Venezuela / Wirtschaft

Venezuela: Milliardenverluste im Ölsektor durch Missmanagement und Korruption

Hochrangige Funktionäre sollen über drei Milliarden US-Dollar Staatsgelder veruntreut haben. Mehr als 20 Festnahmen. Neuer Ölminister ernannt

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Präsident Maduro mit dem neuen Ölminister Tellechea
Präsident Maduro mit dem neuen Ölminister Tellechea

Caracas. Die staatliche venezolanische Ölgesellschaft PDVSA hat Berichten zufolge seit 2020 über 20 Milliarden US-Dollar an entgangenen Einnahmen angehäuft, weil sie aufgrund der Blockade Washingtons mit unzuverlässigen Zwischenhändlern Geschäfte zur Verteilung von Rohöl gemacht hat.

Eine Prüfung der PDVSA-Verträge hat ergeben, dass nur 16 Prozent der Ölverkäufe in den letzten drei Jahren Bargeld eingebracht haben und zwischen Januar 2020 und März 2023 wurden nur 4,08 Milliarden Dollar an Zahlungen von insgesamt 25,27 Milliarden aus den Exporten bestätigt. Dies geht aus internen Dokumenten hervor, welche die Nachrichtenagentur Reuters einsehen konnte.

Die übrigen 21,2 Milliarden Dollar sind unbezahlte Rechnungen, darunter auch ein offener Saldo aus Swap-Vereinbarungen mit dem langjährigen Partner Iran, der über verschiedene Austauschmechanismen beglichen werden sollte. Seit 2020 hat Teheran PDVSA als Gegenleistung für venezolanische Schwerölladungen mit Kondensat, Rohöl und anderen Betriebsmitteln sowie Technikern versorgt, um die Produktion anzukurbeln.

Geschätzte 3,6 Milliarden Dollar sind möglicherweise unwiederbringlich durch nicht erfasste Exporte verloren. Interne PDVSA-Quellen sagen, dass die Geschäftsleitung unbekannten Tankern die Ausfahrt aus dem Land gestattet hat, ohne dass es offizielle Zahlungen gab. In einigen Fällen wurden die Zahlungspapiere nicht in das Vertragsverwaltungssystem des Staatsunternehmens aufgenommen.

Die Geschäfte mit unzuverlässigen Zwischenhändlern sind Folge der Finanzsanktionen, dem Exportembargo und den sekundären Zwangsmaßnahmen, die Washington seit 2017 gegen Venezuelas Ölindustrie verhängt hat. Von den internationalen Märkten ausgeschlossen, wandte Caracas sich zunächst an den langjährigen Partner Rosneft, um die Produktion anzukurbeln und die Ladungen an ihren endgültigen Bestimmungsort umzuleiten. Dies wurde jedoch gestoppt, als das US-Finanzministerium das russische Mineralölunternehmen Anfang 2020 mit sekundären Sanktionen belegte.

Da die US-Blockade etablierte Handelspartner vertrieb, musste die Regierung von Präsident Nicolás Maduro auf kleinere oder unerfahrene Zwischenhändler zurückgreifen, um das Rohöl mit großen Preisnachlässen auf den asiatischen Märkten zu platzieren. Das hat zu zahlreichen Zahlungsverzögerungen und ebenso zu Korruptionsfällen bei PDVSA geführt.

Zwar hat die Regierung es bislang nicht bestätigt, die nicht erfassten 3,6 Milliarden Dollar von Tankern, die ohne zu bezahlen abgereist sind, könnten mit den drei Milliarden Dollar zusammenhängen, die aus den öffentlichen Kassen des Landes geplündert wurden, wie eine aktuell durchgeführte Korruptionsermittlung ergab. Dabei wurden vergangene Woche mehrere hochrangige Personen verhaftet. Darunter sind der ehemalige Vizepräsident für Versorgung und Handel von PDVSA, Antonio Pérez Suárez, und 20 weitere Führungskräfte, die für ihn arbeiteten, sowie Samuel Testamarck, Generaldirektor der PDVSA-Sparte PDV Marina, die für Vertrieb und Transport auf dem Seeweg zuständig ist.

Nach den Verhaftungen gab die Plattform des Bauernkampfes (Plataforma de Lucha Campesina) bekannt, dass organisierte Kleinbauernfamilien vier Landgüter in der Region Sur del Lago im Bundesstaat Zulia besetzt haben, die Pérez Suárez gehören. "Präsident Nicolás Maduro, das mobilisierte Volk gibt dir seine volle Unterstützung im Kampf gegen die Korruption", heißt es in ihrem Tweet.

Am Montag reichte Ölminister Tareck El Aissami seinen Rücktritt ein und erklärte, dass er "den Prozess voll und ganz unterstützen" werde. Sein Schritt folgte der Verhaftung von zwei engen Mitarbeitern: Hugbel Roa, Abgeordneter der Vereinigten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV), und Joselit Ramírez, Leiter der Nationalen Aufsichtsbehörde für Kryptowährungen (Sunacrip), wegen ihrer mutmaßlichen Beteiligung an Korruptionsfällen. El Aissami selbst wird bisher nicht beschuldigt.

Maduro akzeptierte den Rücktritt und ernannte am Dienstag den Präsidenten von PDVSA, Pedro Tellechea, zum neuen Ölminister.

Tellecheas erste Maßnahme an der Spitze von PDVSA bestand Anfang Januar darin, die meisten Öl- und Treibstoffexporte auszusetzen, um die Kaufverträge neu zu verhandeln, nachdem er eine ganze Reihe von Zahlungsausfällen von Käufern entdeckt hatte. Dies ließ die Alarmglocken läuten wegen der abgeschöpften Gelder.

Er hat strengere Regeln für die Ausfuhren festgelegt: Nun müssen Vorauszahlung geleistet werden, bevor Tanker mit venezolanischem Öl oder Treibstoff in See stechen und Partner bei Swap-Abkommen müssen Waren und Dienstleistungen im Voraus liefern.

Venezuela produziert derzeit 700.000 Barrel pro Tag (bpd). Das Land musste unter den US-Sanktionen einen drastischen Rückgang seiner Produktion von 1,9 Millionen bpd Mitte 2017 auf weniger als 350.000 in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 hinnehmen. Im vergangenen Jahr beliefen sich die Öleinnahmen auf schätzungsweise 4,7 Milliarden Dollar ‒ fünf Jahre zuvor waren es 56 Milliarden.