Kolumbien / Politik

Neue Umfragen in Kolumbien: Der "kolumbianische Trump" überholt den linken Petro

Geteilte Meinungen zu Wahlprognosen. Hernández sagt Nein zu den Allianzen mit Uribisten, aber Ja zu jeglicher Unterstützung

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Links Gustavo Petro, rechts Rodolfo Hernández (Collage)
Links Gustavo Petro, rechts Rodolfo Hernández (Collage)

Bogotá. Nach dem ersten Präsidentschaftswahlgang führt der Unternehmer Rodolfo Hernández in den jüngsten Befragungen. Laut der Umfrage des Nationalen Beratungsinstituts CNC würde der 77-Jährige bei der Stichwahl 41 Prozent der Stimmen bekommen. Den Vertreter des progressiven Bündnisses Pacto Histórico, Gustavo Petro, würden 39 Prozent der Befragten wählen.

Noch größer sieht der Unterschied bei einer Umfrage von GAD3 aus, die das Medienunternehmen RCN veranlasst hat. Demnach liegt Hernández mit 52,5 Prozent der Stimmen vor Petro, der 44,8 Prozent bekommen würde.

Die Presse im Land interpretiert den raschen Erfolg von Hernández als "Strafe" der Wählerschaft gegen das "Establishment". Damit ist das gemeint, was der besiegte Kandidat Federico Gutiérrez repräsentiert: Die traditionellen Parteien, die politische Maschinerie, die Regierung von Präsident Iván Duque sowie sein Mentor, der ultrarechte Ex-Präsident Álvaro Uribe. Sie alle standen hinter Gutiérrez und sind in zahlreiche Korruptionsskandale verwickelt.

Das zentrale Motto von Hernández' Wahlkampf ist die Bekämpfung der Korruption. Er redet mit Wut über "die Gauner" der Regierungen, die die Ursache aller Probleme des Landes seien. Mit alltagssprachlichen Ausdrücken, teilweise auch Schimpfwörtern und seinem energischen Stil spricht er offenbar einen Teil der Bevölkerung an, der zwar die traditionellen Politiker:innen ablehnt, jedoch linken Projekten misstraut.

Die Begeisterung für Hernández erinnert an die für Uribe vor 20 Jahren. Paradoxerweise lehnt die Wählerschaft von Hernández die mutmaßlichen Machenschaften von Uribe ab, sehnt sich aber gleichzeitig nach einem ähnlichen Anführer: Einer der auf den Tisch haut und sich als "authentisch" präsentiert.

Kritiker bezeichnen seine Vorschläge als wenig nützlich. Zum Beispiel die Kraftfahrzeuge der Kongressabgeordneten zu verkaufen, weil das dem Staat viel Geld kostet, oder alle Kolumbianer:innen ans Meer zu bringen, damit sie es kennenlernen, oder dass der Präsident seinen Lohn spendet.

Nach den Wahlen veröffentlichte Hernández eine Liste von 20 Punkten zu den Unterschieden zwischen ihm und dem "Uribismus". Davor hatte er kein Regierungsprogramm vorgelegt. Anhänger des Pacto Histórico werfen ihm vor, sich progressive Vorschläge von Petro abgeguckt zu haben, wie zum Beispiel die Ablehnung des Frackings, des Einsatzes von Glyphosat, die Unterstützung der Geschlechterdiversität und der Abtreibung.

Gleichzeitig verkündete der Kandidat, er werde für 90 Tage den Ausnahmezustand erklären, sobald er Präsident sei, um so per Dekret regieren zu können.

Der Politiker will nicht mit dem "Uribismus" in Verbindung gebracht werden. Nachdem prominente Politiker:innen aus uribistischen Kreisen wie Maria Fernanda Cabal, José Obdulio Gaviria, Paloma Valencia und Miguel Uribe Turbay ihn als Zweitplatzierten gefeiert hatten und Gutiérrez seine Unterstützung für Hernández bei der Stichwahl ankündigte, lehnte der 77-Jährige ein Bündnis mit ihnen ab. "Null Allianzen, Null Uribe, Null Petro, Null alles", sagte der hofierte Politiker und Ingenieur, hieß aber zugleich jegliche Unterstützung willkommen.

In Bezug auf den laufenden Prozess gegen ihn wegen Korruption als ehemaliger Oberbürgermeister der Stadt Bucaramanga sagte Hernández, dass es keine Beweise gegen ihn gebe. Das Verfahren sei "politisch motivierte Verfolgung von ein paar Schweinehunden".

Der investigative Journalist Daniel Coronell enthüllte indes Details des Prozesses, die tatsächlich auf das Delikt der Vorteilsnahme bei der Auftragsvergabe eines Geschäfts im Wert von 570 Milliarden Pesos (circa 142 Millionen Euro) an die Firma Vitalogic hindeuten. Dabei soll eine Provision für den Sohn des Ex-Oberbürgermeisters für die Vermittlung zwischen Vitalogic und Hernández vereinbart worden sein.

Meinungsträger sagen voraus, dass nur sehr wenige der circa fünf Millionen Wähler:innen, die Gutiérrez gewählt haben, ihre Stimmen an Petro geben werden. Der Pacto Histórico hätte es demnach schwerer, an Stimmen zuzulegen, als Hernández. "Während Petros Vorschläge Millionen von Bürgern, Geschäftsleuten, Militärs und den USA Sorge bereiten, scheint Rodolfo Hernández für sie einfach ein sympathischer und überschaubarer Spinner zu sein", heißt es etwa im Politmagazin Cambio.

Andere sehen noch Chancen, dass Petro in den Präsidentenpalast einzieht. "Petro, Márquez und die verschiedenen Unterstützungsgruppen und Allianzen werden den Weg finden, den Sieg bei der Stichwahl zu erreichen", sagt der Wahlbeobachter für das Büro des SPD-Bundestagsabgeordneten Kristian Klinck, Carlos Hainsfurth, gegenüber amerika21.

Der Pacto Histórico habe nicht verloren, sondern "befindet sich auf dem Weg, Kolumbien ab dem 19. Juni 2022 zu verändern". Die Chance bestehe vor allem in den Gewinnen bei jenen Bürger:innen, die am 29. Mai nicht gewählt haben, so Haisfurth.