Freihandelsabkommen mit EU: Mercosur lehnt Umweltauflagen als zu hart und unausgewogen ab

Zusatzkapitel geleakt. Umweltorganisationen kritisieren "Lippenbekenntnisse" und unrealistische Maßnahmen bei Klimaschutz und Menschenrechten

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Abgeholzte Bäume im Amazonas
Auch das Freihandelsabkommen mit der EU gefährdet die Umwelt in den Mercosur-Staaten wie hier im Amazonas

Brüssel. Auf der Suche nach neuen Handelspartnern jenseits von Russland und China arbeitet die Europäische Union daran, die Ratifizierung des umstrittenen EU-Mercosur-Assoziierungsabkommens wieder in Gang zu bringen.

Nach den Präsidentschaftswahlen in Brasilien haben die Gespräche seit Jahresbeginn einen neuen Schub bekommen. Unter anderem soll mit einer Zusatzvereinbarung, die verbindliche Regeln zur Nachhaltigkeit und zum Schutz von Menschenrechten gewährleisten soll, die Blockade von einzelnen EU-Ländern und Umweltorganisationen aufgelöst werden.

Die Europäische Kommission verhandelt derzeit hinter verschlossenen Türen mit den vier Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. In einer Zusatzerklärung zum bestehenden Handelsteil des Abkommens sollen die Regelungen zum Schutz von Umwelt, Klima und der indigenen Bevölkerung verbessert werden. Der schon 2019 ausgehandelte Vertrag selbst soll unberührt bleiben.

Nach den Plänen der Kommission soll noch bis Juli dieses Jahres eine politische Vereinbarung zwischen beiden Seiten erreicht werden.

Auch Brasilien und Argentinien wünschen sich eine schnelle Einigung mit der EU, wollen jedoch einige Punkte nachverhandeln. So sind Brasiliens Präsident Lula da Silva und Argentiniens Alberto Fernández unter anderem darüber besorgt, dass kleine und mittelständische Unternehmen in ihren Ländern bei öffentlichen Ausschreibungen unter der starken Konkurrenz aus der EU leiden könnten. Im Wahlkampf hatte Lula die Reindustrialisierung Brasiliens und Argentiniens als Priorität für eine Neuverhandlung des Abkommens betont: "Wir wollen unser Recht, uns zu reindustrialisieren, nicht aufgeben. Die Verhandlungen müssen etwas sein, bei dem alle gewinnen".

Um die Verhandlungen voranzutreiben, trafen sich Anfang März beide Seiten in Buenos Aires. Auf einen Entwurf zum Zusatzkapitel aus Brüssel, in dem neue rechtsverbindliche Umweltstandards zum Abkommen gefordert werden, reagierte der Mercosur-Block nicht erfreut. Verhandlungsführer bezeichneten den europäischen Text als "hart, ehrgeizig und unausgewogen", da die neuen Regelungen über die in der Vergangenheit vereinbarten Grundsätze hinausgingen. Die Zusatzerklärung der EU biete Schlupflöcher für protektionistische Maßnahmen, etwa indem Zölle erhöht und der Zugang zum europäischen Markt für Produkte wie Rindfleisch gesperrt oder eingeschränkt werde.

Währenddessen werfen zivilgesellschaftliche Organisationen nach einem Leak von Dokumenten zur Zusatzvereinbarung der EU-Kommission "Greenwashing" vor.

Einer Pressemitteilung der Umweltorganisation PowerShift zufolge, die amerika21 vorliegt, biete diese "vor allem Lippenbekenntnisse", die nicht ausreichten, "die Abholzung, den Klimawandel oder Menschenrechtsverletzungen effektiv zu bekämpfen". Das Abkommen werde "einen Handel fördern, der auf der Ausbeutung natürlicher Rohstoffe, der Vertiefung wirtschaftlicher und sozialer Ungleichheiten und der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen beruht".

Die vorgeschlagenen Maßnahmen zum Klimaschutz seien "weder realistisch noch ausreichend". Die Zusatzvereinbarung lege beispielsweise zu Emissionsreduktion fest, dass sich die Länder an ihre 2019 festgelegten Beiträge (NDC) zum Pariser Klimaabkommen halten sollen. Dabei verstärke das Abkommen eben jene Aktivitäten, die die Abholzung und den Ausstoß von klimaschädlichen Emissionen verstärken, so die Kritik.

Mit steigenden Exporten von Agrarprodukten wie Soja und Rindfleisch in die EU wird der Entwaldungsdruck, vor allem im brasilianischen Amazonasgebiet und dem Cerrado, vermutlich weiter zunehmen (amerika21 berichtete). Zum Waldschutz heißt es im geleakten Anhang zum Handelsteil, dass "die EU und der Mercosur ein Zwischenziel für die Verringerung der Entwaldung um mindestens 50 Prozent gegenüber dem derzeitigen Stand bis 2025 festlegen".

Die Frage, wie die Einhaltung von vereinbarten Umwelt- und Nachhaltigkeitsstandards überwacht werden kann, ist für die Akzeptanz des Abkommens in Europa entscheidend. Das weiß auch die EU-Kommission, will aber auf Sanktionsmechanismen verzichten, wenn vereinbarte Ziele und Standards nicht eingehalten werden. Stattdessen will sich die EU auf "partnerschaftliche Überwachungsmöglichkeiten" verständigen. Beispielsweise könnten mit Hilfe von bestehenden Satellitensystemen die Kontrollmöglichkeiten lokaler Behörden im Amazonas und Cerrado weiter ausgebaut werden.

Ferner kritisieren die Organisationen fehlende Transparenz und Partizipation der Zivilgesellschaft bei der Aushandlung des Abkommens, während Automobil- und Agrarlobbyisten einbezogen werden. So "wurde die Zivilgesellschaft bisher sowohl in der EU als auch im Mercosur aus den Verhandlungen über das Abkommen ausgeschlossen. Erst ein Leak hat den Verhandlungsstand der Öffentlichkeit zugänglich gemacht", heißt es in der Pressemitteilung.

Auch die Fraktion der Partei Die Linke im Bundestag kritisierte in einem jüngsten Antrag, dass eine unverbindliche Zusatzvereinbarung nicht ausreiche, um Arbeits-, Umwelt- und Menschenrechtsstandards und insbesondere die Rechte der indigenen Bevölkerung zu gewährleisten.

Die Parlamentarier fordern die Bundesregierung auf, der Unterzeichnung des Abkommens nicht zuzustimmen und sich gegenüber dem Rat und der Kommission dafür einzusetzen, dass der Ratifizierungsprozess gestoppt werde.

Dass es zu einem Verhandlungsstopp kommt, scheint zum jetzigen Zeitpunkt unwahrscheinlich. Um das Assoziierungsabkommen schnell durchzubekommen, plant die EU-Kommission offenbar, den Handelsteil des Abkommens vom politischen Teil abzuspalten. Dieser Kniff würde es ihr erlauben, den Vertrag mit Zustimmung des EU-Parlaments in Kraft zu setzen, ohne dass die Parlamente der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten das Abkommen absegnen müssen.

Die Linke fordert daher in ihrem Antrag, dass sich die Bundesregierung dafür einsetzt, den Handelsteil nicht getrennt von dem Rest des Abkommens zu behandeln und so dafür zu sorgen, dass neben dem Rat der Europäischen Union und dem Europäischen Parlament auch alle nationalen Parlamente über ein gänzlich neu verhandeltes Abkommen entscheiden.