Mercedes Benz streicht in Brasilien kurz vor den Wahlen 3.600 Stellen

Gewerkschaft reagiert mit Streik. Solidaritätsaktionen von IG-Metall-Gruppen in Deutschland angekündigt. Entlassungen seien Folge von Bolsonaros neoliberaler Politik

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Tausende Metallarbeiter:innen protestierten gegen Entlassungen im Werk von Mercedes Benz bei São Paulo
Tausende Metallarbeiter:innen protestierten gegen Entlassungen im Werk von Mercedes Benz bei São Paulo

São Paulo. Mercedes Benz Brasilien will 3.600 Beschäftigte entlassen. Demnach sollen 2.200 feste und 1.400 zeitweilig beschäftigte Arbeiter:innen ihren Job verlieren, kündigte die lokale Konzernleitung Anfang September an. Die Entlassungen betreffen das LKW- und Buswerk in São Bernardo do Campo im Süden der Metropole São Paulo und machen mehr als ein Drittel der 10.400 Beschäftigten des Werkes aus.

Das Unternehmen hofft, die festangestellten Metaller:innen mit Abfindungen zur freiwilligen Kündigung zu bewegen und wird die Verträge der zeitweilig Beschäftigten nicht verlängern. Die Produktion soll überwiegend an Unternehmen in der Nachbarschaft des Werkes ausgelagert werden.

Mercedes Benz Brasilien begründet die Entlassungen mit den schlechten Verkaufserwartungen für LKW im kommenden Jahr. Dann gelten schärfere Abgasgrenzen, die Euro 6, was die Produktionskosten erhöhe. Diese will der Hersteller an die Käufer:innen weitergeben und erwartet deshalb für 2023 einen Absatzeinbruch. Der Konzern rechnet aber damit, dass viele Transport- oder Reiseunternehmen den Kauf von Fahrzeugen in dieses Jahr vorziehen werden.

Gegen den Kahlschlag in der Belegschaft hat die Gewerkschaft der Metallarbeiter:innen (Sindicato dos Metalúrgicos do ABC, SMABC) mit einem Streik reagiert und den neuen Unternehmensvorstand zu Verhandlungen gezwungen. "Die Arbeitsniederlegung soll der neuen Leitung zeigen, dass sie mit uns verhandeln muss, bevor sie Streichungen ankündigt", erklärte der Gewerkschaftsvorsitzende Moisés Selerges vor Tausenden Metallarbeiter:innen am 8. September.

Der 42-jährige Deutsche Achim Puchert hatte Anfang des Jahres die Leitung des Autokonzerns in dessen weltweit größtem Absatzmarkt für LKW und Busse übernommen. Zuvor hatte Puchert sich einen Namen gemacht, indem er verschiedene Standorte stärker vernetzte und die Montage in kleinere Einheiten aufteilte. Gewerkschaften sehen in dieser Arbeitsteilung die Strategie, die Produktion der bestehenden Standorte an billigere auszugliedern und so die Beschäftigten der Standorte gegeneinander ausspielen zu können.

Auch im Werk São Bernardo hat der Konzern jüngst die Produktion für 2,4 Milliarden Reais, etwa 450 Millionen Euro, modernisiert, um die Motoren auf die neue Emissionsgrenze umzustellen. Nach dem erwarteten Nachfragerückgang zu Beginn 2023 könnte sich der Verkauf zum Ende des Jahres jedoch normalisieren und der Bedarf an Arbeitskräften wieder steigen.

Der Gewerkschaftsführer Selerges kritisierte die Beschäftigungspolitik von Mercedes Benz als "irrational". "Noch in der letzten Woche stellten sie Leute ein. Und nun kündigen sie an, dass sie wieder entlassen werden. Das ist doch nicht logisch, nicht rational", so Selerges.

Unterstützung erhielten die Streikenden vom Gewerkschaftsverband CUT. Dessen Generalsekretär in São Paulo, Daniel Calazans, führte die angekündigten Entlassungen auf die neoliberale Wirtschaftspolitik der Bundesregierung unter Jair Bolsonaro zurück. Diese setze sich nicht für den Erhalt der Arbeitsplätze ein.

In Deutschland solidarisierten sich etliche Daimler Benz-Beschäftigte und Mitglieder der IG-Metall mit ihren brasilianischen Kolleg:innen. "Wir verurteilen die Entlassungen. Überall wird versucht, die Auswirkungen der Weltwirtschafts- und Finanzkrise im Zusammenspiel mit der Corona-Krise und des Ukraine-Krieges auf die Belegschaften abzuwälzen", heißt es in einem Rundschreiben der IG-Metall-Vertrauensleute des Schwesterwerks von Daimler Truck in Wörth. Den Widerstand aufzunehmen und für die Zukunft zu kämpfen, sei richtig. Auch die Mannheimer Soli-Gruppe der IG-Metall, die seit den 1980er-Jahren enge Kontakte mit den Metaller:innen in São Bernardo do Campo pflegt, kündigte weitere Solidaritätsaktionen in Deutschland an.

Das größte LKW-Montagewerk von Mercedes-Benz Trucks außerhalb Deutschlands wurde 1956 eröffnet. In dem Werk werden alle brasilianischen Mercedes-Benz LKW-Modelle wie Accelo, Atego, Atron und Axorund Actros sowie deren Aggregate, das heißt Motoren, Achsen und Getriebe, dazu Busfahrwerke, also Chassis, hergestellt.