Kolumbien / Politik

Kolumbien vor der Stichwahl: Anzeigen nach Spionageskandal gegen Pacto Histórico

Petro macht Regierung verantwortlich. Pläne für "Diskreditierungskampagne" bereits 2021 bekannt. Kontrahent nennt Pacto Histórico eine "kriminelle Bande"

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Gustavo Petro forderte die Zeitschrift Semana auf, alle Aufzeichnungen ungeschnitten zu veröffentlichen
Gustavo Petro forderte die Zeitschrift Semana auf, alle Aufzeichnungen ungeschnitten zu veröffentlichen

Bogotá. Der Sprecher der Wahlkampagne des Pacto Histórico (PH), Alfonso Prada, hat bei der Generalstaatsanwaltschaft Strafanzeige wegen des illegalen Abhörens der internen Kommunikation des progressiven Bündnisses erstattet. Durch die regierungsnahe Zeitschrift Semana gelangten Videos von Treffen des PH in die Öffentlichkeit, die heimlich aufgenommen worden waren. Laut dem Präsidentschaftskandidaten des Linksbündnisses, Gustavo Petro, seien Meetings des Wahlkampfs neun Monate lang aufgezeichnet worden.

Das Führungsmitglied des Pacto Histórico, Roy Barreras, verglich die Videos mit dem Watergate-Skandal von 1974, in dem der damalige US-Präsident Richard Nixon den Wahlkampf der Demokratischen Partei ausspionierte und daraufhin zurücktreten musste. Das Einzige, was die Aufnahmen deutlich machten, sei, so Barreras, dass die Kampagne "ausspioniert und unterwandert wurde, was ein Verbrechen ist". Dies sei in der Geschichte der kolumbianischen Politik beispiellos. "Es ist wie Watergate".

Petro stritt ab, dass die Quelle von Semana ein "reuiges Mitglied" seiner Bewegung Colombia Humana (Menschliches Kolumbien, CH) sei, wie die Zeitschrift versichert. Da die Videos Bildschirmaufzeichnungen sind, müssen sie von externen Personen gemacht worden sein, die sich heimlich in die interne Meeting-Plattform von CH eingeloggt haben. Die Plattform selbst ließe das Aufzeichnen der Telekonferenzen nicht zu.

Die Meetings seien von unterschiedlichen technischen Teams im Laufe der neun Monate betreut worden. Es sei für eine einzige Person allein unmöglich, über diesen ganzen Zeitraum die Treffen aufgezeichnet zu haben, erklärte Petro. Der linke Politiker soll Hinweise darauf haben, dass Angehörige der Nationalen Polizei dahinter steckten.

Petro, der in aktuellen Umfragen die Nase vorn hat, erklärte außerdem, dass Semana "verzweifelt" über den Anstieg der Umfragewerte sei. "Sie veröffentlichten lediglich Beweise dafür, dass wir illegal aufgezeichnet wurden. Von wem? Die gleichen Leute, die ihnen die Aufnahmen gegeben haben: Die Regierung."

Bereits im September 2021 hatte der linksgerichtete Senator Iván Cepeda über einen Überwachungsplan gegen das progressive Bündnis informiert, der für eine Diskreditierungskampagne gegen PH-Führungsmitglieder im Gang war. "Influencer, Journalisten, Medienvertreter“ sowie Social Media Manager und "Mitglieder des staatlichen Geheimdienstes", die dem ultrarechten Ex-Präsidenten Álvaro Uribe nahe standen, sollen an einer "Kommunikationsoffensive" gearbeitet haben, die laut einer anonymen Quelle vor den Präsidentschaftswahlen eingesetzt werden sollte.

Tatsächlich hat Semana die Videos, die in der Medienlandschaft für großen Aufruhr sorgten, als Zeichen der "zerstörerischen Schmutzkampagne“ gegen Petros Kontrahenten bewertet. Darin ist beispielsweise Barreras zu sehen, als er Angriffstaktiken gegen die Ex-Kandidaten der "politischen Mitte" Sergio Fajardo und Alejandro Gaviria sowie gegen den rechten Ex-Präsidentschaftsanwärter Federico Gutiérrez beschreibt. Nach den Reaktionen der Medien ist Barreras aus der Wahlkampagne des Pacto Histórico zurückgetreten.

Wegen der Videos hat Gutiérrez eine Strafanzeige gegen die Wahlkoalition Petros beim Obersten Gerichtshof eingereicht. "Kolumbien kann nicht in die Hände von Gustavo Petro und seiner kriminellen Bande fallen", sagte der Ex-Kandidat.

Auch der als "kolumbianischer Trump" bezeichnete Kandidat Rodolfo Hernández nannte den Pacto Histórico eine "kriminelle Bande". Er sagte während seines Wahlkampfs bei der kolumbianischen Diaspora in Miami, dass er wegen der Videos Angst um sein Leben habe.

In den letzten Wochen wurden über alte und neue Äußerungen von Hernández, der sich als Korruptionsbekämpfer präsentiert, berichtet. Unter anderem hatte er die Existenz eines Gerichtsprozesses gegen ihn abgestritten und die Mitarbeitenden der Justiz kritisiert, obwohl gegen ihn ein Verfahren wegen Korruption läuft.

Petro sieht mit den Aufnahmen die politischen Rechte der Mitglieder seines Bündnisses verletzt. Er klagte, dass einige Videos manipulativ geschnitten worden seien. "Zur Verteidigung der Rechte aller unserer Mitglieder, ist es das Beste, dass alle Bürger Zugang zu den stundenlangen Aufnahmen haben sollten, damit sie ihre eigenen Schlüsse ziehen können", twitterte Petro. "Sie werden sehen, ob ich bei meinen Treffen je auch nur ein Schimpfwort sage. Sie werden die Qualität der Vorschläge unserer tausend Kämpfer sehen", betonte er.

Inzwischen ermittelt die als regierungsnah geltende Staatsanwaltschaft, ob sich in den aufgezeichneten Treffen Verstöße gegen das Gesetz von Seiten des Pacto Histórico finden lassen. Bezüglich der Illegalität der Aufzeichnungen bleibt das Justizorgan offenbar jedoch untätig.