Tod eines Industriellen befeuert in Argentinien die Debatte um unternehmerische Verantwortung

Großunternehmer Blaquier starb im Alter von 95 Jahren und entging Anklage wegen Beteiligung an Verbrechen der Diktatur. Zehn Jahre verschlepptes Verfahren

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Mutter von Carlos Alberto Díaz, Verschwundener aus Jujuy, bei einer Protestaktion. "Gesucht: Völkermörder in Zivil - Carlos Pedro Blaquier"
Mutter von Carlos Alberto Díaz, Verschwundener aus Jujuy, bei einer Protestaktion. "Gesucht: Völkermörder in Zivil - Carlos Pedro Blaquier"

Buenos Aires. Rund um den Tod des Unternehmers Carlos Pedro Blaquier ist in Argentinien eine Diskussion um die Verstrickung der Privatwirtschaft in die Verbrechen der zivil-militärischen Diktatur (1976-1983) entbrannt. Blaquier, der vorige Woche im Alter von 95 Jahren starb, gilt als Symbol für die Straflosigkeit der zivilen Komplizen der Militärs aus den Reihen des Unternehmertums.

Blaquier war seit 1970 Haupteigentümer und Vorstandsvorsitzender der Gruppe Ledesma in der nördlichen Provinz Jujuy. Ursprünglich Zuckerproduzent, entwickelte sich Ledesma unter ihm zu einem der größten Agrarunternehmen Argentiniens. Neben verschiedenen Lebensmittelprodukten stellt es auch Papier und Schreibwaren sowie Biokraftstoff her.

Bereits seit Diktaturzeiten existieren Hinweise und Aussagen, die die Verstrickung des Unternehmens bei der Entführung, Folterung und dem Verschwindenlassen von Personen bezeugen.

Im Juli 1976, wenige Monate nach dem Militärputsch, kam es in der Provinz Jujuy zu mehreren Stromausfällen. Die Militärs nutzen die Situation, um rund 400 Personen aus dem regionalen Umkreis des Firmensitzes von Ledesma im Ort Libertador General San Martín zu entführen, zu foltern und zum Teil zu ermorden. 55 Personen sind bis heute "verschwunden". Listen mit Namen von Gewerkschaftern sollen von der Unternehmensführung an das Militär weitergegeben, Lastfahrzeuge der Firma für Entführungen eingesetzt und Entführte auf dem Betriebsgelände inhaftiert und gefoltert worden sein. Die Opfer waren mehrheitlich politische und gewerkschaftliche Aktivistinnen und Aktivisten aus der Region, darunter auch zahlreiche Mitglieder der Unternehmensbelegschaft.

Seit 2012 war Carlos Blaquier, damals noch Vorstandsvorsitzender, deshalb gemeinsam mit seinem Verwalter Alberto Lemos mit zwei gerichtlichen Untersuchungsverfahren konfrontiert (amerika21 berichtete). Ihm wurde die Beteiligung an der Entführung und illegalen Inhaftierung von insgesamt 23 Personen zur Last gelegt. 2013 wurde die Verfahrenseröffnung durch ein Bundesgericht in der Nachbarprovinz Salta bestätigt. Das Verfahren sollte außerhalb von Jujuy geführt werden, da dort ein zu großer Einfluss des Unternehmens auf Justiz und Politik befürchtet wurde.

2015, einige Monate vor dem Amtsantritt des neoliberalen Präsidenten Mauricio Macri, ließ das zuständige Kassationsgericht in einem allgemein als ungewöhnlich gedeuteten Schritt die Verfahren gegen Blaquier jedoch aus Mangel an Beweisen einstellen. Staatsanwaltschaft und private Nebenkläger legten dagegen Einspruch ein, worauf der Fall an das Höchstgericht ging. Dieses ließ sich mit seiner Entscheidung weitere sechs Jahre Zeit.

Kritiker sahen den von Präsident Macri ernannten Höchstrichter Carlos Rosenkrantz für die Verzögerung hauptverantwortlich, da dieser familiäre und persönliche Beziehungen zum Unternehmen Ledesma hat. Erst im Juli 2021 wurde die Verfahrenseinstellung durch das Kassationsgericht höchstinstanzlich widerrufen. Die Verteidigung Blaquiers versuchte daraufhin das Verfahren aufgrund dessen vermeintlich schlechten Gesundheitszustands zu blockieren. Weiteren Entscheidungen kam nun der Tod Blaquiers zuvor.

Am Tag danach erschienen in den großen konservativen Tageszeitungen des Landes zahlreiche wohlwollende Artikel sowie Kondolenzanzeigen von Personen und Organisationen des öffentlichen Lebens. Die meisten gingen mit keinem Wort auf die laufenden Untersuchungen und damit verbundenen Anschuldigungen ein. Allein die größte Tageszeitung Argentiniens, La Nación, veröffentlichte an fünf Tagen in Folge insgesamt 383 Traueranzeigen "zu Ehren" von Blaquier.

Ex-Präsident Macri, selbst einer der großen argentinischen Unternehmerfamilien entstammend, schrieb in einem Tweet bewundernd: Blaquier "war einer der wichtigsten Unternehmer des Landes und eine Aushängeschild der Agrarindustrie." Auch Macris Parteikollege und Bürgermeister von Buenos Aires, Horacio Rodríguez Larreta, verabschiedete "Carlos Pedro mit inniger Zuneigung".

Der Staatssekretär für Menschenrechte Horacio Pietragalla Corti twitterte dagegen: "Der straflose Tod des Inhabers Carlos Blaquier wirft erneut Licht auf die Verantwortung der Justiz für schwerwiegende Verzögerungen, die verhinderten, dass der Unternehmer wegen Verbrechen gegen die Menschheit angeklagt wird."

Hugo Yaski, Vorsitzender des Gewerkschaftsbundes CTA, urteilte: Blaquiers "Komplizenschaft mit der zivil-militärischen Diktatur konnte nie verhandelt werden, weil ihn die Justizmafia immer wieder verteidigte." Myriam Bregman, Kongressabgeordnete für das Linksbündnis FIT nannte Blaquier ein "Beispiel jener Großunternehmer, die von dem völkermörderischen Putsch profitierten und die in ihren eigenen Unternehmen geheime Folterzentren unterhielten."

Neben seinen Verstrickungen in die Diktaturverbrechen bewegte sich Blaquier auch sonst immer wieder am Rande oder jenseits der Legalität. 2013 zeigte ihn die argentinische Untersuchungsbehörde für Finanzdelikte wegen mutmaßlicher Geldwäsche an. 2016 wurde er im Rahmen des als Panama Papers bekannten Dokumentenleaks als einer von Hunderten argentinischen Eigentümern anonymer Off-Shore-Unternehmen identifiziert. Und 2022 wurde öffentlich, dass Blaquier Stammkunde eines als "Yogaschule" getarnten illegalen Nobelbordells war, in denen vulnerable Frauen sexuell ausgebeutet wurden. Gegen dessen Verantwortliche läuft derzeit ein Untersuchungsverfahren wegen Menschenhandels und Gründung einer verbrecherischen Organisation.