Chile / Politik

Verfassungskonvent von Chile in der Schlussphase

Entscheidende Artikel für die historischen Ansprüche der indigenen Völker. Genderparität und neues Zweikammernsystem angenommen. Rechte mobilisiert für Ablehnung

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Auf der Straße für eine neue Verfassung: "Ich stimme dafür - Alles für meine Klasse". Kundgebung auf der Plaza Dignidad
Auf der Straße für eine neue Verfassung: "Ich stimme dafür - Alles für meine Klasse". Kundgebung auf der Plaza Dignidad

Santiago. Der chilenische Verfassungskonvent hat mit 106 gegen 37 Stimmen das Recht der Indigenen Völker auf ihre Ländereien, Gebiete und natürlichen Ressourcen im Entwurf der neuen Verfassung festgeschrieben. Ein Teil des Saals brach nach der Abstimmung vergangenen Freitag in Jubel aus. Für die Vertreter:innen der indigenen Völker bedeutet der Entscheid einen wichtigen Schritt in Richtung Anerkennung der historischen Forderungen der Indigenen.

"Damit öffnet der Verfassungskonvent den Weg zur Lösung lang andauernder Konflikte", sagte die Mapuche und Abgeordnete für den Konvent, Rosa Catrileo. Der Entscheid erkennt nicht nur die historischen Ansprüche der indigenen Völker an, die zum Großteil im 19. Jahrhundert vom chilenischem Staat erobert und vertrieben wurden, sondern hebt verschiedene bisher bestehende Rechte auf Verfassungsebene.

So sind indigene Ländereien durch ein Gesetz aus der Regierungszeit von Salvador Allende, das 1993 nach dem Ende der Militärdikatur wieder eingeführt wurde, bereits besonders geschützt und dürfen nur an Indigene veräußert werden. Auch das theoretische Recht auf Mitbestimmung bei der Nutzung natürlicher Ressourcen im Gebiet Indigener war seit dem Jahr 2009 durch das sogenannte Übereinkommen über Eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern der Internationalen Arbeitsorganisation, kurz ILO 169, gegeben.

Allerdings machte die rechte Regierung unter Sebastián Piñera mehrmals den Versuch, das Verkaufsverbot an nicht-Indigene zu kippen. Das Mitbestimmungsrecht wurde bei großen Projekten in Gebieten, in denen Indigene leben, mehrfach missachtet und musste zum Teil vor internationalen Gerichtshöfen eingeklagt werden.

Am Tag der Abstimmung definierten die Abgeordneten weitere Details für das politische System. Zum Beispiel wird mit der neuen Verfassung ein Stimmrecht ab 16 Jahren und eine obligatorische Wahlteilnahme ab dem 18. Lebensjahr eingeführt. Personen, die wegen Menschenrechtsverletzungen, Sexualverbrechen oder Korruption verurteilt wurden, dürfen weder öffentliche Ämter bekleiden noch zu Wahlen antreten.

Zudem werden in allen Parlamentskammern auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene Sitze für die indigenen Völker reserviert, je nach Anteil der indigenen Bevölkerung in dem entsprechenden Wahlkreis. Politische Parteien, staatliche Institutionen, Polizei und Militär sowie die Parlamente müssen derweil genderparitätisch aufgebaut sein.

Der schon im April angenommene Ersatz des Senats durch eine Regionalkammer (amerika21 berichtete) hat zudem weiter Form angenommen. Die neue zweite Kammer soll aus der jeweils gleichen Zahl (mindestens aber drei) an Repräsentant:innen aus den verschiedenen Regionen zusammengesetzt sein. Die genaue Zahl pro Region wird durch das Wahlgesetz definiert.

Die Zuständigkeiten der neuen Kammer werden im Grunde denen des alten Senats ähneln, bei Kompetenzkonflikten mit dem Kongress soll die Regionalkammer über die eigenen Kompetenzen abstimmen können. Die Regionalkammer wird jedoch keine direkte Kontrollfunktionen gegenüber der Regierung und dem Staat haben.

Laut Plan stimmen die Abgeordneten bis Ende Mai über alle Artikel ab. Danach erhält eine Harmonisierungskomission den Entwurf, welche den endgültigen Text bis 5. Juli verfassen wird.

Derzeit mobilisiert die politische Rechte mittlerweile immer aktiver für eine Stimmenabgabe gegen die neue Verfassung. Am 4. September werden die Chilen:innen über die neue Verfassung abstimmen, mit obligatorischer Wahlbeteiligung.

Vertreter:innen rechter Parteien und Thinktanks verbreiten derzeit offensichtliche Lügen über die Auswirkungen der neuen Verfassung auf die Gesellschaft. So behauptete der rechte Konventsabgeordnete Eduardo Cretton fälschlicherweise, die reservierten Plätze für indigene Völker würden auch für Gerichte gelten.

Mittlerweile gibt es auch mehrere Stimmen aus der ehemaligen Mitte-Links Koalition der Parteien für die Demokratie, die ihre Ablehnung gegenüber der neuen Verfassung zeigen. Der ehemalige Justizminister, Carlos Maldonado, sagte gegenüber CNN Chile, der aktuelle Text sei es nicht wert, Zustimmung zu bekommen.

Das der ehemaligen Regierung von Sebastián Piñera nahestehende Meinungsforschungsinstitut CADEM veröffentlichte Zahlen, wonach mittlerweile nur noch 35 Prozent der Bevölkerung für die neue Verfassung stimmen würden und 48 Prozent dagegen.

Der regierende linksreformistische Präsident, Gabriel Boric, sagte gegenüber Medien, er setze alles daran, dass "der 4. September der Moment sein wird, in dem wir die Verfassung der 80er Jahre überwinden werden".