Washington/Managua. Der Ständige Rat der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) hat bei einer Sondersitzung die "Lage in Nicaragua" erörtert. Im Zentrum einer von Antigua und Barbuda vorgelegten Resolution stand der Vorwurf der religiösen Verfolgung mit Angriffen auf die katholische Kirche und einer von Präsident Daniel Ortega ausgeübten Zensur gegenüber deren Medien. Die Resolution war im Vorfeld von Kanada, Chile, Costa Rica, den USA, Peru und Uruguay unterstützt worden.
Die OAS-Entschließung verurteilt die Einschränkungen für religiöse Organisationen sowie die Schließung von Nichtregierungsorganisationen. Weiter fordert sie von der Regierung Ortega, alle politischen Gefangenen unverzüglich freizulassen, die Verfolgung und Einschüchterung der unabhängigen Presse einzustellen und die Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung zu gewährleisten.
An der Sitzung nahm kein Vertreter der Regierung von Nicaragua teil, da sie schon im November letzten Jahres "wegen der ständigen Einmischungen in innere Angelegenheiten" durch die OAS ihren Austritt angekündigt und im April 2022 vollzogen hatte,
Am 1. August hatte die Polizei Nicaraguas informiert, dass sieben katholischen Radiosender aus der Diözese Matagalpa geschlossen werden sollen und gegen den Bischof Rolando Álvarez ermittelt wird, weil er "Hass geschürt" und gewalttätige Gruppen organisiert habe, die "Hassakte gegen die Bevölkerung" verübt hätten. Schon während der Unruhen 2018 gehörte Álvarez zu den aktivsten Kritikern von Präsident Ortega. Nachdem Weihbischof Silvio Báez auf Anraten des Vatikans Nicaragua verlassen hatte, war Álvarez immer mehr zum wichtigsten Vertreter der kirchlichen Politisierung geworden.
Das Verhältnis zwischen der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) und der katholischen Amtskirche war in der Vergangenheit meist schwierig. Während der Zeit der Revolution (1979 bis 1989) traten die Bischöfe als Anhänger von Kardinal Ratzingers Position gegen die Theologie der Befreiung auf. Ganz praktisch standen sie den US-finanzierten Contras oft näher als der Revolution. Erst 2007, mit der Rückkehr der Sandinisten an die Macht, wurde ein "Waffenstillstand" zwischen dem Klerus und der FSLN ausgehandelt.
Die damaligen Absprachen zwischen FSLN und Kirche sahen beispielsweise die Renovierung, den Bau und die Verschönerung von Kirchen, Kathedralen, Plätzen und Parks vor. Das von Kirchen geforderte Abtreibungsverbot wurde ins Gesetz aufgenommen, aber es folgen keine Anklagen deshalb. Außerdem wurden kirchennahe Vertreter in Institutionen wie den Obersten Wahlrat gewählt.
Von feministischen Organisationen wurde die Nähe von Kirche und Staat schnell kritisiert, die Gefahr eines traditionellen Rollenbildes in der Gesellschaft und eine fehlende Förderung von Frauen wurde thematisiert. Auch von vielen Vertreter:innen der deutschen Solidaritätsbewegung mit Nicaragua wurde die Zusammenarbeit von Amtskirche und FSLN sehr negativ beurteilt.
Seit dieser Zeit hat sich im politischen Gefüge Nicaraguas vieles verändert. Vertreter eines immer noch konservativen Klerus in Nicaragua kämpfen neben Nichtregierungsorganisationen und mit US-Unterstützung gegen die sandinistische Regierung. Die Regierung Ortega ihrerseits versucht, deren Einfluss auf die Veränderungen im Land möglichst gering zu halten. Gleichzeitig punktet sie mit Bildung, Gesundheit und einer Frauenparität auch im parlamentarischen System.
Parallel dazu verliert die katholische Kirche auch auf Grund ihrer Politisierung immer mehr Mitglieder. Laut einer Umfrage von M&R Consultores verstanden sich im Juli nur noch 34,8 Prozent der Bevölkerung als Katholiken. Die 65,2 Prozent Nicht-Katholiken schlüsselten sich in 36,8 Prozent Protestanten, 27,5 Konfessionslose und 0,9 als Nicht-Gläubige auf.
Vor diesem Hintergrund rief der Beobachter des Vatikans bei der OAS, Monsignore Juan Antonio Cruz Serrano, die am Konflikt in Nicaragua Beteiligten auf, Wege der Verständigung zu finden, die auf Respekt und gegenseitigem Vertrauen beruhen und vor allem das Gemeinwohl und den Frieden anstreben.