US-Delegation in Haiti, massive landesweite Proteste gegen ausländische Intervention

Explosive Situation im Land. Regierung wartet auf Militärhilfe, die von einer großen Mehrheit abgelehnt wird. Cholera breitet sich weiter aus

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Zu großen Protesten im ganzen Land hat die Forderung nach ausländischer Militärintervention geführt
Zu großen Protesten im ganzen Land hat die Forderung nach ausländischer Militärintervention geführt

Port-au-Prince. Nach der Forderung der amtierenden, aber nicht gewählten Regierung von Haiti nach einer ausländischen Militärintervention hat eine hochrangige US-Delegation das krisengeschüttelte Land besucht.

Unter Leitung des Staatssekretärs für die westliche Hemisphäre, Brian A. Nichols, sprachen die Gesandten mit dem amtierenden Präsidenten Ariel Henry und Geschäftsleuten.

Zudem fanden Treffen mit Vertretern verschiedener gesellschaftlicher Organisationen statt, laut Nichols "um die dringende Notwendigkeit zu erörtern, den Ausbruch der Cholera und die Treibstoffblockade zu bekämpfen, die die humanitäre Hilfe behindern." Alle Beteiligten müssten dringend "einen Konsens über ein Abkommen finden, das zu mehr Sicherheit, Wahlen und Wohlstand für alle Haitianer führt", schrieb er auf Twitter.

Der Delegation gehörte neben Funktionären aus dem Weißen Haus und dem Pentagon auch der stellvertretende Kommandant des United States Southern Command Andrew Croft an. Das Southcom ist das für Lateinamerika und die Karibik zuständige Regionalkommandozentrum der US-Streitkräfte und verantwortlich für die Koordination und Führung aller militärischen Operationen der USA in der Region.

Unmittelbar nach dem Kabinettsbeschluss, der Henry autorisierte, die internationale Gemeinschaft um Militärhilfe zu ersuchen, kam es in mehreren Städten Haitis zu massiven Demonstrationen, die seinen Rücktritt forderten und sich gegen jegliche Militärintervention von außen richteten. Unter Parolen wie "Weg mit Ariel, weg mit den Verrätern, keine Besatzung, keine Intervention" und "Haltet die Waffen bereit, die Revolution beginnt", füllten die Menschen die Straßen.

Die Polizei setzte laut Medienberichten Tränengas und scharfe Munition ein. In Cap Haitien eröffnete die Polizei das Feuer auf den Demonstrationszug. Dabei kam der 29-jährige Straßenhändler Frantz Jacques ums Leben, vier Menschen erlitten Schussverletzungen. Protestierende griffen daraufhin Unternehmenssitze an und verwüsteten die Filiale der Unibank.

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Nichols mit zwei Mitgliedern der Monatana-Gruppe, die "Militärhilfe" strikt ablehnt
Nichols mit zwei Mitgliedern der Monatana-Gruppe, die "Militärhilfe" strikt ablehnt

Vertreter der Montana-Gruppe ‒ ein seit über einem Jahr bestehendes breites Bündnis vieler zivilgesellschaftlicher Akteure und Akteurinnen ‒ machten den US-Delegierten ebenfalls ihre Ablehnung weiterer Militär- und Polizeieinsätze in Haiti deutlich. Sie verwiesen auf die katastrophalen Folgen früherer Einsätze und erklärten, die chaotische Situation in Haiti hänge sehr stark "mit der internationalen Bevormundung des Staates und der Einführung eines Wirtschaftssystems, das auf Renten, Korruption und der kriminellen Gewalt der Korruption beruht" zusammen.

Um das "Klima des Terrors, das von bewaffneten Gruppen ungestraft verbreitet wird", dauerhaft zu beenden, müssten die Sicherheits- und nationalen Institutionen gestärkt werden. Das Bündnis befürwortet daher technische und logistische Hilfe, um die Nationale Polizei zu stärken. Zwingend erforderlich sei jedoch "eine politische Lösung, die auf einen radikalen Bruch der Verbindungen zwischen den politischen Mächten, dem mafiösen Wirtschaftssektor und den bewaffneten Banden abzielt."

Die Montana-Gruppe hatte Anfang August beschlossen, nach wochenlangen Gesprächen die Verhandlungen mit der amtierenden Regierung auszusetzen. Als Grund nannten sie deren fehlenden "echten Willen", einen breiten Konsens zur Lösung der sozialen und politischen Krise zu erzielen.

Auch mehrere Gewerkschaften und Interessensverbände, etwa von ehemaligen Soldaten, erklärten ihre strikte Ablehnung einer Intervention. "Wir fordern das Volk auf, wachsam zu bleiben und die Mobilisierungen gegen jede Form der Besetzung fortzusetzen", heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme von Gewerkschaften.

In Haiti breitet sich unterdessen die Cholera weiter aus. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums vom Donnerstag sind 18 Menschen in Kliniken daran gestorben, während 32 weitere positiv getestet wurden. 215 Personen, die ins Krankenhaus eingeliefert wurden, wiesen Symptome der Krankheit auf. Zudem gibt es 266 Verdachtsfälle, ein Viertel davon betrifft laut WHO Kinder unter fünf Jahren. Neun Todesfälle, zwei bestätigte Cholerainfektionen und 39 weitere Verdachtsfälle wurden im Gefängnis von Port-au-Prince gezählt.

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USCG Cutter Northland der US-Küstenwache patrouilliert mit in der Nähe von Port-au-Prince
USCG Cutter Northland der US-Küstenwache patrouilliert mit in der Nähe von Port-au-Prince

Auch begründet mit dem Cholera-Ausbruch hat der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, die Internationale Gemeinschaft und den UN-Sicherheitsrat aufgefordert, die "sofortige Entsendung einer internationalen Spezialtruppe zur Bewältigung der humanitären Krise" in Haiti in Betracht zu ziehen. Die haitianische Regierung hatte ihr Gesuch auch direkt an ihn gerichtet.

Außenminister Antony Blinken kündigte am Mittwoch Sanktionen in Form von Visabeschränkungen gegen Mitglieder bewaffneter Gruppen an. Als "zusätzliches Zeichen der Entschlossenheit und Unterstützung des haitianischen Volkes" wurde eines der größten Schiffe der US-Küstenwache entsandt, um auf Ersuchen Henrys vor der Küste von Port-au-Prince zu patrouillieren, so eine Pressemitteilung des Außenministeriums.

Unterdessen verhandelt die Regierung Henry weiter mit der Föderation der G-9-Gruppen, die seit dem 12. September das zentrale Treibstoffdepot des Landes blockiert. Wie Jean Rebel Dorcénat, Präsident der Nationalen Kommission für Entwaffnung und Wiedereingliederung, am Donnerstag informierte, fordern sie die Rücknahme der Preiserhöhung für Kraftstoffe, eine Amnestie und die Beteiligung an der Regierungsbildung. Dorcénat erklärte, er verhandle mit ihnen, um die Einrichtung eines humanitären Korridors zur Versorgung von Krankenhäusern und anderen wichtigen Einrichtungen zu ermöglichen. Sie ließen sich offenbar nicht von der Forderung der Regierung nach internationalen Truppen zu ihrer Bekämpfung beeindrucken, so der Funktionär.