Venezuela / Wirtschaft

Niedrigste Inflation in Venezuela seit zehn Jahren

Credit Suisse prognostiziert 20 Prozent Wachstum für 2022. Wieder deutlicher Lohnanstieg. Wirtschaftlicher Erfolg der Regierung auf "orthodoxem und liberalem Weg"

venezuela_banco_central.jpg

Zentralbank von Venezuela
Zentralbank von Venezuela

Caracas. Venezuela hat die niedrigste monatliche Inflationsrate seit 2012 verzeichnet. Nach Angaben der venezolanischen Zentralbank (BCV) stiegen die Verbraucherpreise im März nur um 1,4 Prozent nach noch 2,9 Prozent im Februar. Es ist der siebte Monat in Folge mit einer einstelligen Inflationsrate.

Die Schweizer Investmentbank Credit Suisse erwartet, dass der Ölsektor des Landes im Jahr 2022 deutlich wachsen wird. Die kumulierte Inflation liegt bei 11,3 Prozent für das Jahr und bei 284,7 Prozent für die letzten 12 Monate. Dies stellt eine deutliche Trendwende dar, nachdem der Karibikstaat in den letzten Jahren eine Hyperinflation erlebte. Die kumulierte Inflation erreichte 2018, 2019 und 2020 jeweils 130.000, 9.584 und 2.961 Prozent.

Die gesunkene Inflation wird von Analysten als einer der Faktoren angesehen, die es der venezolanischen Wirtschaft ermöglichten, sich zu stabilisieren und 2021 zum ersten Mal seit sieben Jahren wieder zu wachsen. Nach Angaben der BCV ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes seit 2015 um mehr als zwei Drittel geschrumpft.

Nach Angaben der Regierung von Nicolás Maduro stieg das BIP im vergangenen Jahr um 4 Prozent, und die Prognosen für die Zukunft sind optimistischer.

In einem aktuellen Bericht hat die Credit Suisse ihre Wachstumsprognose für 2022 von 4,5 auf 20 Prozent erhöht. Die Schweizer Investmentbank betonte, dass es sich bei dieser Zahl "nicht um einen Tippfehler" handele, da die venezolanische Wirtschaft im Jahr 2020 "den Tiefpunkt erreicht" habe.

"Wenn wir richtig liegen, könnte dies zum stärksten Wachstum weltweit in diesen Jahren gehören", heißt es in dem Bericht weiter. Auch für 2023 hob Credit Suisse ihre BIP-Wachstumsprognose von 3 auf 8 Prozent an.

Das Finanzinstitut stützt sich dabei auf die Erwartung, dass die venezolanische Ölproduktion um mehr als 20 Prozent steigen wird. Die optimistischen Aussichten werden auch von anderen Analysten geteilt. Der Wirtschaftswissenschaftler Francisco Rodríguez erwartet ebenfalls ein zweistelliges Wachstum, das von einer erhöhten Ölproduktion und hohen Preisen auf dem Ölmarkt getragen wird.

Die Rohölproduktion des Landes ist stetig gestiegen, nachdem sie in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 einen historischen Tiefstand erreicht hatte. Obwohl die wichtigsten Industriezweige Venezuelas durch die erdrückenden US-Sanktionen belastet werden, lag die durchschnittliche Produktion 2021 bei 558.000 Barrel pro Tag (bpd), 12 Prozent mehr als 2020. Die Produktion wurde im Februar laut inoffiziellen OPEC-Quellen mit 680.000 bpd gemessen.

In ihrem Bericht argumentiert die Credit Suisse, dass eine Lockerung der einseitigen Zwangsmaßnahmen unter Führung der USA den Ölsektor des südamerikanischen Landes weiter ankurbeln könnte. Ein überraschender Besuch einer Delegation des Weißen Hauses in Caracas Anfang März brachte eine Lockerung der Sanktionen auf den Tisch, da Washington russische Importe ersetzen wollte. Nach Gegendruck von Hardlinern musste die Regierung Biden jedoch einen Rückzieher machen.

Seit 2018 hat die Regierung Maduro einen zunehmend orthodoxen und liberalen Weg eingeschlagen, um die Inflationsspirale unter Kontrolle zu bringen. Zu den Maßnahmen gehörten die Aufhebung von Preis- und Devisenkontrollen, Steuererleichterungen für Importe, eingefrorene Kredite, eine stärkere Beteiligung des Privatsektors an staatlichen Unternehmen und eine De-facto-Dollarisierung.

In den letzten Monaten hat die venezolanische Zentralbank ihre Devisenlieferungen an die von privaten Banken betriebenen Wechselstuben erheblich ausgeweitet, um den Bolívar-US-Dollar-Wechselkurs unter Kontrolle zu halten. Die Abwertung der Währung, die durch Spekulationen angeheizt wird, ist traditionell eine der Hauptursachen für die Inflation.

Das Wirtschaftsportal Banca y Negocios berichtete, dass die BCV im Jahr 2021 Devisen im Wert von 1,5 Mrd. US-Dollar bereitgestellt hat und dass sich dieser Betrag im Jahr 2022 verdoppeln werde.

Die verbesserten Wirtschaftsaussichten führten auch dazu, dass die Regierung zum ersten Mal seit Monaten eine deutliche Lohnerhöhung anordnete. Der Mindestlohn wurde von 7 Bolívars (BsD) auf 126 BsD, etwa 30 US-Dollar, festgelegt. Angestellte des öffentlichen Dienstes erhalten zusätzlich 45 BsD Lebensmittelzuschuss.

Die angehobenen Gehälter sind der höchste Stand seit Mitte 2018, decken aber bei weitem nicht die Lebenshaltungskosten. Viele Beschäftigte des öffentlichen Sektors nehmen Zweitjobs an oder wandern in den privaten Sektor oder ins Ausland ab.

Am 6. April protestierten linke politische Organisationen und Gewerkschaften vor dem Arbeitsministerium in Caracas und forderten, dass die Löhne an die Preisentwicklung des Grundnahrungsmittelkorbs gekoppelt werden, der derzeit auf über 350 US-Dollar pro Monat geschätzt wird.