Bolivien / Politik

Streit um Volkszählung in Bolivien: Rechte Opposition kündigt Streik in Santa Cruz an

Alte Interessengegensätze entzünden sich erneut. Gouverneur der wirtschaftsstärksten Region mobilisiert gegen Vorhaben der Zentralregierung

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Die tonangebende Gesellschaft von Santa Cruz will ihre Interessen bei der Volkszählung gewahrt sehen
Die tonangebende Gesellschaft von Santa Cruz will ihre Interessen bei der Volkszählung gewahrt sehen

La Paz. Angesichts des von der Regierung auf 2024 verschobenen nationalen Zensus droht der ultrarechte Gouverneur von Santa Cruz, Luis Fernando Camacho, seine Region ab Montag für 48 Stunden bestreiken zu lassen. Camacho bekräftigt damit seine vergangenen Samstag auf einem Treffen mit Vertretern von Institutionen aus Santa Cruz geäußerte Forderung, die Volkszählung bereits 2023 abzuhalten.

Präsident Luis Arce hatte nach Absprache mit den zuständigen Behörden den für den 16. November angesetzten Zensus auf Mitte 2024 verschieben lassen. Grund hierfür sei, "dass die Volkszählung absolut technisch, verantwortungsbewusst und fernab jeglicher politischer Interessen durchgeführt werden muss."

Das Departamento Santa Cruz ist die wirtschaftsstärkste Region Boliviens und gilt als geschäftliches Zentrum. Seit mit den Amtsperioden von Evo Morales, des ersten indigenen Präsidenten, der indigenen Bevölkerungsmehrheit im Lande stärkere Geltung zuteil wurde, haben sich die Konflikte zwischen Repräsentanten von Santa Cruz und der Zentralregierung gehäuft. Das erzkonservative "Pro Santa Cruz"-Komitee, ein Zusammenschluss von Wirtschaftseliten aus dem wohlhabenden Tiefland im Osten Boliviens, spielte beim Putsch gegen die Regierung Morales 2019 eine zentrale Rolle.

Während Camacho notfalls sogar eine eigene Auszählung in seinem Departamento durchführen lassen möchte, positionieren sich große Teil der Gewerkschaften und Bürgervereinigungen auf Seiten des Präsidenten. Sowohl der Nationale Verband der Bergbaugenossenschaften (Fencomin) als auch die linke Basisbewegung Pacto de Unidad (Pakt der Einheit) werfen der rechtskonservativen Opposition eine bewusste Politisierung des Zensus vor und befürchten massive streikbedingte Wirtschaftsschäden. Der Vizepräsident der Vereinigung von Gemeinden in Santa Cruz (Amdecruz), Pedro Damián Dorado, spricht gar vom "Mechanismus eines neuen Staatsstreichs" und betont zudem das Fehlen indigener Repräsentant:innen sowie jeglicher Vertreter:innen der Provinzen und Gemeinden unter den Bürgerkomitees rund um Camacho.

Camacho und seinen Anhänger:innen geht es beim Streit um den Zensus vor allem um finanzielle Vorteile und politische Einflussnahme im zentralistisch regierten Andenstaat. Denn die alle zehn Jahre stattfindende Volkszählung dient vor allem der Ermittlung der Einwohnerzahl sowie anderer Parameter für die Festsetzung von Steuern, Geldern und Parlamentssitzen für die Regionen. Santa Cruz lag bei der letzten Zählung 2012 nur knapp hinter der Hauptstadtregion La Paz und weist zudem mit Santa Cruz de la Sierra mittlerweile die bevölkerungsreichste Stadt Boliviens auf.

Als Reaktion auf die anhaltende Kritik und angesichts des drohenden Streiks in Santa Cruz trafen sich am Donnerstag erneut Vertreter:innen des Nationalen Instituts für Statistik (INE) und die Bürgermeister:innen der neun Hauptstädte der Regionen, um einen klaren Zeitplan der weiteren regionalen Treffen im Vorfeld des Zensus zu beschließen. Offen bleibt allerdings, ob Camacho als Gouverneur von Santa Cruz dem Treffen Mitte August beiwohnen wird. Einem ähnlichen von der Regierung einberufenen Treffen zwischen der INE und den jeweiligen Gouverneuren Ende Juli blieb er als einziger fern. Ebenso ungewiss ist, ob und wie die angekündigten Streiks in Santa Cruz durchgeführt werden.

Erst zum Ende letzten Jahres kam es zu einer Konfrontation zwischen der Zentralregierung und dem Comité pro Santa Cruz. Ein Gesetz, das von der Regierung als Instrument zur Bekämpfung unter anderem von Steuerhinterziehung und Geldwäsche vorgestellt worden war, wurde von der Opposition als Angriff auf das Privateigentum und "wirtschaftlicher Totalitarismus" angeprangert. Die Regierung zog seinerzeit das Gesetz zurück (amerika21 berichtete).