Brasilien / Umwelt

Brasilien: Bolsonaro beendet Amtszeit mit Rekordanstieg der Entwaldung im Amazonas

Umweltministerium verbarg Abholzungsdaten für 2022 vor UN-Klimakonferenz. Lulas Team kündigt "starken und sofortigen" Rückgang der Waldzerstörung an

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"Bolsonaro hat das Land mit einer Abholzungsrate von 7.500 km2 im Amazonasgebiet übernommen und übergibt es nun mit 11.500 km²", sagte der Exekutivsekretär der Klimabeobachtungsstelle, Marcio Astrini.
"Bolsonaro hat das Land mit einer Abholzungsrate von 7.500 km2 im Amazonasgebiet übernommen und übergibt es nun mit 11.500 km²", sagte der Exekutivsekretär der Klimabeobachtungsstelle, Marcio Astrini.

Brasília. Die Regierungszeit des abgewählten Präsidenten Jair Bolsonaro endet mit einer historischen Zunahme der Entwaldung im Amazonasgebiet. In vier Jahren deregulierte Bolsonaro wie kein anderer die Gesetze für Umweltschutz und schwächte er die Umweltpolitik. Ende November veröffentlichte das Nationale Institut für Weltraumforschung (Inpe) die jährlich mit Spannung erwartete Schätzung der Entwaldungszahlen für das Jahr 2022. Den offiziellen Daten aus dem Prodes-Satellitensystem zufolge wurde in den zwölf Monaten zwischen August 2021 und Juli 2022 insgesamt 11.568 km² Wald zerstört, eine Fläche so groß wie Jamaika.

Trotz eines Rückgangs um 11 Prozent im Vergleich zum Vorjahr ist der diesjährige Wert einer der höchsten der letzten 13 Jahre. Während der Vierjahresdurschnitt der Abholzung für den Zeitraum 2015 bis 2018 unter den Regierungen Dilma Roussef (PT) und Michel Temer (PMDB) bei 7.145 km² lag, stieg er in vier Jahren Bolsonaro (2019 - 2022) auf 11.396 km² - der größte relative Anstieg in einer Regierungsamtszeit seit Beginn der Satellitenmessungen im Jahr 1988.

Obwohl die Inpe-Daten der Regierung bereits seit dem 3. November, also vor der Weltklimakonferenz (COP27) in Ägypten vorlagen, hielt das Umweltministerium (MMA) laut dem Klimaobservatorium OC die Daten bis Ende der Konferenz zurück, um sich kritischen Fragen der internationalen Öffentlichkeit zu entziehen. Umweltminister Joaquim Leite reiste somit, wie schon im Vorjahr bei der COP26 in Glasgow, mit dem Wissen um die Daten zur UN-Konferenz und unterband im offiziellen Pavillon Brasiliens jegliche Debatte über die Abholzung des Waldes. Gouverneure des Amazonasgebiets, die das Thema diskutieren wollten, mussten auf der COP einen eigenen Stand einrichten.

2022 zeigen die Entwaldungsdaten erstmals in der Bolsonaro-Ära einen leichten Rückgang um 11 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, wenngleich die Waldzerstörung in allen Bundesstaaten des brasilianischen Amazonasgebiets weiterhin auf einem hohen Niveau bleibt. In acht von neun Bundesstaaten ging die Abholzung zurück, nur im Amazonas-Bundesstaat stieg sie um 13 Prozent auf 2.607 km². Trotz eines Rückgangs um 21 Prozent auf 4.141 km² führt wie schon in den vergangenen Jahren Pará die Spitze der Entwaldungsrangliste unter den Bundesstaaten an.

Als Gründe für die weiterhin hohen Rodungsdaten sehen Experten des OC neben dem konsequenten Abbau von Umweltkontrollen und Strafen auch den geplanten Ausbau der Autobahn BR-319 von Manaus nach Porto Velho, die durch das größte zusammenhängende Gebiet intakter Wälder im Amazonasgebiet führen wird. Im Juli erteilte die Bolsonaro-Regierung entgegen der Ratschläge eines Expertengutachtens der Bundesumweltbehörde Ibama eine vorläufige Genehmigung für die Bauarbeiten.

Sollten die Bauarbeiten umgesetzt werden, droht sich eine Tragödie wie an der BR-163 (Cuiabá-Santarém) im Bundesstaat Pará zu wiederholen. Die Autobahn wurde zu Beginn des Jahrtausends zum Epizentrum der Abholzung, nachdem der Bau der Straße angekündigt worden war.

Marcio Astrini, Exekutivdirektor des OC warnt davor, dass sich die Situation nach Bolsonaros Abgang weiterhin verschlimmern könnte. Denn der Kongress plant noch vor dem Regierungswechsel bis Jahresende eine Reihe von Gesetzen zu verabschieden, die als "Zerstörungspaket" bekannt sind. Das Paket sieht unter anderem eine Amnestie für Landraub vor und zielt darauf ab, Umweltlizenzen abzuschaffen.

Indessen kündigte die Arbeitsgruppe Umwelt vom Übergangsteam des designierten Präsidenten Lula da Silva, die von Ex-Umweltministerin Marina Silva (Rede) geleitet wird, bei einer Pressekonferenz am 30. November an, dass die neue Regierung die Entwaldung bereits im ersten Quartal 2023 "stark und unmittelbar" reduzieren werde.

Um dieses Ziel zu erreichen, soll das Personal der Umweltbehörde Ibama wieder aufgestockt werden. Bolsonaros Regierung hatte die personellen Kapazitäten der Ibama drastisch gekürzt, was auch dazu führte, dass die Behörde deutlich weniger Mittel für Umweltkontrollen einsetzen konnte. Allein 2021 konnte die Umweltkontrollbehörde nur 41 Prozent ihrer verfügbaren Mittel (219 Millionen Real) ausgeben. Auch das Budget für die Bekämpfung von Waldbränden, das unter Bolsonaro von 54 auf 38 Millionen Real gesunken ist, soll gesichert werden.

Carlos Minc, ehemaliger MMA-Minister und Teil der Arbeitsgruppe sagte bei der Pressekonferenz, dass es auch notwendig sein werde, Dekrete zu widerrufen, die die Anwendung von Umweltstrafen behindern. Unter anderem will die neue Regierung zunächst jene Dekrete aufheben, welche die Kontrolle von Holzexporten verhindern. "Wir haben mit dem Sojasektor gesprochen, um einen Pakt für nachhaltige Sojabohnen im Cerrado zu schließen", erklärte Aloizio Mercadante (PT), Koordinator aller Arbeitsgruppen des Übergangsteams.

Um das von Lula gesteckte "Null-Entwaldung"-Ziel und eine nachhaltige Entwicklung im Amazonasgebiet zu verwirklichen, setzt seine Expertengruppe für Umweltfragen auf den Ausbau der Bioökonomie. Die Wiederherstellung des Aktionsplans zur Verhinderung und Kontrolle der Entwaldung im legalen Amazonasgebiet (PPCDAm) werde dafür eine zentrale Rolle spielen, kündigte Marina Silva an, die als Ministerin für Umweltfragen erneut Lulas Kabinett bekleiden könnte. Der PPCDam, mit dessen Hilfe die Regierungen Lulas (2003 - 2011) die Entwaldung um 70 Prozent senkten, wurde 2019 von Bolsonaro auf Eis gelegt.

Eine weitere Strategie, um die Abholzung im Amazonas zu senken, wird die Bereitstellung von Einkommensalternativen für die 35.000 Bergleute sein, die alleine in indigenen Schutzgebieten an illegalen Aktivitäten beteiligt sind. So könnten durch die Aufforstung von 12 Millionen Hektar Wald bis zu 260.000 neue "grüne" Arbeitsplätze geschaffen werden, erklärte Silva.

Lulas Umweltberaterin und ehemalige Umweltministerin, Izabella Teixeira kritisierte, dass "alle Zahlen, die wir [von der Regierung Bolsonaros] erhalten, oft nicht wahr sind". Mercadante sprach mit Blick auf das Umweltministerium nur ironisch: "Es gibt ein Ministerium, das sich darauf spezialisiert hat, den Schwarzen Peter weiterzugeben, aber große Schwierigkeiten hat, Informationen weiterzugeben".