020 keine Landeshauptstadt im ersten Wahlgang. Sie erreichte aber in zwölf Städten die Stichwahl, darunter Natal und Fortaleza im Nordosten, die Agrarstadt Cuiabá im Westen des Landes und Porto Alegre.
Die PT-Bundesvorsitzende Gleisi Hoffmann bewertete das Ergebnis positiv und betonte, dass der PT "Kraft und Vitalität" bewiesen habe.
In elf der 26 Landeshauptstädte wurden die Bürgermeister:innen bereits im ersten Wahlgang gewählt. Im Norden und Nordosten gingen die meisten Rathäuser bisher an Mitte-Rechts, nur Recife an Mitte-Links. Auch in Florianópolis im Süden und Vitória im Südosten gewann Mitte-Rechts.
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In Rio de Janeiro, der zweitgrößten Stadt Brasiliens mit rund fünf Millionen Wahlberechtigten, konnte der populäre Zentrumspolitiker Eduardo Paes (PSD) eine Allianz von Mitte-Rechts bis Links bilden und seine dritte Wiederwahl erreichen.
Nach einer Zählung der Online-Zeitung Brasil de Fato stellen Mitte-Zentrum und Mitte-Rechts rund 45 Prozent der insgesamt 833 Stadträte in den Landeshauptstädten. Bei Mitte-Links dominieren die PT mit 61 Stadträten in 24 Hauptstädten und die PSB mit 47 Stadträten in 16 Hauptstädten.
Beobachter:innen sehen in den Ergebnissen nur bedingt einen Sieg des Bolsonarismus. Laut dem Politikwissenschaftler Vinícius Alves ist das Bild vielschichtiger und von lokalen Szenarien geprägt. Zudem seien die rechten Parteien bei den Kommunalwahlen im Vorteil, da sie traditionell in größerer Zahl auf den Wahllisten erscheinen als die linken.
In São Paulo, der mit rund 9,3 Millionen Wahlberechtigten größten Stadt Brasiliens, kommt es zur Stichwahl zwischen dem Amtsinhaber Ricardo Nunes (MDB) und Guilherme Boulos von der linken Partei für Sozialismus und Freiheit (PSOL). Nunes lag mit 29,48 Prozent der Stimmen knapp vor Boulos mit 29,07 Prozent. Der Rechtspopulist Pablo Marçal kam auf 28,14 Prozent.
Der 56-jährige Unternehmer Nunes wird von Bolsonaro und dem rechten Gouverneur Tarcísio Gomes de Freitas unterstützt und steht für Privatisierung. Der 42-jährige Psychiater Boulos will die staatlichen Institutionen stärken. Er gilt vielen als möglicher politischer Erbe Lulas, dessen PT in São Paulo keinen Spitzenkandidaten aufstellte und die Ex-Bürgermeisterin Marta Suplicy (2021-2004) zu seiner Stellvertreterin machte. Für Boulos ist es der zweite Anlauf. Im Jahr 2020 verlor er die Stichwahl mit 40 Prozent der Stimmen gegen Bruno Covas von der PSDB, der 2021 verstarb und dessen Stellvertreter Nunes wurde.
Boulos ist einer der Anführer der Obdachlosenbewegung (Movimento dos Trabalhadores Sem Teto, MSTS) und Mitglied der Abgeordnetenkammer, in die er 2021 mit einem Rekordergebnis gewählt wurde.
Die Wahlergebnisse haben die Präsenz von LGBT+-Personen gestärkt. Im Jahr 2024 wurde erstmals die sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität bei der Registrierung der Kandidat:innen erfasst. Landesweit wurden 225 Ratsleute und drei Bürgermeister:innen aus der LGBT+-Gemeinschaft gewählt. Laut der Nichtregierungsorganisation VoteLGBT war dies ein Anstieg von 130 Prozent im Vergleich zu 2020.
Die Landlosenbewegung Movimento dos Trabalhadores sem Terra (MST) organisierte sich erstmals landesweit, um an Kommunalwahlen teilzunehmen. Insgesamt traten 600 Agrarreformaktivist:innen in 367 Gemeinden und 22 Bundesstaaten an. Im südlichsten Bundesstaat Rio Grande do Sul wurden sieben MST-Stadträte gewählt, in ganz Brasilien stellt der MST nun 110 Stadträt:innen und 23 Bürger- und Vizebürgermeister:innen.