Caracas. Der venezolanische Präsident Nicolás Maduro hat das höchste Gericht des Landes (Tribunal Supremo de Justicia - TSJ) um eine gerichtliche Überprüfung der Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen vom 28. Juli ersucht.
Die Wahlkammer des TSJ soll demnach alle Kandidaten und die Vertreter aller Parteien vorladen, sämtliche Unterlagen zusammentragen und die Ergebnisse mit einem Fachgutachten bestätigen. "Wir sind bereit, 100 Prozent der Wahlakten, die wir in Händen haben, vorzulegen", betonte Maduro. Er hoffe, dass der TSJ sich "mit dem Angriff auf den Wahlprozess, dem versuchten Staatsstreich mittels des Wahlprozesses befasst und alles klärt, was geklärt werden muss", sagte der Präsident.
Gegenüber der Presse erklärte Maduro: "Ich habe mich an den Obersten Gerichtshof gewandt, damit die Wahlkammer die Wahl vom 28. Juli aufklärt, die Ereignisse dieses Datums ebenso wie die darauf folgenden Ereignisse, und damit die definitiven Ergebnisse, die mich als Sieger ausweisen, mit absoluter Klarheit festgestellt werden".
Die Wahlbehörde des Landes (CNE) hatte bekannt gegeben, dass Maduro bei der Wahl am Sonntag 51,2 Prozent der Stimmen gegen Edmundo González mit 44,2 Prozent erhalten hat und erklärte ihn offiziell zum Sieger.
Die oppositionelle Einheitliche Plattform behauptet, dass ihr Kandidat González die Wahl gewonnen hat, und dass sie im Besitz von Wahlakten sei, die dies beweisen.
Der CNE hat noch keine detaillierte Aufschlüsselung des Wahlergebnisses veröffentlicht. Beamte der Wahlbehörde begründen die Verzögerung mit einem "Cyberangriff", der die Datenübertragung beeinträchtige.
Eine Reihe von Analysten und politischen Kräften haben den CNE aufgefordert, die vollständigen Ergebnisse zu veröffentlichen, um die Spannungen im Zusammenhang mit den Ergebnissen zu verringern.
Internationale Wahlbeobachter, darunter die National Lawyers Guild, die im Land anwesend waren, um die Wahl zu begleiten, lobten indes die "Fairness und Transparenz des venezolanischen Wahlprozesses".
"Die Delegation beobachtete einen transparenten, fairen Wahlprozess, bei dem die Legitimität, der Zugang zu den Wahllokalen und der Pluralismus genauestens beachtet wurden", heißt es in einer Erklärung der Gruppe. Sie kritisierte die von den USA unterstützte Opposition wegen ihrer Weigerung, die Ergebnisse zu akzeptieren, was ihrer Meinung nach die Stabilität der venezolanischen Demokratie untergräbt.
Das Carter Center, das mit einer "kleinen technischen Mission" ebenfalls bei der Abstimmung am Sonntag anwesend war, erklärte dagegen, dass die Wahl "nicht den internationalen Standards für die Integrität von Wahlen" entsprochen habe.
Die Einrichtung, die für ihre differenzierten und unparteiischen Urteile bekannt wurde, legte sich diesmal auf Einschätzungen fest, denen teilweise eine nötige Begründung fehlt. So sieht sie in der geringen Präsenz des Präsidentschaftskandidaten der Opposition in den Medien ein Zeichen für unfaire Ausgangsbedingungen, ohne zu erwähnen, dass es die Entscheidung der Opposition war, die nicht kandidierende María Corina Machado im Wahlkampf in den Vordergrund zu stellen. Auch die pauschale Behauptung einer geringeren Medien- und Finanzkraft der Opposition erscheint fragwürdig.
Die Wahlen vom Sonntag verliefen weitgehend ohne Zwischenfälle. Die verzögerten Endergebnisse haben jedoch Forderungen nach mehr Transparenz laut werden lassen, auch von einigen Nachbarländern Venezuelas.
Kolumbiens Präsident Gustavo Petro fordert eine "professionelle internationale Prüfung" der Ergebnisse. Die Präsidenten von Brasilien, Luiz Inácio Lula da Silva, und den USA, Joe Biden, zeigten sich nach einem Telefonat einig, dass der CNE "unverzüglich vollständige, transparente und detaillierte Daten zu den einzelnen Wahllokalen veröffentlichen" müsse.
Andere Staatsoberhäupter der Region haben dazu aufgerufen, die Institutionen Venezuelas zu respektieren. So wandte sich Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador insbesondere gegen die Bemühungen der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), in dieser Angelegenheit zu intervenieren, und stellte deren Glaubwürdigkeit und Unparteilichkeit in Frage.
"Warum muss sich die OAS einschalten? Das ist Einmischung, deshalb ist die OAS unglaubwürdig", sagte er und fragte: "Mit welcher Begründung behauptet die OAS, dass der andere Kandidat gewonnen hat? Wo sind die Beweise?"
OAS-Generalsekretär Luis Almagro hatte Maduro zuvor aufgefordert, "seine Niederlage anzuerkennen". Tue er das nicht, müssten Neuwahlen stattfinden, die von der OAS und der Europäischen Union überwacht und von einer neuen Wahlbehörde durchgeführt werden.
Eine Resolution des Ständigen Rates der OAS zu den Wahlen in Venezuela fand indes bei einer Dringlichkeitssitzung am Mittwoch keine Mehrheit. Für den Entwurf stimmten 17 Mitgliedsstaaten, elf enthielten sich – darunter Bolivien, Brasilien, Honduras und Kolumbien - , fünf schickten gar keinen Vertreter zu der Sitzung, so auch Mexiko.
Bei der internationalen Pressekonferenz am Mittwoch warf Maduro den "USA, dem Westen" vor, in Venezuela einen Bürgerkrieg entfesseln zu wollen. "Wir sind eine Bolivarische Revolution, die Wurzeln hat, die ein Volk und ein Militär hat, eine friedliche Wahlrevolution". Wenn der US-Imperialismus und die Ultrarechte nicht aufhörten, dem Land Schaden zuzufügen, werde er nicht zögern, "das Volk zu einer neuen revolutionären Bewegung mit anderen Merkmalen aufzurufen, das Volk weiß das. Wir werden unser Land verteidigen ... wir wollen den Weg gehen, den Chávez eingeschlagen hat". Venezuela werde nicht "in die Hände des Faschismus oder Imperialismus fallen". Das Land habe das Recht, ein unabhängiges und souveränes Projekt zu entwickeln, betonte er.
Nachdem Maduro das TSJ ersucht hatte, einzugreifen, rief Machado ihre Anhänger auf, "aktiv und entschlossen zu bleiben" und ihren erklärten Wahlsieg "einzutreiben".
Unterdessen finden täglich Demonstrationen von Chavisten in Caracas und Kundgebungen vor dem Präsidentensitz statt.