Argentinien / Politik

Oberster Gerichtshof in Argentinien verursacht Verfassungskrise

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Der Präsident des Corte Suprema de Justicia de la Nación, Horacio Rosatti
Der Präsident des Corte Suprema de Justicia de la Nación, Horacio Rosatti

Buenos Aires. Der Präsident des Obersten Gerichtshofes von Argentinien, Horacio Rosatti, hat sich am Montag zum Vorsitzenden des Magistraturrates ernannt und damit eine Krise zwischen den drei Staatsgewalten ausgelöst.

Der Rat der Magistratur (Consejo de la Magistratura) ist ein durch die Verfassung von 1994 erschaffenes Organ, dessen Funktion es ist, die Richter (ausgenommen der Oberste Gerichtshof, OGH) auszuwählen und zu kontrollieren, sowie den Justizapparat zu verwalten. Im Rat sitzen Vertreter der Exekutive und Legislative, der Richter-, der Anwaltschaft sowie Vertreter von Universitäten. Ihm unterstehen auch die gesamten Finanzen des Justizapparats.

Im Dezember letzten Jahres hatte der OGH überraschenderweise eine uralte Klage ausgegraben und das Gesetz aus dem Jahr 2006, das die Zusammensetzung des Rates regelt, für verfassungswidrig erklärt. Zur Begründung hieß es, dass den "politischen" Vertretern zu viel Gewicht gegeben werde.

Es wurde eine Frist von 120 Tagen gegeben, um ein neues Gesetz zu verabschieden. Das Parlament hatte zwar dagegen protestiert, jedoch eine Vorlage auf den Weg gebracht, die bereits vom Senat verabschiedet wurde. Für die Bestätigung durch die Abgeordnetenkammer fehlte jedoch die Zeit. Als am Montag die Frist ablief, erklärte der OGH, den Vorsitz des Rates zu übernehmen und die Zusammensetzung wieder auf den Stand der früheren Regelung von 1997 zu bringen.

Von Kritikern aus der Regierung und der Justiz wird dieser Schritt als Verfassungsbruch angesehen. Die Richter hätten damit ein Gesetz wieder eingeführt, dass 2006 ausdrücklich vom Parlament abgeschafft wurde, und sich damit eine gesetzgebende Funktion angemaßt. Die Judikative habe auch nicht das Recht, der Legislative Fristen zu setzen. Außerdem widerspreche die Maßnahme dem eigenen Urteil, das eine gemeinsame Aufnahme der Funktionen durch den bereits erweiterten Rat vorsah.

Hintergrund dürfte jedoch nicht die Zusammensetzung sein, die 15 Jahre lang kein Problem war, sondern die Ernennung neuer Richter zu blockieren. Mehrere Schlüsselstellungen sind derzeit provisorisch mit Richtern besetzt, die Präsident Mauricio Macri (2015 ‒ 2019) unter Umgehung der gesetzlichen Regelungen intern versetzt hatte, so etwa die Kammerrichter Leopoldo Bruglia und Pablo Bertuzzi. Aus ihrer strategischen Position heraus blockieren sie derzeit erfolgreich die Untersuchungen gegen Macri und seine damaligen Minister.

Nach dem Beschluss einer unteren Instanz 2020 gegen die beiden Kammerrichter, durch den sie an ihre früheren Stellungen zurückbeordert wurden, verfügte das OGH in Windeseile, sie dürften bleiben "bis die Posten neu besetzt werden." Die Verfahren zur Ernennung waren bereits in Arbeit.

Rosatti ist eine umstrittene Figur. Im Jahr 2004 war er kurze Zeit Justizminister. 2016 wurde er von Macri mit Carlos Rosenkrantz per Dekret an den OGH ernannt und erst ‒ nach heftigen Protesten aus dem Parlament ‒ nachträglich vom Senat bestätigt.

Vorgeschlagen hatte sie der derzeit flüchtige Berater Macris, Fabian (Pepin) Rodriguez Simón. 2021 wurde Rosatti in einer Kampfabstimmung gegen Ricardo Lorenzetti zum Vorsitzenden des OGH gewählt. Dabei stimmte er für sich selbst, was zwar nicht verboten ist, aber als unschicklich gilt.

Rosatti wird auch von Menschenrechtsgruppen heftig kritisiert: Nicht nur, dass er für die 2x1 Regelung gestimmt hatte, mit der die Urteile gegen Folterer und Mörder aus der Militärdiktatur halbiert werden sollten (nach massiven Protesten jedoch wieder zurück genommen wurde), es wird ihm und den anderen Richtern auch vorgeworfen, die Prozesse gegen die zivilen Beteiligten der Diktatur in die Länge zu ziehen, bis sie aus Altersgründen eingestellt werden. So kürzlich mit dem Prozess gegen Carlos Blaquier geschehen.