New York. Progressiven Regierungen aus Lateinamerika haben auf der 79. UN-Generalversammlung die Ineffektivität der Vereinten Nationen angesichts akuter globaler Probleme wie der Klimakrise, den Aufstieg des Rechtextremismus und des "Völkermords" in Gaza scharf kritisiert. Verantwortlich dafür sind nach Ansicht der Progressiven die Regierungen der mächtigen Länder sowie die Finanz- und Kriegsmächte der Welt.
"Meine Damen und Herren Präsidenten der Welt, in diesem Saal hängt die Kommunikationskraft eines Präsidenten davon ab, wie viele Dollars er in seinem Budget hat, wie viele Kampfflugzeuge er zur Verfügung hat und letztlich von der Kapazität seines Landes, die Menschheit zu vernichten", prangerte der kolumbianische Präsident Gustavo Petro in seiner Rede an. "Wir reden hier, aber uns wird nicht zugehört", klagte Petro.
In diesem Sinne kritisierte auch der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva die "begrenzte Wirkung" der UNO in seiner Eröffnungsrede. Die nun beschlossene UN-Zukunftsagenda sei Ausdruck dieses "Paradoxes": "Wir reden lange um mögliche Vereinbarungen herum, die am Ende zu unzureichenden Ergebnissen führen."
"Das erste Viertel des 21. Jahrhunderts geht zu Ende und die Vereinten Nationen sind zunehmend ausgehöhlt und gelähmt", bedauerte Lula. Die Organisation handle immer noch nach den "inakzeptablen Reminiszenzen an die Herrschaftspraktiken der kolonialen Vergangenheit" wie zu Zeiten ihrer Gründung. Dies zeige sich etwa daran, dass Lateinamerika und Afrika nicht im Sicherheitsrat vertreten seien.
Auch die bolivianische Außenministerin Celina Sosa, der chilenische Präsident Gabriel Boric und der Präsident Guatemalas Bernardo Arévalo sprachen sich für eine Demokratisierung der UNO aus.
Das geringe Gewicht der Länder des Südens in der UNO zeige sich zum Beispiel beim "Völkermord" in Palästina, so Petro. Die Minderheit der Präsident:innen, die die Bombardierungen stoppen könnten, tun es nicht, obwohl die Mehrheit der Regierungschef:innen dafür gestimmt haben. Lula und die Präsidentin von Honduras, Xiomara Castro, zeigten sich ihrerseits besorgt über die "gefährliche" Ausweitung "einer der größten humanitären Krisen der Geschichte" in Gaza und im Westjordanland auf den Libanon. "Der Libanon darf nicht zu einem zweiten Gaza werden", sagte Castro. "Was als Terrorakt von Fanatikern gegen unschuldige israelische Zivilisten begann, ist zu einer kollektiven Bestrafung des gesamten palästinensischen Volkes geworden", so Lula. Das "Recht auf Verteidigung" habe sich in ein "Recht auf Rache" verwandelt.
Lula wies darauf hin, dass die weltweiten Militärausgaben in diesem Jahr weiter auf 2,4 Billionen US-Dollar gestiegen seien und mehr als 90 Milliarden US-Dollar in die nukleare Aufrüstung statt in den Kampf gegen Hunger und Klimawandel investiert würden.
Lula erinnerte an die "vergessenen Konflikte" im Sudan und im Jemen. Er bedauerte auch, dass es in der Ukraine keine Friedensperspektive gebe, obwohl keine Seite den Krieg gewinnen könne.
Es gebe "Doppelstandards" der internationalen Gemeinschaft in Bezug auf die Ukraine und Palästina, kritisierte Boric. "Ich weigere mich, zwischen dem Terror der Hamas oder den Massakern und dem genozidalen Verhalten von Netanjahus Israel zu wählen", so Chiles Präsident.
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In diesem Sinne argumentierte ebenfalls Arévalo, dass kein Mitgliedstaat die UN-Charta verletzen dürfe: "Nicht in der Ukraine, nicht in Gaza, nicht im Sudan und nirgendwo sonst."
Schließlich steckten hinter der Untätigkeit der mächtigen Regierungen die Superreichen der Welt, so Petro: "Die globale Oligarchie lässt zu, dass Bomben auf Frauen, Alte und Kinder in Gaza geworfen werden." Dies habe eine symbolische Bedeutung: Das "reichste eine Prozent der Menschheit" müsse so "den restlichen 99 Prozent ihre Zerstörungskraft vor Augen führen, um weiterhin Macht in der Welt ausüben zu können und sich immer mehr Reichtum anzueignen und anzuhäufen".
Es sei dasselbe "reichste Prozent der Menschheit", das kein Interesse an einer "kohlenstofffreien Wirtschaft" habe, weil Öl und Kohle die Quelle seines eigenen Reichtums seien. "Die Politiker, einschließlich der mächtigsten Präsidenten der Welt, gehorchen ihnen einfach", so Petro.
Auch Castro sieht im "globalen Kapitalismus den größten Zerstörer der natürlichen Ressourcen", weil "die Akkumulation des Profits über die Interessen der Menschheit gestellt wird".
Für Lula befindet sich die Demokratie in ihrem kritischsten Moment seit dem Zweiten Weltkrieg. Die liberale Demokratie sei unzureichend und habe die Erwartungen von Millionen Menschen enttäuscht. Ein Modell, das "dem Großkapital dient und die Arbeiter ihrem Schicksal überlässt" und weiße Männer gegenüber schwarzen Frauen bevorzuge, sei nicht demokratisch, betonte Lula.
Überfluss für wenige und Hunger für viele sei im 21. Jahrhundert das Vorspiel zum Totalitarismus, mahnte Lula. Die progressiven Regierungsvertreter:innen warnten vor dem Aufstieg der ultrarechten Kräfte auf allen Kontinenten. Die "Kontrolle der Menschheit auf der Grundlage der Barbarei", wie sie in Gaza und im Libanon praktiziert werde, begünstige diesen Aufstieg, sagte Petro.
Zu den Vorschlägen der Progressiven für eine Demokratisierung der Zusammenarbeit in der internationalen Gemeinschaft gehören eine strukturelle Veränderung der UNO, insbesondere des Sicherheitsrates, eine stärkere Besteuerung der Superreichen und eine Umstrukturierung der multilateralen Finanzbanken mit einer stärkeren Vertretung des globalen Südens.
Petro sprach seinerseits von einer Stärkung und Vernetzung der Völker von unten. Der Kampf für das Leben auf der Erde brauche eine "Weltrevolution". Es sei "die Stunde der Völker". Angesichts der Unfähigkeit der Regierungen sei es "an der Zeit, die Lösung der großen Probleme der Menschheit in die Hände der Leute selbst zu legen, der einfachen Leute der Menschheit".