Proteste gegen Regierung in Peru: Erneut massive Polizeigewalt bei landesweitem Streik

Zahl der Todesopfer auf 54 gestiegen. Straßenblockaden in ganz Peru. Polizei geht mit Tränengas und Gummigeschossen gegen Demonstrierende vor

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 "La toma de Lima": Menschen aus allen Teilen Perus protestieren in der Hauptstadt gegen die Regierung
 "La toma de Lima": Menschen aus allen Teilen Perus protestieren in der Hauptstadt gegen die Regierung

Lima. Die Proteste gegen die Regierung von Interimspräsidentin Dina Boluarte in Peru haben einen neuen Höhepunkt erreicht. Der größte Gewerkschaftsbund (CGTP) hat zum landesweiten Streik aufgerufen und seit Donnerstag versammeln sich Menschen aus allen Teilen des Landes in der Hauptstadt, um unter dem Motto "La toma de Lima" (Die Einnahme von Lima) gegen die Amtsenthebung von Präsident Pedro Castillo und für Neuwahlen zu demonstrieren. Landesweit wurden 145 Straßenblockaden registriert.

Wie in den Wochen zuvor waren die Proteste der vergangenen Tage von massiver Repression seitens der Polizei und zahlreichen verletzten und getöteten Demonstrant:innen gekennzeichnet. Boluarte drohte in einer Ansprache den Protestierenden "mit der ganzen Härte des Gesetzes" und verkündete, dass sie nicht zurücktreten werde.

Die Einsatzkräfte gingen mit Tränengas und Gummigeschossen gegen die Protestteilnehmer:innen in Lima vor, wobei mindestens 18 Personen teils schwer verletzt wurden. Eine Gruppe von Demonstrierenden versuchte, zum Regierungspalast zu gelangen, wurde jedoch von der Polizei zurückgedrängt.

Der Journalist Jaime Herrera beschrieb das Vorgehen der Polizei: Die Menschen "marschierten friedlich und die Polizei hat ohne jeden Grund begonnen, Tränengasgranaten zu werfen. Als die Demonstranten die Polizeiabsperrung sahen, hielten sie an, sie versuchten nicht einmal näher heranzukommen".

Eine dieser Granaten ist möglicherweise die Ursache für den Brand in einem Gebäude in der Nähe des zentralen Platzes San Martín. Der Besitzer des Hauses beschuldigt die Polizei, sie habe Tränengasgranaten auf das Dach geworfen, kurz danach sei das Feuer entfacht. Als Protestierende versuchten, vor den Flammen zu flüchten, wurden sie von den anwesenden Polizisten zurückgedrängt. In einer anschließenden Pressekonferenz betonte Innenminister Vicente Romero, dass die Einsatzkräfte keine Schuld an dem Brand tragen würden. 

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"Rattennest - Dieser Kongress vertritt mich nicht": Die Protestierenden fordern die Schließung des Parlaments und Neuwahlen
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In vielen Städten des Landes solidarisieren sich die Menschen mit den Märschen in Lima. Auch Studierende aus unterschiedlichen Regionen haben sich den Protesten angeschlossen. An der Nationaluniversität San Marcos haben zudem Mitglieder der Universitätsgewerkschaft (FUSM) einen Teil der Universität "in Solidarität" mit den Protesten besetzt. Von ähnlichen Aktionen wurden auch aus der Nationalen Universität für Ingenieurwissenschaften berichtet.

Bereits vergangenes Wochenende machten sich Tausende Mitglieder der indigenen Gemeinschaften sowie sozialer und gewerkschaftlicher Organisationen auf den Weg in die Hauptstadt. Sie kündigten an, so lang in der Stadt zu bleiben, bis Boluarte zurücktrete. Viele der Angereisten berichteten von willkürlichen Straßensperren und Ausweiskontrollen durch die Polizei.

Knapp 50.000 Menschen sollten für den zweiten "Marcha de cuatro Suyos" (Marsch der vier Regionen) mobilisiert werden, um die Forderungen nach sofortigen Wahlen und Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung zu bekräftigen. Der "Marsch der vier Regionen" ist eine historische Referenz und bezieht sich auf den Protest im Jahr 2000, als Tausende Menschen in Lima gegen die Wiederwahl des Diktators Alberto Fujimori protestierten

Neben Polizeischikanen haben die Protestierenden auf ihrem Weg nach Lima auch viel Solidarität erlebt: "Wir sind dankbar für all die Liebe, die uns in jeder Stadt entgegengebracht wurde. Wir werden sie nicht im Stich lassen. Wir kehren erst zurück, wenn Dina Boluarte zurücktritt. Sie hat uns ignoriert. Sie hat uns gedemütigt. Jetzt wird sie die Stärke der Aymara kennenlernen", sagte José Colque Mamani, einer der angereisten Anführer:innen einer Aymara-Gruppe.

Die Protestwelle begann am 7. Dezember letzten Jahres, als Pedro Castillo aus dem Amt entfernt und verhaftet wurde, nachdem er die Schließung des Parlaments verfügt und einen verfassungsgebenden Prozess für eine neue Magna Carta gefordert hatte.

Seitdem kommt es in fast allen Regionen Perus zu Massenprotesten, die von den Sicherheitskräften gewaltsam unterdrückt werden. 54 Menschen starben, mehrere hundert wurden verletzt und inhaftiert. Die Regierung Boluarte verlängerte mittlerweile den Ausnahmezustand in Lima, Cusco, Callao, Puno, Amazonas, La Libertad und Tacna um 30 Tage und ermächtigte neben der Polizei auch das Militär einzugreifen, um die Proteste einzudämmen.