Wie die Diktatur in Chile sich auf deutsche Nazis im BND verlassen konnte

Der Sturz Allendes durch die Feinde der Demokratie. Dokumentation beleuchtet die ideologische Ausrichtung der westdeutschen Nachkriegspolitik

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Illustration zum WDR-Feature "Pinochets deutsche Paten"
Illustration zum WDR-Feature "Pinochets deutsche Paten"

Köln/Santiago. Neue Recherchen haben die Rolle deutscher Nazis beim Putsch von General Augusto Pinochet gegen die Regierung von Salvador Allende am 11. September 1973 bekannt gemacht. Eine Reihe von Zeugnissen beleuchtet dabei das Wirken des damals als Kriegsverbrecher gesuchten ehemaligen SS-Standartenführers Walter Rauff und der deutschen Sektensiedlung Colonia Dignidad. Der Westdeutsche Rundfunk (WDR) hat die Erkenntnisse vor wenigen Tagen mit einem Feature von Wilfried Huismann gesendet.

Der Sturz Allendes durch das chilenische Militär bewegte im September 1973 die Welt. Die Regierung der Unidad Popular hatte sich mit ihrem sozialistischen Programm und der Nationalisierung der Kupferminen die USA zum Feind gemacht. Nach einer Phase seitens der USA dirigierter Maßnahmen, die die chilenische Wirtschaft zum Zusammenbruch bringen und auf diesem Weg Allende von der Macht entfernen sollte, unternahm das Militär schließlich einen Putsch und eröffnete seine grausame Repression gegen die linken Kräfte im Land.

Huismann hat in seiner Dokumentation bereits neueste Erkenntnisse der Forschung aufgenommen, wonach die Terminierung des Putsches eng an einem Vorhaben von Allende gehangen hatte, der beabsichtigte, in dem polarisierten Land eine Volksabstimmung über die Fortsetzung seiner Regierung zu veranstalten (amerika21 berichtet aktuell).

Der 1984 in Santiago verstorbene Alt-Nazi Rauff brachte für die Konsolidierung der Putschisten und der Militärdiktaur "an zentraler Stelle" seine Erfahrungen aus der Zeit des deutschen Faschismus bei der Vernichtung Oppositioneller ein. Er verkehrte eng mit dem Chef des Geheimdienstes der Diktatur (Dirección de Inteligencia Nacional, Dina), General Manuel Contreras. Bereits vorher war Rauff mit dem deutschen Auslandsgeheimdienst Bundesnachrichtendienst (BND) verbunden, der ihn 1958 rekrutiert hatte, um "die Ausbreitung des Kommunismus auf dem amerikanischen Subkontinent möglichst zu verhindern".

In dem Feature bestätigen Zeugen auch aus dem chilenischen Geheimdienst Rauffs führende Rolle bei der Organisation systematischer Folter und dem Verschwindenlassen getöteter Oppositioneller. Rauff ist nach offiziellen Auskünften vom BND 1962 "abgeschaltet" worden. Dies hing offensichtlich damit zusammen, dass Rauffs Name inzwischen Eingang in den Prozess gegen Adolf Eichmann in Israel gefunden und die Bundesrepublik in diesem Zusammenhang einen Auslieferungsantrag an Chile gestellt hatte.

Mit den neuen Recherchen konfrontiert, räumte der BND nun ein, man habe doch noch einen Vermerk aus 1974 gefunden. Danach habe Rauff aber wohl lediglich als "ausführendes Organ" für die Dina gearbeitet, jedoch ohne Befehlsgewalt. Die Zeugen im Feature widersprechen dem explizit. Ebenso eine Recherche des US-Anthropologen John Cole, die dieser 1974 dem Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien in Wien übermittelte.

Andere ältere Forschung förderte einen BND-Vermerk von 1984 zutage, in dem es heißt, man wusste "von Anfang an, mit wem man es zu tun hatte […], da Rauff aus seiner Vergangenheit nirgends ein Hehl machte".

Die von Zeugen geschilderten höchstrangigen Zugänge von Rauff in der Hierarchie der Diktatur sowie sein Auftreten und seine Anordnungen zeigten seine wichtige Rolle im "System der chilenischen inneren Sicherheit". Die Schilderungen lassen erkennen, dass der deutsche Nazi für die Verfolgung der Opposition, die Schulung in Verhörtechniken und bei der Perfektionierung des spurlosen Verschwindenlassens von gefolterten und getöteten Oppositionellen dem Repressionsapparat wertvolle Mitarbeit bot.

Die Doku belegt frühe Begegnungen zwischen Rauff und Pinochet in Ecuador, die eine langjährige Bekanntschaft begründeten. Pinochet soll Rauff angeregt haben, nach Chile überzusiedeln, was dieser laut CIA-Erkenntnissen 1958 tat. Zwischen 1960 und Februar 1962 hielt Rauff sich mehrfach zur Schulung durch den BND in der BRD auf. Der bundesdeutsche Haftbefehl von 1961 bildete kein Hindernis.

Das Feature liefert auch neue Ansätze zur Einschätzung der Colonia Dignidad, die sich 1988 nach der Aufdeckung schwerer Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen in Villa Baviera umbenannte (amerika21 berichtete seit 2010 vielfach). Die 30 Quadratkilometer ausgedehnte und 400 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago gelegene Siedlung einer christlichen Sekte von Auslandsdeutschen wurde weltweit bekannt, nachdem der systematische sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch den Sektengründer Paul Schäfer und eine Verwicklung der Anlage in die Menschenrechtsverbrechen der Pinochet-Diktatur in die Berichterstattung der Medien gerieten.

Während bereits allgemein bekannt ist, dass die Siedlung auch ein geheimer Ort der Gefangenschaft und Folterung politischer Gegner der Diktatur war, berichtet das Feature von Huismann von bereits frühen Kontakten zwischen Dina-Geheimdienstchef Contreras und der Colonia Dignidad. Die Einrichtung soll bereits ein Jahr vor dem Putsch in die entsprechenden Vorbereitungen einbezogen worden sein.

Die deutsche Diplomatie ist im Zusammenhang mit ihrem Agieren nach dem Putsch von 1973 wie auch in der Sache Colonia Dignidad immer wieder in der Kritik gestanden, als Komplize der Diktatur aufgetreten zu sein. Die Aussagen eines ehemaligen Pressesprechers an der deutschen Botschaft in Santiago bringen einmal mehr das Netzwerk des BND und dessen ideologische Ausrichtung ins Spiel.

Im April formulierte die Tagesschau noch, "die Unterstützung der Folter-Sekte Colonia Dignidad in Chile ist eines der düstersten Kapitel bundesdeutscher Außenpolitik". Die Arbeit von Huismann liefert nun einiges Material, um die politischen Leitlinien hinter der Unterstützung der Diktatur wie auch der Sekte weiter zu untersuchen.