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Größte Hafenstadt von Ecuador im Ausnahmezustand

Nach Anschlag rückt organisiertes Verbrechen in den Fokus der Ermittlungen und der politischen Debatte. Guayaquil als Drehscheibe für den internationalen Drogenhandel

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In diesem Jahr wurden in Ecuador bis Juni knapp 90 Tonnen Kokain konfisziert
In diesem Jahr wurden in Ecuador bis Juni knapp 90 Tonnen Kokain konfisziert

Guayaquil. Nach einer schweren Explosion im Süden der Millionenstadt Guayaquil hat Ecuadors Präsident Guillermo Lasso den Ausnahmezustand verhängt. Bei dem Sprengstoffanschlag Anfang vergangener Woche mit vorhergehenden Schüssen vor einer Diskothek im Viertel Cristo del Consuelo kamen fünf Menschen ums Leben und 17 wurden verletzt.

Indizien deuten auf eine Verbindung zum organisierten Verbrechen hin. So wurde eines der Opfer, ein wegen Rauschgiftdelikten vorbestraftes Bandenmitglied, von Innenminister Patricio Carrillo als potenzielles Ziel des Anschlags ausgemacht. Die Ermittlungen dauerten aber an und sollten in alle Richtungen weitergeführt werden. Die Sicherheitsbehörden haben in diesem Zusammenhang sieben Verdächtige festgenommen.

Doch die Stadt kommt nicht zur Ruhe. Trotz der verstärkten Militär- und Polizeipräsenz gab es am Dienstag im Stadtteil Flor de Bastión eine Schießerei, bei der drei Menschen ums Leben kamen und zur kontrollierten Sprengung eines mit einem Hula-Hoop-Reifen getarnten Sprengsatzes im Süden der Stadt.

Die Bürgermeisterin von Guayaquil, Cynthia Viteri, hatte auf Twitter einen offenen Brief an Lasso veröffentlicht, in dem sie anprangerte, dass die kriminellen Banden parallele staatliche Strukturen ‒ einen "Staat im Staat" ‒ gebildet hätten und die Hafenstadt mit einer Welle der Gewalt überziehen. Sie warf der Regierung, in deren Kompetenz das Thema Sicherheit falle, mangelnde Unterstützung der örtlichen Sicherheitskräfte und Versagen bei der Umsetzung der "harten Hand" gegen das organisierte Verbrechen vor.

Diese Politik hatte Lasso in sein Wahlprogramm aufgenommen und reagierte auf Viteris Vorwürfe mit der Aufforderung, in der Sache zusammenzuarbeiten und anzuerkennen, dass "der gemeinsame Feind […] der Drogenterrorismus ist".

Die neue Eskalation der Gewalt reiht sich ein in die gewaltsamen Auseinandersetzungen in ganz Ecuador, bei denen auch Repräsentanten der staatlichen Justiz zunehmend in das Visier von Auftragsmördern geraten. Am Dienstag wurde in Babahoyo in der Provinz Los Rios der Staatsanwalt Federico Estrella mit sechs Schüssen ermordet. In diesem Jahr kam es nach Angaben der Polizei bereits zu 2.647 Gewaltverbrechen mit Todesfolge, 75 Prozent werden dem Drogenhandel zugeschrieben. Zum Vergleich: im gesamten Jahr 2020 waren es 1.300 Tötungsdelikte.

Wie viel Kokain das Land verlässt, ist schwer einzuschätzen, jedoch wurden in diesem Jahr bis Juni knapp 90 Tonnen Kokain konfisziert, das sind lediglich 30 Tonnen weniger als im gesamten Jahr 2020. 46 Prozent aller Exporte des Landes laufen über den Hafen von Guayaquil.

Einen Grund für den massiven Anstieg der Drogenkriminalität vermutet der Ex-Heereschef von Ecuador, Javier Pérez, in der Demobilisierung der Farc-Guerilla und dem Rückzug aus den von ihr kontrollierten Gebieten, die ein Machtvakuum im kolumbianischen Hinterland hinterlassen hätten. In dieses Machtvakuum, mit dem Zentrum der Kokainproduktion im Grenzgebiet zu Ecuador, seien in der Folge verschiedene kriminelle Organisationen gestoßen und nutzten nun die nahen Schmuggelwege über die ecuadorianischen Häfen, hauptsächlich Guayaquil. Seit dem Friedensabkommen 2016 ist der Koka-Anbau in Kolumbien nach Angaben der Vereinten Nationen um 17 Prozent gestiegen.

Für den politisch angeschlagenen Präsidenten sind die aktuellen Ereignisse, nach dem durch Indigenenverbände initiierten Generalstreik im Juni (amerika 21 berichtete), ein weiterer Rückschlag für seine neoliberale Politik. Nach etwas über einem Jahr im Amt sind seine Umfragewerte ohnehin auf einem Rekordtief. Es verwundert wenig, dass Regierungsminister Francisco Jiménez nun eine Volksabstimmung mit Schwerpunkt auf das Thema Sicherheit angekündigt hat, um weitere Maßnahmen der Regierung dadurch zu legitimieren.