Historischer kleinbäuerlicher Gipfel in Kolumbien mit Unterstützung der Regierung

Breite Beteiligung. Auch Dissens einiger Organisationen zu Aspekten der Landreform der Regierung. Lobende Worte des EU-Botschafters

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Eine bäuerliche Bewegung, die Druck für essenzielle Reformen ausübt und sie mitträgt, ist laut Präsident Petro notwendig
Eine bäuerliche Bewegung, die Druck für essenzielle Reformen ausübt und sie mitträgt, ist laut Präsident Petro notwendig

Bogotá. Zum ersten Mal in der Geschichte Kolumbiens hat ein Treffen zwischen allen kleinbäuerlichen Organisationen des Landes stattgefunden. Rund 2.500 ihrer Delegierten tagten drei Tage lang in der Universidad Nacional in Bogotá über ihre Ansätze zu den Agrarproblemen des Landes. Die "Convención Nacional Campesina" (Nationale Kleinbäuerliche Tagung) wurde von der Regierung von Gustavo Petro und Verbänden der Kleinbauernschaft einberufen.

Ziel des Gipfels sei, so Petro bei der Eröffnung, der Stimme der Bauernschaft, die jahrzehntelang gewaltsam zum Schweigen gebracht wurde, in der kolumbianischen Gesellschaft Gewicht zu verleihen. Eine bäuerliche Bewegung, die Druck für essenzielle Reformen ausübt und sie mitträgt, sei notwendig.

Der Staatschef verwies auf Probleme der traditionellen Ernährungspolitik ‒ wie der wachsende Hunger ‒ bei deren Lösung die Landwirt:innen eine zentrale Rolle spielten. Es sei ein Fehler, dass dem Markt da freie Hand beispielsweise durch Freihandelsabkommen gelassen wurde. "Ein besonderer Schutz der Lebensmittelproduktion durch den Staat, das ist was wir wollen".

Die extreme Landkonzentration von 80 Prozent der Ländereien in den Händen von nur 3.000 Großgrundbesitzer:innen, die sie größtenteils unproduktiv lassen, sei "anachronistisch und irrational". Ein erster Schritt zu einer "friedlichen Agrarreform" sei das Abkommen mit dem Viehzüchterverband, um diesem drei Millionen Hektar abzukaufen.

Unter den hunderten teilnehmenden Gruppen befanden sich langjährig engagierte Organisationen wie die Coordinador Nacional Agrario (Nationale Agrarkoordination, CNA), die kleinbäuerlichen Verbände Fensuagro und Anuc, die Organisation für kleinbäuerliche Sonderzonen (Anzorc), sowie regionale Verbände wie der für den Südwesten (Pupsoc), für die Landwirte der Región Catatumbo (Ascamcat) oder für die Región Cimitarra (ACVC).

Von Seiten der Regierung waren mehrere Minister:innen und Angehörige der Regierungskoalition im Kongress bei den Sitzungen der Vollversammlung des Gipfels anwesend.

Die Tagungsteilnehmenden bildeten Arbeitsgruppen, um Vorschläge zu vier Hauptthemen zu diskutierten: Strukturelle Agrarpolitik, Rechte und Anerkennung der Kleinbäuer:innen, Gemeinwohlpolitik für den Nationalen Entwicklungsplan und Entwürfe zur Nutzung des Bodens.

Viele der Forderungen und Vorschläge stehen im Einklang mit den Regierungsplänen. Zu der langen Liste gehören unter anderem der Bau von Straßen zwischen den Landbezirken und den Kreisstädten, die Zuteilung von fruchtbaren Ländereien, die Ersetzung der privaten Zwischenhändler:innen von Lebensmitteln durch den Staat oder durch Landwirtschaftsorganisationen, die Stärkung der Rolle der Frauen in der Agrarpolitik, die Unterstützung einer kooperativen Ökonomie, günstige Kredite und Technologietransfer für Kleinlandwirt:innen.

Zu einigen Punkten der Landpolitik der Regierung Petro haben einige Organisationen allerdings Dissens bekundet. So kritisierte die CNA die Fokussierung der Regierung auf die "Integrale Landreform" (Reforma Agraria Integral, RRI), die Teil des im Jahr 2016 unterschriebenen Friedensvertrags mit der demobilisierten Farc-Guerilla ist. Die RRI sei unzureichend "gegenüber den historischen Bedürfnissen der Kleinbauernschaft", so die CNA.

Während diese Reform eine Umverteilung von drei Millionen Hektar verspricht, fordert die CNA zehn Millionen Hektar. Diese Zahl sei erforderlich, wenn das Problem des Hungers mit einer inländischen Lebensmittelproduktion angegangen werden solle, sagte die CNA-Vertreterin Joana Pinzón. Nach Petros Angaben gebe es in Kolumbien 20 Millionen Hektar an fruchtbarem Boden, doch nur auf 2,5 Millionen davon werden Lebensmittel produziert.

Die CNA erachten den geplanten Kauf von drei Millionen Hektar von Fedegán (amerika21 berichtete) durch den Staat nicht als positiv. Dem Viehzuchtverband werden in Kolumbien Verbindungen mit Paramilitärs und Landraub vorgeworfen. Die Nationale Agrarkoordination befürchtet, dass der Staat öffentliche Mittel dafür einsetzt, durch Gewalt angeeignete Ländereien zu kaufen. Sie fordert deshalb eine staatliche Überprüfung der zu kaufenden Grundstücke und Aufsichtsorgane der Kleinbäuer:innen beim Kaufprozess.

Die Organisationen des Dachverbands CNA schlagen stattdessen eine Integrale populare Agrarreform (Reforma Agraria Integral y Popular) vor. Sie soll "über kapitalistische Produktionsformen hinausgehen" und Formen des kollektiven Landbesitzes priorisieren. Dazu gehören Formen der autonomen Selbstverwaltung, wie sie schon seit Jahren in den "Bäuerlichen Gebieten der Agrar- und Ernährungswirtschaft" (Territorios Campesinos Agroalimentarios) praktiziert werden.

Außerdem forderte die CNA die Regierung auf, Landbesetzer:innen nicht mehr als "Invasoren" zu bezeichnen. Im September hatten das Agrar- und das Verteidigungsministerium Gruppen von Indigenen und Kleinbäuer:innen ein Ultimatum gestellt, damit sie Landbesetzungen beenden. In einigen Fällen haben die lokalen Regierungen die Polizei gegen sie eingesetzt. Später hat die Regierung durch Dialoge den Konflikt deeskaliert.

Innenminister Alfonso Prada sagte bei der Tagungsklausur, dass die Regierung Antworten auf alle Forderungen und Vorschläge vorbereiten wird. Vorerst könne sie aber zu einigen Punkten bereits Zusagen machen. Die Kleinbäuer:innen werden als "Rechtssubjekte" laut der Definition der Vereinten Nationen anerkannt. Die entsprechenden Änderungen in der Verfassung werden im Kongress bald verabschiedet.

Das Innenministerium wird außerdem eine Koordinationsstelle einrichten, die als "Instanz des permanenten Dialogs" zwischen der Regierung und einer Vertretung der kleinbäuerlichen Verbände fungieren wird.

Einer der internationalen Teilnehmer bei der Klausur war der Botschafter der Europäischen Union, Gilles Bertrand. "Die EU will hiermit die beispiellose organisatorische und politische Arbeit dieser Tagung loben", sagte er. Sie habe die volle Unterstützung der Europäischen Union.