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Chile: Präsident Boric legt eine lang erwartete Rentenreform vor

Dreigleisiges System mit Beiträgen von Arbeitnehmern, Arbeitgebern und Staat vorgesehen. Parlamentsmehrheit für Überwindung der privaten Rentenfonds fraglich

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Die Rentenreform gehört zu den Schwerpunkten der Regierung Boric
Die Rentenreform gehört zu den Schwerpunkten der Regierung Boric

Santiago. Chiles Präsident Gabriel Boric hat die lange erwartete Rentenreform vorgestellt. Er bearbeitet damit einen wichtigen Teil seines Regierungsprogramms, das eine nachhaltige Verbesserung des Rentensystems auf die Agenda gesetzt hat. Eine Reform in diesem Bereich gilt als ebenso nötig wie deren Verwirklichung sich kompliziert gestalten wird.

Bis 1980 existierte in Chile ein Solidarsystem, welches per Gesetz von Diktator Augusto Pinochet durch private Rentenfonds, AFP (Administradora de Fondos de Pensiones, Verwaltung für Rentenfonds) mit individuellem Konto ersetzt wurde. Die investierten Rentenbeiträge spielten im neoliberalen Wirtschaftssystem eine große Rolle als Quelle von Finanzierungen.

Das privatisierte System versprach den Versicherten eine Rente von etwa 70 Prozent ihres letzten Einkommens. Die Wirklichkeit sieht indes anders aus.

Niedrige Löhne, lange Ausfallzeiten wegen Arbeitslosigkeit und bei Frauen zusätzlich durch Schwangerschaft und Betreuung von Familienangehörigen ergeben nach einem langen Arbeitsleben gerade einmal im Durchschnitt eine selbstfinanzierte Rente von 258.000 Pesos (280 Euro). Im Vergleich dazu liegt der Mindestlohn für 18- bis 65-Jährige inzwischen bei 400.000 Pesos (ca. 440 Euro).

Die staatlichen Solidarrenten garantieren ein für den Lebensunterhalt unzureichendes Mindesteinkommen zwischen 50.000 und 180.000 Pesos (ca. 55 - 200 Euro).

Um die durch Arbeitslosigkeit verursachten Einkommensverluste während der Pandemiejahre 2020 und 2021 aufzufangen, wurde den Versicherten in diesem Zeitraum dreimal erlaubt, jeweils zehn Prozent ihrer Renteneinlagen mit einem jeweiligen Mindestbetrag abzuheben. Wenn der Kontostand nicht ausreichte, wurde der Betrag aufgestockt. Dadurch blieben etwa zwei Millionen Menschen keine Rentenbeiträge mehr.

Eine oft erhobene Forderung, die privaten Rentenfonds vollständig durch ein staatliches Solidarsystem zu ersetzen, ist derzeit nicht durchsetzbar. Die AFP verwalten aktuell etwa 150 Milliarden US-Dollar, die fast komplett in Wertpapieren und Aktien angelegt sind. Im Parlament gäbe es keine Mehrheit für Maßnahmen, die dieses Kapital umschichten.

Die von Präsident Boric angekündigte Reform verspricht nun über die Einrichtung eines gemischten Systems eine merkliche Verbesserung der Renten. Die Gleichstellung der Frauen soll vorangebracht werden, indem Schwangerschaft sowie Betreuungszeiten angerechnet werden.

Im Einzelnen sollen diese Regeln gelten: Der Beitrag der Beschäftigten in Höhe von zehn Prozent des Einkommens geht weiterhin auf ein individuelles Konto, wobei zwischen einem privaten und neu zu gründenden staatlichen Anleger gewählt werden kann.

Schrittweise werden vom Arbeitgeber sechs Prozent des Einkommens auf ein Versicherungskonto einbezahlt. Aus diesem Fonds werden aktuelle und zukünftige Minirenten aufgestockt. Jedem Arbeitnehmer kommt auf jeden Fall, entsprechend geleisteten Arbeitsjahren und einbezahlen Beiträgen, daraus etwas zugute.

Das bisher bestehende staatliche System für Mindestrenten bleibt bestehen. Einzug und Verwaltung der Rentenbeiträge bzw. Auszahlung der Renten übernimmt eine staatliche Stelle.

Die AFP werden in der jetzigen Form verschwinden, können jedoch weiterhin, zusammen mit neuen Anbietern, nach entsprechenden Richtlinien die Beiträge auf dem Kapitalmarkt anlegen, um dort Gewinne zu erzielen.

Das neue System soll nach den Berechnungen die Kontoführungskosten senken und allein daraus den effektiven Rentenbeitrag um etwa 0,5 Prozent erhöhen.

Nächste Woche soll das Reformpaket dem Parlament zur Beratung vorgelegt werden. Die Diskussion darum ist jedoch jetzt schon hitzig im Gange. Die Eigentümer der AFP, fünf von sieben sind internationale Finanzkonzerne, lehnen die Reform ab. Sie fürchten um ihre Gewinne, in den ersten drei Quartalen des Jahres 2022 immerhin 324 Millionen US-Dollar.

Konservative Kreise verteidigen entschieden das individuelle System und kündigen an, die Rentenreform scheitern zu lassen, wenn der sechsprozentige Arbeitgeberbeitrag nicht vollständig auf das individuelle Konto angerechnet wird. Einen Vorschlag, wie die Minirenten der heutigen und zukünftigen Rentenempfänger aufgestockt werden sollen, bleiben sie allerdings schuldig.