Internationale Persönlichkeiten warnen vor "sanftem Putsch" gegen Petro in Kolumbien

Bei Unterzeichner:innen Jeremy Corbyn, Jean-Luc Mélanchon und Baltasar Garzón. Generalstaatsanwalt als "Chef der Opposition". OAS stützt Regierung

regierungsfraktion_pressekonferenz.png

Pressekonferenz der Kongressfraktion des Historischen Paktes. Sie beklagt "politische Verfolgung"
Pressekonferenz der Kongressfraktion des Historischen Paktes. Sie beklagt "politische Verfolgung"

Bogotá. Fast 400 Intellektuelle, Politiker:innen, Kongressabgeordnete und Gewerkschafter:innen aus der ganzen Welt haben eine Verfolgungskampagne gegen die Regierung von Gustavo Petro angeprangert. "Kolumbien erlebt einen sanften Putsch", erklärten unter anderem der Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel, der spanische Jurist Baltasar Garzón, der britische Labour-Politiker Jeremy Corbyn und der französische Präsidentschaftskandidat von 2012, Jean-Luc Mélenchon, in einem offenen Brief.

Die "traditionellen Kräfte" nutzten Regulierungsbehörden, mächtige Medien und die Justiz, um die Reformen der Regierung Petro zu stoppen, "die sie Unterstützenden einzuschüchtern, ihre Führung zu stürzen und ihr Image auf der internationalen Bühne zu diffamieren". So heißt es in dem Dokument, das auch der Ex-Präsident von Ecuador, Rafael Correa, und Spaniens ehemaliger Ministerpräsident, José Luis Rodríguez Zapatero, unterzeichnet haben.

Die Unterzeichner:innen des Briefes werfen dem Generalstaatsanwalt Francisco Barbosa und der Generalstaatsanwältin für Verwaltungsangelegenheiten (Procuraduría), Margarita Cabello, vor, ungerechtfertigte Ermittlungen gegen Kongressmitglieder des linken Bündnisses Historischer Pakt (PH) zu führen, die zu deren Absetzung führen könnten. Petro könnte das gleiche Schicksal ereilen, beklagen unter anderem Noam Chomsky, Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau und der Abgeordnete des deutschen Bundestags, Andrej Hunko.

Solche Ermittlungen werden gegen die Senatoren Alex Flórez und Alexander López, sowie gegen den Präsidenten des Abgeordnetenhauses David Racero, die Abgeordnete Susana Gómez und die Senatorin und Mitglied der Friedensdelegation, María José Pizarro, durchgeführt, betont der Brief.

Als Beispiel nennt das Dokument den Senator Wilson Arias, gegen den die Staatsanwaltschaft für Verwaltungsangelegenheiten eine Klage auf Suspendierung seines Sitzes im Senat gestellt hat. Die Behörde wirft Arias vor, sich während der sozialen Proteste von 2021 gegen Polizeigewalt ausgesprochen zu haben. Dem Brief zufolge ist Cabello eine enge Verbündete von Ex-Präsident Álvaro Uribe. Unter der rechtsgerichteten Regierung von Iván Duque (2018-2022) war sie Justizministerin.

Die Kongressfraktion des Historischen Pakts (PH) kündigte an, sich an die Interamerikanische Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten (CIDH) zu wenden, um vorbeugende Maßnahmen zum Schutz des Lebens und der Rechte ihrer Mitglieder zu beantragen. Sie spricht von "illegalen Handlungen" der Staatsanwaltschaft für Verwaltungsangelegenheiten. Diese Behörde maße sich "stur" Befugnisse an, Amtsträger:innen abzusetzen, obwohl diese rechtmäßig gewählt wurden.

Laut der Bestimmungen der CIDH und des kolumbianischen Verfassungsgerichtshofs dürften Mandatsträger:innen nur wegen Urteilen von Strafrichter:innen abgesetzt werden. Die von Cabello geleitete Behörde ist aber kein Justizorgan und hat nur Verwaltungsfunktionen.

Die PH-Fraktion prangerte außerdem Attentate und Todesdrohungen gegen mehrere ihrer Mitglieder an.

Einen Tag nach der Ankündigung der Regierungsfraktion veröffentlichte das Sekretariat der OAS ein Kommuniqué, in dem es die Argumente der progressiven Kongressmitglieder unterstützte. "Es ist unerlässlich, dass alle Staatsorgane, die keine Strafgerichte sind, einschließlich der Verwaltungsorgane, Abstand von Handlungen nehmen, die diesem Prinzip zuwiderlaufen", heißt es in dem Kommuniqué.

Die PH-Fraktion versteht die Handlungen Cabellos als "politische Verfolgung". Sie habe sich ganz klar in der Öffentlichkeit gegen die Reformprojekte der Regierung Petro ausgesprochen. Das gleiche gelte für den Generalstaatsanwalt Barbosa.

Auch ehemalige hochrangige Amtsträger wie der Ex-Generalstaatsanwalt Eduardo Montealegre, der nicht zum PH gehört, kritisieren die offensive Haltung Barbosas gegenüber der Regierung Petro. "Francisco Barbosa hat die Generalstaatsanwaltschaft in einen politischen Apparat des kolumbianischen Staates verwandelt", so Montealegre. "Sie wurde zu einem Instrument der Verfolgung von Oppositionellen". Laut dem Ex-Generalstaatsanwalt sei Barbosa zum Chef der Opposition geworden.

In einem Interview forderte Barbosa die Polizei auf, sich den Befehlen der Regierung zu widersetzen. Kongressabgeordnete der PH-Fraktion kündigten daraufhin eine Klage gegen den Generalstaatsanwalt an. Diese wird wegen Anstiftung zur Gehorsamsverweigerung bei der Anklagekommission des Repräsentantenhauses eingereicht werden.

Präsident Petro selbst hat in den letzten Wochen wiederholt von einem möglichen Putsch in Kolumbien gesprochen. Dieser solle die Sozial-, Gesundheits-, Arbeits- und Rentenreformen verhindern. "Sobald sie die Reformen zu Fall bringen, wollen sie den Präsidenten zerstören", sagte er in seiner Rede anlässlich der Massendemonstrationen für seine Regierung.

Zum anderen soll laut Petro ein "sanfter Putsch" verhindern, dass er die drei Kandidat:innen stellt, aus denen der Oberste Gerichtshof bis Februar 2024 den Nachfolger oder die Nachfolgerin von Barbosa wählen muss. Die Korrupten würden unter der neuen Führung der Staatsanwaltschaft nicht mehr straffrei ausgehen. Deshalb hätten sie ein Interesse daran, dass Petro abgesetzt wird.

Menschenrechtsorganisationen wie die Koordination Kolumbien Europa USA kritisieren, dass die Ermittlungen und Prozesse gegen Korruption unter Barbosa nicht vorangekommen seien.